Traumhund, Buch von Emil Keller

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Am Nachmittag ist erneut Lebensschule angesagt, doch wenn dies nach außen auch schon viel erscheint, Jypsy ist immer munter und frisch und dazwischen bekommt sie genügend Schlaf, denn die Box im Auto ist ebenso ihr Zuhause, und so schläft sie auch dort gerne und verkürzt sich damit die Reisezeit. Auch heute war Power angesagt. Die Helferinnen nahmen sie dann aus dem Spiel, sobald ihr Temperament durchbrannte. Das Beutespiel war hervorragend, war sie doch die Einzige, die mit einer Beute durch die ganze Anlage wetzte, und diese auch zu verteidigen wusste. Man sieht einen Unterschied zwischen Leistungshunden zu normalen Familienhunden. Der Unterschied liegt einfach im Temperament. Abrufübungen und ebenso verschiedenste Hinweise zum Entwicklungsstand der Hunde ergaben wiederum einen interessanten und lehrreichen Kurstag für alle, die hier mitmachen, um ihren Hund auch unter anderen Hunden beobachten zu können und Situationen vorausschauend beurteilen zu lernen.
Alles hat seinen Ablauf und schleift sich ein. Der Schlaf ist kein Problem mehr, das Versäubern ok, Fressen normal und schon scheint alles problemlos. So ist es aber nicht. Gerade heute früh war ich nicht ganz sicher. Hat die kleine Hexe das Fressen von Ojo stibitzt oder einfach keinen Hunger gehabt? Sie hat nicht gefressen. Alles ist aber normal, ihr Temperament, ihr Schalk, na ja, so ist es. Schon glaubte man, alles ist wieder in bester Ordnung, da erbrach sie Schleim. Na gut, dies gibt es oftmals, aber meine Sinne sind nun geschärft. Wir gehen hinaus und ich sehe, sie hat einen sehr dünnen Stuhl. Ich muss diesen genauer betrachten, denn aufnehmen kann ich ihn nicht, er ist zu flüssig. Jetzt sehe ich es, sie hat von Ojo ein Stück von seinem Verband weggezerrt und verschlungen und dieser ist nun wieder hervorgekommen. Dass Ojo sich dies einfach gefallen lässt, zeigt, wie gut sie zusammen zurechtkommen, andererseits muss ich nun schauen, ob sie, wenn sie schon nicht frisst, wenigstens trinkt und wie sich dies weiter entwickelt. Bei Welpen muss man rasch reagieren, denn diese „trocknen“ durch Mangel an Flüssigkeit sehr schnell aus. Sie hat bis jetzt nicht mehr weiter erbrochen und keinen weiteren „Dünnpfiff“ angezeigt, was mich beruhigt. Am Abend rief ich eine gute Freundin mit viel Erfahrung mit Welpen an, und sie riet mir, dem Hündchen etwas Milch ins Wasser zu geben und Reis als Nahrung zu verabreichen. Jypsy trank ein ganz klein wenig. Auf dem kleinen Spaziergang, den ich noch machte, versäuberte sie sich nochmals mit grauem „Dünnpfiff“, also sehr flüssig, zeigte sich matt und so legte ich sie, nachdem sie noch ein wenig Milch mit Wasser zu sich genommen hatte, gleich auf ihren Schlafplatz. In der Nacht dachte ich oft, lebt sie noch? Atmet sie noch? Am Morgen stand ich auf, hatte kaum den Mut, in die Box zu schauen. Ojo wollte sogleich raus auf die Wiese und plötzlich meldete sich ein zartes Fiepen. Ich holte sie sogleich, und sie war munter wie die Tage zuvor und so nach dem Herumspringen im Garten verabreichte ich ihr den nicht in den Kühlschrank gestellten Reisbrei. Ah, wurde der gierig gefressen, war die Kleine munter!!! Es war der gleiche Wirbelwind wie früher und ich heilfroh, diese Episode überstanden zu haben. Der Dünnpfiff war noch nicht ganz weg, aber doch so, dass man sagen konnte, es spritzte nicht unkontrolliert hinten hinaus, sondern der Kot verfestigte sich allmählich und war bald wieder wie zuvor. Hier sieht man gut, was so ein Welpe in Windeseile in sich hineinfrisst, doch zum Glück war’s nichts Schlimmeres. Gerade konnte eine Kollegin, eine liebenswerte Hundesportlerin, mit viel Geistesgegenwart meinem „Vielfraß“ einen achtlos weggeworfenen Zigarettenstummel wegnehmen, und so war für Jypsy der Tag gerettet, denn auch eine weggeworfene „Kippe“ könnte zu einem gesundheitsschädigenden Problem werden.
