Ich habe beinahe ein schlechtes Gewissen, zu wenig habe ich bisher in der Stadt und im Verkehr geübt, doch die kommende Woche soll ganz speziell dieser „Immunisierung“ gewidmet sein. Ich denke, als ganz kleiner Welpe sollte man auch schauen, dass er schon genügend weit mit Freude mitgehen kann und das Erlebte auch aufnimmt. Ich wünsche, dass meine Prägungsarbeit Früchte trägt, damit Jypsy in allen Situationen sicher im Verhalten wird, sei es im Umgang mit Menschen oder auch im städtischen Verkehr.
Heute ist sie bereits vierzehn Wochen alt, und unser Spaziergang durch die Bahnhofstraße zeigte ihre Reife, doch es scheint mir, dass Hündinnen sich viel eher auf Fressbares konzentrieren, wogegen Rüden eher den Markierungen nachschnüffeln. So spazierten wir über die Bahnhofstraße, als wäre dies das normalste dieser Welt. Zog sie gegen eine abgestellte Tasche, animierte ich sie mit Leckerli zum Bei-mir-Bleiben und bald war alles absolut normal. Noch erschrak sie, wenn ein Tram nur wenige Meter an uns vorbeifuhr. Wenn wir wegfahren, packe ich ihre Futterration stets in einen Beutel, und der hört sich beim Öffnen genauso an wie das Knistern dieser Plastiktaschen. So schaute Jypsy stets sehnsüchtig auf all die Taschen, die sich über die Bahnhofstraße bewegten. Kinder interessierten sie, doch keine der Mütter hätte ihr Kind streicheln lassen. Sie waren entweder zu beschäftigt oder zu ängstlich. Einige sprachen uns an und berührten Jypsy, die sich alles gefallen ließ, ohne aggressiv oder unsicher zu reagieren. Am meisten Freude zeigte sie an einem deutschen Agility-Sportler, der selbst gemachtes Hundefutter bei sich trug. Er wusste auch gleich, um was für eine Rasse es sich handelt, doch für viele Menschen ist der Malinois nicht so bekannt wie z. B. ein Deutscher Schäferhund.
Fährtenarbeit macht nun noch mehr Spaß. Ich freue mich, dass sie bereits weiß, wenn wir zum Abgang der Fährte kommen, beim kleinen Fähnchen, dass es etwas Leckeres zu suchen gibt.
Am kommenden Montag zählt sie bereits fünfzehn Wochen, und wir waren am Sonntag in der Schule für unsere Welpen. Sie ist einfach mit Abstand die Stärkste dieses Rudels, und wir bedauerten das Fehlen des Tervueren Rüden, der ihr in allen Beziehungen gewachsen und ebenbürtig war. Nun war sie die Aktivste und hatte es auf einen leicht jüngeren Deutschen Schäfer abgesehen. Ich versuchte, sie vorsichtig zu disziplinieren, was mir halbwegs auch gelang, andererseits litt der Schäfer etwas unter ihrer Dominanz und kam dadurch körperlich an seine Grenzen. Ein junger Deutscher Schäfer ist meist noch nicht so aktiv wie ein Malinois in der Anfangszeit, denn, um seine Gelenke zu schonen, muss man ihn stärker zurückhalten als andere Rassen. Dafür holt er dann später mächtig auf und ist einem Malinois ebenso gewachsen. Ich brauche für Jypsy eine stärkere Gruppe. Wenn nicht, finde ich es schlecht, meine Jypsy mittun zu lassen, denn was sie damit lernen würde, wäre gerade nicht sich untereinander verstehen lernen. Der Lerneffekt wäre das Dominieren, und gerade dies gilt es zu verhindern. Bei der Disziplinierung fasste ich sie etwas hart am Nacken, habe sie danach noch angeleint und nun wich sie meiner Hand aus. So hatte ich später mehr Mühe, sie wieder an die Angel zu kriegen. Selbstverständlich behebe ich dieses Problem, wenn ich mich auf weiter Flur befinde mit einer Schleppleine, doch man sieht hier ganz klar, wie clever so ein Hündchen bereits ist und wie schnell es lernt. Diese Bereitschaft ist beim jungen Malinois ausgeprägter, aber wohl verstanden, Fehler des Führers lernen sie genauso schnell, wie sie positive und klare Signale mit einer Leichtigkeit akzeptieren, und bereits umzusetzen in der Lage sind. Der Hund versucht immer, ob eine andere Auslegung eines Kommandos zugelassen wird oder ob es wirklich immer präzise sein muss. Ganz wichtig ist, dass man über dieser Situation steht und eine praktikable und eine dem Welpen angemessene Korrektur für ungewolltes Verhalten anbringen kann wie zum Beispiel „rechts um kehrt“ oder in eine andere Richtung gehen und vieles andere mehr. Wut respektive emotionales Verhalten bringt nichts und führt uns immer in eine Sackgasse.
Jypsy war in den vergangenen Tagen nicht so gut drauf, etwas Durchfall, da passieren einige „Unglücke“. Da es aber meist meine schönen Teppiche trifft, werde ich in einem Jahr mal alles richtig reinigen lassen. Ärger kenne ich in dieser Beziehung nicht, denn ich kann ihr keine Schuld geben. Schon am anderen Morgen freute ich mich darüber, dass sie wieder quicklebendig war. Kaum drehte ich ihr den Rücken, um den Kaffee zuzubereiten, sie lag zuvor ja unter meinem Stuhl, da stibitzte sie mir vom Tisch mein Stück Brot, sauste in den Wintergarten und verschlang dies gierig. Damit sie nichts mehr vom Tisch nimmt, band ich ein paar Pfannendeckel mit einer Schnur zusammen, vorab ein Stück Brot auf den Tisch, und wie sie dies dann schnappte, kam die ganze Bescherung lautstark hinterher und erschreckte sie fürchterlich. Somit war wieder einmal ein Problem beinahe gelöst.
Das nasskalte Wetter setzt allen zu, auch sind weniger Jogger und weniger Spaziergänger unterwegs, selbst Hunde oft nur für kurze Zeit anzutreffen. Die Umweltreize verringern sich, und so ist alles wohl einfacher, aber eine Prägung ohne Umweltakteure bleibt ineffizient. Jypsy ist unglaublich stark und hat keine Angst vor Hunden. Im Gegenteil, immer wieder versucht sie, sich durchzusetzen. So lasse ich sie mit älteren, aber gleich großen und gleich schweren Hunden spielen, und dies hilft, denn so muss sie hin und wieder ganz unten durch. Zu den Menschen ist sie immer zutraulich. Selbst das Abrufen und Anleinen hat sich gut entwickelt.
Tram- oder Busfahren ist für sie schon beinahe alltäglich, heute lag sie so entspannt in der ratternden Tram, dass ich staunte, wie selbstverständlich sie dies hinnimmt. Gleiches gilt, wenn ich das Auto durch die Waschanlage schicke, sie bleibt gelassen in ihrer Hundebox und denkt sich bestimmt: „In meiner Höhle kann mir ja nichts passieren.“
Das Leinenlaufen mit dem neuen System bringt nicht so viel wie gehofft, aber es hilft im Augenblick. Kaum zieht sie, bleibe ich stehen, dann schaut sie mich an, kommt zurück, und ich nehme sie sodann auf meine linke Seite, sie schaut mich weiterhin mit bernsteinfarbigen Augen an, als würde sie fragen, ist das richtig so?, womit sie eine kleine Bestätigung fordert. Ich bestätige aber nicht einfach, sondern ich halte nach wenigen Schritten an, führe sie mit der linken Hand zu meinem linken Knie und sie erhält das Futter nur, wenn sie korrekt bei „Fuß“ sitzt. Will sie es nicht tun, dann locke ich sie weiter und irgendein Zaun/Wand oder Baum gibt mir die Möglichkeit, dass sie sich nicht zu weit wegsetzt und damit auch gleich von Beginn ein korrektes Benehmen lernt. Es gibt immer wieder Menschen, die das aufgeweckte Wesen bestaunen und sie zu streicheln wünschen. Ihre Ruhe, die sie ausstrahlt, ihr freundliches Wesen, ihre Sicherheit im Verkehr, selbst wenn sie mal kurz erschrickt, ist für mich eine wunderschöne Bestätigung dafür, dass sie selbst Unvorhergesehenes wegstecken kann, weil selbst ähnliche Situationen bereits verarbeitet sind. Einige Jahre später habe ich sie am Wegrand hingelegt, als ein Schützenpanzer nur einen Meter neben ihr vorbeidonnerte. Und sie lag einfach da. So wusste ich, dass Prägung etwas sein muss, das man erleben muss, um den Nutzen zu erfahren.