Einen Welpen zu prägen, ihn in sein Leben zu begleiten, bedeutet Aufwand und braucht Engagement. Eine weitere WelpenErziehungsstunde. Kurz bevor wir uns auf den Weg machen wollten, zeigte Jypsy mir durch ein ganz bestimmtes Verhalten, dass sie in den Garten „müsse“, indem sie sich am Vorhang zu schaffen machte und dort sich hinlegte und mich auffordernd ansah. Ich sprang auf und öffnete die Schiebetüre, sie raus und schon leerte sie ihre Blase. Ich war hoch erfreut, beginnt sie doch bereits, mit mir verständlich zu kommunizieren. So verstärkt sich das gegenseitige Verstehen täglich um eine zusätzliche Nuance.
Eines Morgens hörte ich ein komisches Geräusch, rannte nach vorne in die Stube, sah, wie sie mit der Fernbedienung meines Fernsehers vom Diwan zum Esstisch wetzte, musste ein kleines Lachen unterdrücken, denn es sah aus, als sagte sie: „Ätsch, ich habe was, was du nicht hast!“ Obwohl ich Angst hatte, die Fernbedienung könnte kaputtgehen, suchte ich geistesgegenwärtig ein Spielzeug und lockte sie damit. Es war nur ein kleines Stück Karton. Sofort ließ sie ihre „Beute“ los und schnappte sich dieses Stück. Im Nachhinein kann man sich Folgendes überlegen, wäre ich hingerannt, vielleicht hätte dies vorerst auch ein „Fang mich“ Spiel ergeben, hätte ich ihr die Fernbedienung aus dem Fang gerissen, so würde sie in Zukunft eher das Spiel suchen, als mir den Gegenstand zu bringen. So schnell könnte aus einer falschen Reaktion heraus etwas zerstört werden, für das man später viel Zeit braucht, um es wieder zu erlernen; beispielsweise das schnelle und freudige Apportieren eines Gegenstandes.
So ist die Prägungszeit eine wirkliche Herausforderung für jeden Hundehalter. Man soll den Hund nicht einfach nur wegsperren, wenn man keine Lust hat, sondern man muss mit ihm zusammenleben lernen. Es ist hier wie bei Menschenkindern: Je angeregter die Jugendzeit, je vielfältiger die Erlebnisse, je breiter die Grundfläche der Erfahrung und des gegenseitigen Vertrauens, umso breiter wächst die Kommunikations- und Lernfähigkeit.
Es sind nun schon über drei Wochen, und was haben wir schon ausgegeben für Leine, Futter, Hundebox, Spielsachen, zweite Impfung beim Arzt, Prägungsspielstunden, Autofahrten hinaus aufs Land, Box im Auto … Nun erkennen wir noch zusätzlich, dass auch wir uns entsprechend anziehen müssen; Stiefel, gutes Schuhwerk, regendichte Kleidung und Hut, denn mit Schirm hat man keine Hände mehr frei, und diese braucht man auch, um die Hunde auch nur anzuleinen. Ich möchte damit sagen, dass der Kaufpreis eines Welpen die geringste Ausgabe darstellt und dass ein Hund, der gut vorgeprägt ist, eigentlich zum Geschenk wird. Gerade deshalb sage immer wieder: Ein Hund ist kein Kauf, sondern eine Investition in die Zukunft!