Bei Hunden in der Bahnhofstraße stellt sie doch hin und wieder die Nackenhaare, ist auf jeden Fall bereit, aber sie benimmt sich nicht aggressiv, bellt nicht, und sobald ich leicht an der Leine zupfe und sie etwas ablenke, folgt sie meiner Aufforderung.
Am Waldrand trafen wir noch auf eine achtjährige Malinois-Hündin mit dem Namen Tosca, und Jypsy bellte diese zu Beginn an. Nach kurzer Zeit war schon alles klar, indem ich sie zurückrief und an die Leine nahm. Manchmal muss man Hunde auch anleiten, sich anständig zu benehmen, und sobald ich mit dem Halter des anderen Hundes spreche, beruhigen sich die Hunde zumeist und können danach sogar miteinander spielen.
Heute wurde sie noch mit einem Chip versehen, und ich habe die Eigentumsübertragung bei der SKG eingereicht. So ist Jypsy nun offiziell mein Hund geworden. Keinen Mucks tat sie, als die dicke Nadel ihr über der Schulter unter die Haut geschoben wurde. Man spürt ihr Vertrauen auch gegenüber dem freundlichen Tierarzt, und das ist ja auch wichtig für spätere Arztbesuche.
Nach der Phase der Vernichtung von Kartonschachteln wollte sie eine Zeit lang nichts mehr davon wissen, und ich legte die Reserven einfach in eine Ecke. Diese Woche erwachte urplötzlich erneut das Interesse, und ihren Energieüberschuss konnte sie nun abreagieren. Überall liegen kleine Kartonstücke herum. Große Stücke transportiert sie durch die ganze Wohnung, und im Augenblick sieht es bedenklich aus. Doch der Hund ist glücklich, so nutzte sie zum Beispiel diese Gelegenheit immer wieder, um ein zusätzliches Häppchen zu erhalten, indem sie mir ein Kartonstückchen brachte, um dies gegen Futter zu tauschen. Aber niemand stört sich an meiner Unordnung in der Wohnung, und so bin ich froh, wenn die Haushalthilfe an den Samstagen mit viel Verständnis alles wieder in Ordnung bringt.
Heute früh, als ich in meinem Büro war und kurz zum Fenster hinausschaute, sah ich meine Jypsy mit dem Kissen vom Sofa im Garten. Ich öffnete das Fenster und rief sehr deutlich „NEIN“! Sie packte es erneut mit einer tierischen Wollust und rannte wieder hinein in den Wintergarten. Ich hetzte durch den Korridor und die Küche zu ihr, Jypsy sah mich ganz erstaunt an, ich nahm das daliegende Kissen, schlug es über den Stuhl, klopfte es mit den Händen, warf es auf den Boden, schimpfte lautstark wie ein Berserker und Jypsy schaute mich verdutzt an. Beide Hunde folgten mir in die Stube, wo ich das Kissen weiter misshandelte, legte es dann wieder auf das Sofa, doch Jypsy sah mich so vertrauensvoll und unschuldig an, dass ich ein Lächeln nicht unterdrücken konnte, und so begab ich mich wieder in mein Büro. Ich war mir zu Beginn nicht ganz sicher, ob der Hund verstand, was ich überhaupt meinte, doch wenn es geht wie bei den Schuhen, dann bin ich zuversichtlich. Ich denke aber, auf diese Weise erlebe ich keinen Verlust ihres Vertrauens, verunsichere nicht, denn dies ist für mich ja das absolut Wichtigste und mein erwünschtes Ziel.