Nun, auf die Spielkurse für Welpen möchte ich nicht mehr allzu detailliert eingehen, denn durch die generell hervorragenden Kursleiter der verschiedensten Gruppen lernen wir anhand direkt erlebter Beispiele jedes Mal verschiedene Situationen zu analysieren und bekommen gleich auch noch die richtige Anleitung zur richtigen und dem Verhältnis zu unseren Hunden entsprechenden Korrektur. Was man vermeiden sollte, ist ein Handeln ohne vorheriges Denken. Wie erreichen wir die natürliche Hemmung zum unerwartetem Schnappen zur Verteidigung, wie erkennen wir, wann das Spiel ernst wird, warum nicht immer nur mit Würstchen bestätigen? Die Thematik ist generell umfangreich. Wie ich hier so schreibe, heult es aus meiner Küche …
Jypsy schrie auf nach einem beachtlichen Krachen. Ein leeres Weingestell aus Eisen muss Jypsy umgezogen haben, denn darauf lag ein Lappen, der sich wahrscheinlich verklemmt hatte. Wie ich hinzukam, sah ich sie wimmernd im Wintergarten, die Pfote in der Höhe. Ich versuche, sie zu ignorieren und warf nur einen versteckten Blick in ihre Richtung. Ich richtete das Weingestell auf und ging weg. Nach einer Viertelstunde alles war ruhig. Jypsy liegt auf einem Liegeplatz von Ojo und scheint ihr Erlebnis zu verarbeiten. Ich werde sie erst untersuchen, wenn sie selbst zu mir kommt. Im Augenblick wäre es noch zu früh zu reagieren. Würde sie nach einer Weile immer noch jammern, würde ich die Pfote anschauen und unter Umständen sofort zum Arzt gehen. Es ist ja kein Blut geflossen, und sie ist nun ruhig. So lasse ich sie vorerst diese Erfahrung verarbeiten. Vielleicht bringt dies einen Lerneffekt in dem Sinne, dass sie nie mehr etwas herunterziehen wird, aber warten wir ab (Erkenntnis nach längerer Zeit: Sie hat den Lappen dort nie mehr angerührt!). So rief ich Ojo zu mir, der sich zur Zeit des Aufheulens in der Nähe aufhielt, sich aber desinteressiert abwendete, und ich beobachtete, dass nun auch Jypsy kam. So konnte ich sie emotionslos untersuchen, nichts gebrochen, nichts verletzt, aber sicherlich hat sie das Erlebnis sehr beeindruckt. Sie humpelte nicht und wie ich alles abtaste, schien alles in Ordnung, und sie zuckte bei keiner Berührung. Bin ich froh! So glaubte ich wenigstens. Am Abend, als ich hinaus wollte, bemerkte ich, dass der linke Fuß entlastet wurde, und sie humpelte. Ich wollte, nachdem sie beim nochmaligen Untersuchen keinen akuten Schmerz signalisierte, bis morgen abwarten, um dann die Pfote gegebenenfalls röntgen zu lassen. Sicher ist sicher, denn bei jungen Hunden kann schnell etwas falsch verwachsen, und dieses Risiko ist es nicht wert.
Am Morgen erwachte ich und hörte ein Geräusch aus der Hundebox, Vorstufe von Erbrechen? Nein, es war nur der Schluckauf. So war ich schnell hellwach, nahm Jypsy auf den Arm und trug sie hinaus. Ich sah, dass sie lahmte, und so entschloss ich mich, sie zu schonen, und wartete, bis ich den Arzt anrufen konnte. Um 09.30 Uhr konnten wir das Pfötchen röntgen, und es wurde nichts festgestellt. Weil Jypsy noch so jung ist, entschieden wir uns, weder entzündungshemmende noch andere Arzneimittel wie Kortison zu verabreichen, denn dies könnte den jungen Organismus belasten. Wir kamen überein, Jypsy zu schonen und abzuwarten.
Was den Schluckauf anbetrifft, so haben Welpen das hin und wieder, speziell nach dem Fressen. Meistens gibt sich dies von selbst, und ich machte zusätzlich die Erfahrung, dass, sobald sie Wasser trinkt, sich der Schluckauf schnell beruhigt.