Wie ich wieder nach ihr schaute, Ojo war bei mir, lag sie hingegen ausgestreckt im Wintergarten auf dem Teppich, träumte und sonnte sich und schien mit der Welt zufrieden. Ich fühle mich sehr glücklich, etwas gemacht zu haben, was ich nicht zu bereuen habe, und ich wünsche mir, wenn diese Strategie erfolgreich ist, dass sie Anwendung bei anderen Welpen findet. Auch meine Erfahrung mit Ojo zeigte seine Fähigkeit, vieles verzeihen zu können. Aber was wäre, wenn Bindung wirklich der Schlüssel zum Erfolg wäre? Ich wünschte mir, dies mit Jypsy zu erreichen. Ich habe ihr ebenfalls noch nie etwas aus dem Fang gerissen, sondern nur „NEIN“ gesagt. Nach spätestens fünf oder sechs Schritten ließ sie ein aufgenommenes Papier fallen, und wenn sie hin und wieder etwas einfach hastig verschlang, worüber mir grauste, habe ich dennoch keinen Druck auf den Hund ausgeübt. Wenn sie Pferdemist frisst, versuche ich, sie mit etwas Gutem davon abzulenken, doch was nutzt es, sie danach zu strafen? Nichts, und gar nichts. So bleibe ich in diesen Situationen eher gelassen im Wissen, dass es vor allem die Hündinnen sind, die so gierig fressen wollen, denn sie sind es ja von Natur aus, die für die Nachkommenschaft zu sorgen haben. Daher ist dieser Instinkt möglicherweise so ausgeprägt.
Dieses Kissen war von nun an tabu, aber ein anderes Kissen stibitzte sie schon am nächsten Tag. Der Wintergarten war geschlossen, und so fand ich es dort am Boden liegend. Ich nahm es auf in ihrem Beisein, schlug es und legte es an den Ursprungsplatz zurück. Jypsy verfolgte mich, doch von nun an war auch dieses nicht mehr interessant. Stattdessen schleppte sie die Liegematte aus der Stube in den Wintergarten, begann daran herumzuzerren, was ich mit „Nein“ unterbrach, nahm sie aber erst später weg und legte sie erneut neben meinen Fernsehstuhl. So reihen sich Episoden an Episoden. Hin und wieder warte ich einige Tage, bis ich erneut eine Schachtel hinlege und bemühe mich vermehrt, mit ihr selbst zu spielen. Dies bringt natürlich etwas mehr Schwierigkeiten mit zwei Hunden, als wenn ich nur den einen hätte. Unsere Erfahrung zeigt, wenn sich der Hundeführer beiden gegenüber korrekt verhält, dass dann die Harmonie auch zwischen ihnen nicht leidet.
Vorletzter Kurstag! Mit etwas gemischten Gefühlen gingen wir dorthin, und ich erklärte gleich zu Beginn, dass, sollte Jypsy sich nicht einordnen und alle erneut dominieren wollen, ich mich mit ihr zurückzuziehen gedenke. So einigten wir uns ganz offen, dass wir die Entwicklung in dieser Gruppe zusammen gut beobachten. Ich freute mich erneut über die Fortschritte, die Jypsy im sozialen Bereich in dieser Gruppe erzielt hatte, und so lief alles gut, bis ein dreizehn Wochen junger Tervueren zu uns geschickt wurde, weil er sich zu „machohaft“ in der jüngeren Gruppe benommen hatte. Anfänglich unsicher brachte er für einen Moment die ganze Gruppe durcheinander, was von Elvira kompetent kommentiert und genauestens beobachtet wurde. Auch mir schien, als stimme etwas nicht mehr, ich wusste aber nicht, dass ein neues Rudelmitglied die Ordnung so empfindlich stören kann und dass es Zeit braucht, bis alles wieder zur Ruhe kommt. Plötzlich ein Knurren und schon hatten sich Jypsy und der kleine Tervueren in den Haaren. Jypsy akzeptierte sein Verhalten nicht und kämpfte ihn nieder, bis er sich ergab, danach war Ruhe. So freuten wir uns alle, als das Rudel sich wieder voller Harmonie dem friedlichen Spiel zuwendete. Sie war heute insgesamt sehr aktiv, verstand die Signale vortrefflich, und es gab keinen Moment mehr, wo man sie zurücknehmen oder disziplinieren musste.
Ein Problem blieb bei der Welpenschule. Jypsy verband weiterhin die Scheu, zu mir zu kommen, mit dem Spielplatz, wo man mir aufgetragen hatte, sie zu disziplinieren, und mit dieser Erinnerung schloss sich dieses Prägungsprogramm. Dies zeigt, dass Probleme ebenso auch durch eine „örtlich“ gebundene, negative Verknüpfung hervorgerufen werden können, sich jedoch von Mal zu Mal abschwächen. Ihr Verhalten auf allen anderen Plätzen blieb jedoch normal und wie gewohnt.
Selbst zu Hause ist sie nun aufmerksamer und macht vermehrt auf alle ihr noch unbekannten Geräusche, die durch Dritte verursacht werden, die in unsere Wohnung eindringen, mit einem Verbellen aufmerksam. Dies ist nicht nur Unsicherheit, sondern auch ein Stück territorialer Bewachungstrieb, der mit der Zeit mehr und mehr erwacht.
Ich sprach noch mit Elvira und sie meinte, dass ich das nächste Mal noch kommen dürfte gemäß der Einladung, und so kam noch ein Border Collie dazu, ebenfalls sein letztes Mal. Es ist schön zu sehen, wie sich die Persönlichkeiten der Hunde in dieser Gruppe entwickelten und wir können so jeden Sonntag wieder wichtige Erfahrungen für uns mitnehmen. Die Kompetenz der Gruppenleiterinnen ist so erfrischend im Gegensatz zu vielen Erlebnissen auf den Wiesen im Alltag, dass wir für uns und unsere Tiere, uns mit diesem Kurs einen enormen Vorsprung gegenüber anderen Haltern samt Hunden verschafften. Der Lerninhalt ist riesig und überzeugend, sodass ich immer wieder staune und die Ausbildung in einer guten Welpen-Spielgruppe zwingend empfehle. Aus allen Ecken der Schweiz kamen sie, vor allem erfahrene und verantwortungsbewusste Halter nahmen sogar stundenlange Anfahrten in Kauf.
Vergangenen Samstag kam eine Familie auf unseren Hundeplatz, die einen gut geprägten, jüngeren Hund zu kaufen wünschte. Wir zeigten ihnen auch Jypsy und meinen selben Orts geprägten, vier Jahre alten Deutschen Schäfer Ojo. Sie wollten vor allem Jypsy sehen. So nahm ich diese heraus, die Kinder konnten sie streicheln, füttern, liebkosen; alles konnten sie mit ihr machen. Jypsy schnappte nach niemandem, auch nie nach Fingern, selbst mit einem Leckerli darin, und ich darf sagen, ich bin sehr stolz auf sie. Danach interessierten sie sich auch für Ojo, so nahm ich auch diesen heraus, und er verhielt sich ebenso tadellos wie Jypsy. Das sind Hunde, die sozial verträglich und ebenso gesellschaftsfähig sind. Dieses Verhalten ist nicht in die Wiege gelegt, sondern wird als Welpe erarbeitet und ist wichtig. Viele genieren sich, einen „lieben“ Vierbeiner zu haben, doch ich bin stolz darauf. Was nützt mir ein Hund, den ich so erziehe, dass man nie seiner sicher sein kann, und dass man sich ständig fragen muss, wann er auf jemanden losgeht oder wegläuft. Was bringt mir ein Spaziergang, wenn ich immer unter „Strom“ stehe oder in Angst bin, mein Hund könnte irgendetwas anstellen? Einen Welpen zu prägen braucht viel persönlichen Einsatz, aber dieser lohnt sich.
Das aktuelle Wetter, das heißt der Schnee, lässt Fährten lesen nicht zu, umso mehr wird das Spielen in der weißen Pracht zum „mega“ Spaß. Heute trafen wir eine Schulklasse beim Schneeballwerfen. Jypsy ließ ich einfach laufen und schaute, was passiert. Sie mischte sich unter die Kinder, schnappte nirgends zu, sprang die Kinder auch nicht an, sondern rannte einfach den Schneebällen nach, doch sie fand sie nicht mehr in der weißen Pracht, weil sich die Bälle im tiefen Schnee vergruben oder auflösten.
Später trafen wir noch weitere Hunde. Ojo wie Jypsy erfreuten sich im Spiel, ohne jemals unverschämt grob zueinander zu werden. Ojo verteidigt Jypsy nicht und will oftmals auch nur mitspielen. Er ist nach wie vor zu anderen Hunden sehr zuvorkommend, höflich und zurückhaltend und weiß, dass ich grobes Spiel nicht mag. Er ist mit Sicherheit kein Macho, doch immer, wenn neue Hunde dazukommen, kontrolliert er ebenso, ob sie teamfähig sind. Dies mag im ersten Augenblick leicht erschrecken, doch es ist nichts dabei. Man sieht ja sofort am Verhalten der auf uns zukommenden Hunde, was als Nächstes passieren oder eben nicht passieren wird, und mit der Zeit hat man ein gewisses Beurteilungsvermögen eben auch durch das gelernte Beobachten beim Spiel der Welpen.