Jypsy wurde heute nochmals untersucht und der Arzt meinte, dass es sich um eine Verstauchung/Zerrung handeln dürfte. Ich muss nun beide Hunde trennen, denn übermütiges Spielen wäre schädlich und könnte die Heilung verzögern.
Den Kurs am kommenden Donnerstag müssen wir streichen, und bis zum Sonntag, dem 4. Januar, ist sowieso Schonung angesagt, was sich gut trifft, weil gleichzeitig Weihnachts- und Neujahrsferien anstehen.
Durch die Schonung läuft sie von Tag zu Tag besser, doch junge Hunde sind gerade in der Phase des Wachstums und bis die neuen Zähne durchgebrochen sind empfindsam in allen Belangen. Eine Verletzung braucht aber auch so ihre Zeit.
In den letzten Tagen hatte ich meine Aufmerksamkeit etwas gelockert und prompt fand ich die Bescherung auf dem Teppich. Nun gut, mich ärgern deswegen lohnt sich nicht, etwas besser aufpassen ist jetzt angesagt. Ebenso versuche ich, ihr das Herumtragen meiner Hausschuhe abzugewöhnen, doch ob mir dies gelingt? Ich bestrafe den Gegenstand und niemals Jypsy. Dieses System ist noch wenig bekannt aber wertvoll, denn damit provoziert man keinen Vertrauensbruch zwischen Hund und Halter, und dennoch zeigt es sich als mögliches Mittel zur Abgewöhnung von Fehlverhalten, was aber bestimmt einige Wiederholungen braucht.
Letzthin gab ich beiden beim Frühstück ein kleines Stück vom Butterbrot. Na „denkste“! Am anderen Morgen, als ich mich hinsetzte, hatte sie dies nicht vergessen, denn sie wollte wieder ein Stück. Ich öffnete die Türe zum Garten, und so sausten beide raus, Ojo kam wieder herein, setzte sich zu mir. Er war ja gewohnt, etwas zu bekommen, und weil Jypsy zu diesem Zeitpunkt im Garten war, gab ich ihm ein kleines Stück. Plötzlich war sie wieder da, bettelte, weil Ojo neben mir saß, stieg an mir hoch und forderte. Plötzlich roch sie an der Schnauze von Ojo, und schon hatte sie mich überführt. Sie machte so viel Terror, bettelte und forderte, dass ich nicht mehr länger als Verräter dasitzen konnte und ihr ebenso ein kleines Häppchen gab. Ja, so geht es mit der Konsequenz. Nun bin ich genötigt, Ojos Unverständnis in Kauf zu nehmen, und so gibt es einfach überhaupt nichts mehr. Andern Tags hat Ojo alles schon einkalkuliert und ist nicht einmal mehr an den Tisch gekommen. Er beobachtete uns jedoch aus der Distanz und hätte ich Jypsy nur den kleinsten Bissen gegeben, wäre auch er gekommen und hätte Gleiches gefordert. So erkennen wir das Feingefühl unserer Hunde.
Mit der Verletzung geht es schon bedeutend besser. Ich spaziere jetzt mit jedem Hund separat, und wenn beide mitgehen, dann nehme ich Ojo an die Leine, damit sich Jypsy nicht überfordert. Was würden diese beiden nicht von Herzen gerne zusammen rennen! Jypsy und Ojo verstehen sich weiterhin so gut, dass sie sich sogar erlauben kann, den Fressnapf von ihm auf Übriggebliebenes zu kontrollieren und sogar Wasser aus seiner Schüssel zu trinken. Wenn er sich das Spielzeug oder sonst etwas von Jypsy nimmt und sie sich bemüht, es nicht hergeben zu wollen, und ihm folgt, dann kann ich ihm mit „Aus“ befehlen, dass er es ihr wieder überlässt. Sie dann nix wie los und ab mit der Eroberung und saust in der Wohnung herum. Aber immer wieder muss sie zwischendurch ab in die Box, etwas schlafen, denn sie braucht weiterhin viel, viel Ruhe. Zu Beginn jammerte sie kurz, es ist aber ein angenehmes Fiepen und so reizt es mich immer wieder nachzuschauen, sobald es dann ruhig ist, was sie so macht. Aber ihren Augen entgeht nichts. Sobald man in die Nähe kommt, guckt sie interessiert, um gleich danach ihr Köpfchen wieder zu senken und weiterzuschlafen.
Heute, Samstag, war sie übermütig und zeigte nicht mehr das geringste Anzeichen von Lahmheit. Ich habe ihr eine gepolsterte Einlage ins Auto gelegt, und so hatte sie es nie kühl und konnte sich so richtig einkuscheln. Am Nachmittag trafen wir einen Malinois, Rüde, einen Tag jünger als sie, doch man sieht den Unterschied zwischen Rüde und Hündin. Es scheint in der Natur gleich zu sein wie bei den Menschen. Die Weibchen sind einfach irgendwie früher reif, fertiger, was die Rüden dann später nachholen. Eine liebe Freundin zeigte mir, wie man für einen Malinois die ersten Fährten anlegt. Da meine Hündin hoch im Trieb ist, muss man sie erstmal beruhigen. Man muss die ersten Schritte stets auf das Temperament des eigenen Hundes ausrichten. Jypsy war beinahe zu hektisch, aber wir wagten dennoch eine kurze Fährte. Wir starteten mit einem halben Meter und haben bei jedem Schuhabdruck, die präzis hintereinander folgen, immer zwei bis drei kleine Futterstücke hineingelegt. Danach wurde ein kleines Rechteck (30 x 40 cm) auf der Wiese ausgetreten und dort viel Futter gestreut. Dann nochmals über zwei Meter Schuh hinter Schuh und in jeden Tritt wieder einige Stücke Futter und zum Schluss wurde nochmals ein kleines Feld durch unsere Schuhe ausgetreten und auch dieses wurde mit kleinsten Futterstücken belegt, analog zum ersten Rechteck. Dann holten wir die Jypsy und setzten sie auf die Fährte. Anfänglich suchte sie auch nach rechts und links, doch schon nach dem ersten Feld erkannte sie, dass nur dort Futter liegt, wo es aufgrund der Bodenverletzung anders riecht und suchte nur noch dort intensiv nach Futter, wo der Grasboden mit den Schuhen niedergetreten worden war. Nun ist der Grundstein gelegt, und diese Übung mache ich so vielleicht einmal in der Woche. Hier sieht man, was es bedeutet, in einer guten Gruppe aufgehoben zu sein. Man sagte mir, Jypsy wäre etwas zu schlank für einen Welpen, man sieht die Rippen, und so konnte ich am Sonntag den Welpen auch der Züchterfamilie zeigen, welche ihren Zustand als hervorragend bezeichnet haben. Nun, ich werde die Futtermenge vielleicht doch etwas mehr den Verhältnissen anpassen. Weil es kalt ist und sie sich viel bewegt, gibt’s künftig ein klein wenig mehr Futter.
Eine Woche später bei Neuschnee war Jypsy ausgelassen wie selten. Sie tobte umher, machte Sprünge, schlug Haken, die Freude war ihr diesmal richtig auf ihr gesamtes Gehabe geschrieben. Es war ein herrlicher Spaziergang, wir trafen eine Cairn-Terrier-Hündin und Jypsy erlebte einen Hund, der nie aufgab. Es waren wunderbare Augenblicke. Sie als Welpe wird überall mit Rücksicht behandelt, wogegen sie selbst, ganz speziell nachts, aufmerksam, warnend, sogar knurrend und bellend andere Hunde ankeift. Ojo nimmt das kaum zur Kenntnis, lässt sich zumindest nicht zu Aggressivität verleiten, und so hoffe ich, dass auch Jypsy sich, je älter sie wird, immer weiter beruhigt. Ich vermute, dies Gehabe kommt von ihrer Unsicherheit. Aber mit einem großen Hund und mir neben sich, da könnte sie ja auch nur bluffen, denn im Rudel fühlen sich Hunde immer stärker, und sei dies auch nur im Rudel Mensch und Hund.