Das „Lesen“ der Hunde kann man vertiefen, erstens durch eigenes Beobachten und zweitens durch Bücher wie Calming Signals, oder auch Stress bei Hunden von Martina Nagel/Clarissa v. Reinhardt. So erkennt man auch besser, wenn es für den eigenen Hund zu viel wird, und kann entsprechend einschreiten. Das Spiel beenden, bevor sich Unheil anbahnt. Dies heißt, sobald unsere Hunde überfordert sind, sollte man sie zurück an die Leine nehmen. Es bringt nichts, wenn ein Hund Angst bekommt. Falls er sich bedroht fühlt, müssen wir zwingend einschreiten. Das Erkennen solcher Situationen lernt man besonders gut in einer Schule für Welpen, oder eben die Erfahrung wird uns lehren. Das Wissen aus Büchern ist komplementär wichtig, denn das Lernen in der Spielgruppe fördert unser intuitives Handeln, und das Nachlesen festigt unsere Urteilssicherheit. Damit kann ich meinem Hund viel ersparen, das ihn negativ prägen könnte. Wie oft hört man vom Halter eines bissigen Hundes: „Ja wissen Sie, er wurde eben schon als ganz kleiner Hund verbissen und dies hat ihn nun so aggressiv gemacht.“ So wird oft ein kleiner Vorfall und Unfall zu einer erheblichen Belastung oder sogar Hypothek für Hund und Halter.
Im Spiel mit anderen Hunden ziehe ich meinen Hunden die Halskette aus, damit keine Mitspieler an der grobgliedrigen Halskette sich mit seinen Zähnchen verfängt. Als Jypsy zu forsch wurde, warf ich meine Kette, und sogleich kapierte sie, dass ich Aggressionsverhalten nicht dulde. Auch wenn sie gegen Ojo mal zu forsch wird, sage ich ein lautes „Nein“. Ganz nach dem Motto, ich bin der Chef, und nichts darf aus dem Ruder laufen. Auch in der Welpenschule werden zwischendurch die Hunde angeleint. Die Unterbrechung bewirkt wie bei Menschenkindern ein Abkühlen der erhitzten Gemüter.
Sie ist schon so aufgeweckt mit ihren bald sechzehn Wochen, dass viele denken, sie wäre viel älter. Das Wichtigste dabei ist im Grunde das täglich kurze und freudvolle Lernen, nicht viel, aber immer wieder kurz zwischendurch. In fünf Minuten ist dies ja locker erledigt.
Vor etwa zwei Wochen zerrte sie eines der Tücher aus ihrer Zeit aus der Wurfbox in den Wintergarten. Wie es da so zerfetzt herumlag, habe ich es beim Aufräumen einfach weggeworfen.
Nach zwei weiteren Tagen lag auch das zweite Tuch herum und ich legte es zurück in die Tagesbox, wo sie zwar nicht mehr hinein muss, aber ihr als „Rückzugshöhle“ dient. Heute Abend war das Frottiertuch aus der Welpenkiste plötzlich wieder da. Sie hatte es halb um den Hals gewickelt, und etwas später lag sie mit ihrem Köpfchen darauf, was ich als kleines Aufflammen von Heimweh interpretierte. Man denkt und sucht vielleicht zu weit weg, aber so ist der Mensch. Wie ich aufstand und ins Büro wechselte, kamen beide Hunde nach, Jypsy, mit dem Tuch, legte sich neben Ojo, und eine kurze Zeit war Ruhe. Plötzlich fasste der Welpe das Tuch, schwenkte es Ojo um den Kopf, doch er respektierte es. Jypsy ließ das Tuch im Büro und hüpfte ihm nach und so sucht oftmals jeder sein bevorzugtes Plätzchen, wo er sich am wohlsten fühlt. Jypsy generell vor dem Kamin und Ojo im Augenblick im Wintergarten. Das Tuch aus der Wurfkiste lasse ich einfach liegen und schaue, wie weit sie sich mit diesem noch in irgendeiner Weise verbunden fühlt.
Als ich am folgenden Morgen aufwachte, war ich ergriffen, dass Jypsy das weinrote Tuch auf ihr Bett geholt hatte und, ihr Köpfchen darauf gelegt, schlief. Als sie zu Bett ging, war es noch im Wintergarten. Danach fütterte ich Jypsy und machte mich daran, auch mich für den Spaziergang bereit zu machen. Sobald ich die Schuhe anzog und die Überhosen überstreifte, kam sie mit dem Tuch wieder zur Ausgangstür, legte sich neben Ojo, der sich auf diese Weise bereit zeigte zum morgendlichen Spaziergang, stupste ihn in die Mundwinkel, steckte ihren Kopf in seinen Rachen und mir erschienen beide wie zwei Verliebte. Sodann nahm sie wieder das Tuch, schwenkte es, und erst als ich aufstand, ließ sie es liegen und kam mit hinaus ins Freie. Ich bin ergriffen von ihrem Verhalten, wenn sie sich mit diesem speziellen Tuch beschäftigt. Ob dies mit ihren Erinnerungen an die Welpenzeit zu tun hat, ob Heimweh oder andere Gefühle dies steuern, kann ich einfach nicht präzise feststellen.
Später lag das Kissen vom Sofa erneut im Wintergarten. Ich nahm es auf und traktierte es, sodass Jypsy in die Küche flüchtete. Ich schimpfte und brachte es wieder an seinen Platz. Eine halbe Stunde später nahm sie ein Kissen aus dem Wintergarten. Wie ich dies bemerkte, machte ich dasselbe Spiel, doch diesmal blieb Jypsy bei mir, und wie ich mit meiner Prozedur fertig war, saß sie unbeeindruckt neben mir und ich streichelte sie und sagte, „brave Jypsy, ist ja gut, aber Kissen sind einfach tabu“.
Ich denke, sie hat sehr gut gelernt, denn ich verstecke nichts, sondern lasse alles am Ort, wo es ursprünglich hingehörte. Das Nagen an den Möbeln und Teppichen konnte ich ganz zu Beginn mit einem ganz harmlosen Schubsen wortlos und ohne beeindruckende oder schmerzliche Einwirkung vermitteln, sodass es auch später nie mehr einer Korrektur bedurfte. Hatte sie sich mal zwischendurch mit irgendetwas mir „heiligem“ beschäftigt, genügte ein ganz freundliches und bestimmtes „NEIN“ und schon ließ sie unverzüglich von ihrem Vorhaben ab. Selbst die lange Schleppleine versah ihren Dienst bestens, denn der Ruck kam für sie „vom Vorhang“, mit dem sie spielen wollte, und als sie zu mir schaute, mimte ich, als betrachte ich ganz was anderes. Auf diese Weise korrigiert man „unsichtbar“.
Genau gleich verhält es sich auf unseren Spaziergängen. Oftmals ereifert sie sich zu stark gegen andere Hunde und vor allem kleinere, sodass ich einschreite und sage: „NEIN, anständig sein“, und mache ganz leichten Druck, damit sie auch wirklich ablässt. Kommt sie zu mir, bestätige ich das Ablassen durch ein Futterstück, und so kann ich sie bereits ein wenig steuern. Hin und wieder bricht es bei ihr wohl durch, und sie zeigt sich aggressiv, aber nun sind die Hunde rundherum praktisch zu 90% größer, älter oder stärker, und auf diese Weise lernt sie auch, sich anzupassen, einzuordnen und wenn notwendig auch unterzuordnen.
Heute nahm sie die auf dem Küchentisch liegende Zeitung, bearbeitete diese mit ihren Zähnchen und brachte sie in ihrem Fang zu mir. Sie war sichtlich stolz, diese vom Küchentisch stibitzt zu haben. Ich forderte die Zeitung durch Futtertausch und schlug diese um alle Ecken und hob noch zusätzliche Teile im Eingangsbereich auf. Im Wintergarten hatte sie sich zuvor schon darangemacht, einen Teil auseinanderzunehmen. Sie folgte mir aufmerksam und ich schlug, schimpfte mit der Zeitung und legte die Blätter wieder auf den Küchentisch. Ich sagte nichts weiter. Ich glaube, auch dieses Problem scheint gelöst.
Dann ging es hinaus zu einem traumhaften Morgenspaziergang bei aufgehender Sonne und glitzerndem Schnee. In der Morgensonne war dies eine Pracht. Eine Freude, die man sich kaum vorstellen kann. Als Gabriela, eine in derselben Gemeinde lebende Hundehalterin, die ich öfters auf dem Spaziergelände traf, mit ihrem Hundeclan ankam, liefen wir zusammen und ließen unsere Vierbeiner frei laufen. Jypsy musste ich nach kurzer Zeit an die Leine nehmen, denn sie traktierte den Chihuahua etwas zu massiv, und das wollte ich nicht. Bald aber beruhigte sie sich, und ich konnte sie am Waldrand entlang frei laufen lassen. Sobald sie sich zu intensiv mit den Zwerghunden beschäftigte, sagte ich „NEIN“, und sie kapierte sofort. So rannten die Hunde vor uns her, und es war ein riesiges Vergnügen, dem fröhlichen Spiel zuzusehen. Plötzlich fand Jypsy hinter einer Bank einen Handschuh. Ich rief ihr zu „nein“, und sofort ließ sie diesen wieder fallen. Ich belohnte sie dafür. Von Weitem sahen wir einen Hund mit einer Kenndecke (Schabracke), aus der Distanz dachten wir an einen Polizeihund, und wirklich, es waren drei Polizeimänner mit einem Hund. Wir hatten beinahe ein schlechtes Gewissen, so den Wald entlang gänzlich ohne Leine die Hunde frei zu führen. Etwa fünfzig Meter weiter grub Jypsy aus dem Schnee einen Ausweis (so groß wie eine Kreditkarte) und brachte mir diesen. Ich gab ihr dafür ein Futterstück und dachte, ach gut, den können wir hier gleich der Polizei übergeben. Plötzlich erkannte ich den vorangehenden Polizisten, es war Felix, der Schutzdiensthelfer vom SC OG Zimmerberg, der zusammen mit zwei Kollegen einen Deutschen Schäfer in der „verlorenen Suche“ ausbildete. Als ich ihm den Ausweis übergeben wollte, lachte er und sagte, dass dieser für den Suchhund ausgelegt wurde. Nun, das war aber noch nicht genug, Jypsy brachte plötzlich noch einen zweiten Ausweis, und ich belohnte sie erneut. Ich war so überrascht und voller Freude, dass sie beides so einfach gebracht hat und selbst Felix meinte, dass sie bereits gute Arbeit leiste.
Wir entfernten uns nun aus dem Suchrevier, und plötzlich meinte Gabriela: „Vielleicht ist der Handschuh auch von denen.“ Ich rief zurück, dass hinter der Bank weiter vorne Jypsy noch einen Handschuh aufgenommen habe, ihn aber liegen gelassen hatte. „Ja, der gehört auch uns“, tönte es zurück. Überaus stolz auf meine Jypsy gingen wir nach Hause. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie weiterhin so suchfreudig und durch die gute Bindung weiterhin so unbeschwert bleibt und mir weiterhin die Sachen herbringt. Also, wenn nicht Felix K. als Polizist und Gabriela als Zeugen bei diesem Erlebnis dabei gewesen wären, ich hätte darüber nichts geschrieben, denn keiner hätte mir wohl geglaubt, dass ein nicht einmal ganz sechzehn Wochen alter Hund so was bereits vollbringt. Drei Gegenstände bei einmaligem Durchlaufen eines Reviers ist schon fast ein Märchen, aber hier zeigte sich bereits ein kleines Teilresultat der guten Prägung.
Nach dem Fressen ist Jypsy so aktiv und unternehmungslustig wie den ganzen Tag über kaum. Es scheint, als bekäme sie eine Dopingspritze für die Dauer einer Stunde. In dieser Zeit zieht sie alle ihre Sachen wie Kartonschachtel, Hölzchen usw. hervor und beschäftigt sich damit wie eine Verrückte, wohingegen Ojo der ruhende Pol bei uns ist. Danach wird alles langsam ruhiger und nichts kann mehr passieren. Nach dem kurzen Abendspaziergang, der damit endet, dass es zu Hause noch ein Futterstück gibt, ergeben sich beide Hunde zur Ruhe und es wird geschlafen. Wenn sie so beisammen liegen, würde es mich öfters interessieren, was sie alles träumen. Ihre Welt ist nicht die unsere, aber solch entspannte Hunde machen selbst Menschen schläfrig. Oftmals stelle ich das Radio oder den Fernseher leiser und bin dankbar, einen solch schönen Tag erlebt zu haben.