Heute spielte ich mit einer weichen Beißwurst, genau wie beschrieben, ließ sie zuerst hineinbeißen und spielte so „mit und bei mir, um Ihr Interesse an dieser zu wecken. Danach verfolgte sie aufmerksam was nun passiert. Wie ich diese unter meine Achsel steckte und weiterging, sie schön bei Fuß neben mir herlief, hob ich meinen Arm, ließ diese nach einigen Schritten als Bestätigung für das aufmerksame Neben-mir-hergehen in ihren Fang fallen. Nun zeigte sie Ojo stolzihre Beute. Sie rannte damit um den halben Platz, kam damit wieder zu mir und als sie diese untersuchen wollte und kurz aus dem Fang ließ, schnappte ich diese wieder, und das Spielchen konnte erneut beginnen. Es ist faszinierend zu sehen, wie sie ein Objekt, wenn ich dies unter die linke Achselhöhle klemme, sie kurz „bei Fuß“ läuft und fixiert, wie eine bereits ausgebildete Hündin. Ihre Konzentration ist beachtlich, und ich bin so richtig stolz, diese Aufmerksamkeit erleben zu dürfen. Ojo holte sich aus lauter Verzweiflung einen Ast, und so spielte ich mit ihm mit dem Stock, während Jypsy ihre Trophäe stolz umhertrug und erst wieder beim Auto fallen ließ. Warum gerade dort, ist mir schon klar, denn der Chef im Auto ist Ojo, und da hat sie immer etwas Respekt und somit andere Gedanken als nur die Beißwurst. Was mich freut, ist ihre Pfiffigkeit. Sie kennt keine Hektik, dreht nicht im „roten“ Bereich, ist wohl überlegt, aber sicher und zielstrebig bei allem, was sie interessiert. Interessant ist, dass Ojo, sofern Jypsy zuerst im Auto in ihrer Box ist, auf sie überhaupt nicht reagiert. Ist aber er zuerst im Auto, bellt er sie an, um zu sagen, das ist mein Auto, was willst denn du hier! So lernte ich, stets meine Jypsy zuerst ins Auto hüpfen zu lassen, denn wer will schon Knatsch, und dies entspricht ja ebenso dem Motto: „Ladys first“!
Jypsy erhielt heute ihr erstes getrocknetes Ohr vom Kalb und verzehrte das mit einem Energieanfall, dass man nur staunen kann. Selbst mein Ojo wurde von der Intensität des gierigen Fressens angesteckt, und auch der verloren geglaubte Futterneid ist bei ihm erwacht. Jetzt frisst er auf einmal nicht mehr wie ein Aristokrat, sondern hat sich wieder zurückentwickelt zum „Schlinger“, was Hunde auch sind.
Die letzten Tage sind in Sachen Sauberkeit erschreckend perfekt, und schon lasse ich ihr wieder mehr Freiheit, respektive ich werde nachlässiger. Ojo ist mehrheitlich im Wintergarten, doch Jypsy liegt oft bei mir im Büro und genießt den wärmenden Teppich. Nach dem Fressen, da möchte sie am liebsten die ganze Welt abbrechen und spurtet herum, als wollte sie sagen: Schaut her, ich bin Wirbelwind und Rumpelstilzchen zugleich. So ein Welpe ist einfach erfrischend. Nur braucht man dazu Zeit, Verständnis und ein liebendes Herz, um alles auch aus einer gewissen Distanz und mit viel Toleranz betrachten zu können. Wenn man bedenkt, was dieser Welpe in diesen zwölfeinhalb Wochen nicht schon alles gelernt hat! Entstehendes Leben ist das reinste Wunder, wenn man mitverfolgen kann, wie es sich entwickelt. Schade ist einfach, dass in der heutigen Hektik des Lebens immer weniger Menschen für so was sich noch wirklich die Zeit nehmen. Tiere brauchen zur Entwicklung die richtige Umgebung und Beschäftigung. Sowohl Überfordern als auch Unterfordern ist schlecht, und den goldenen Mittelweg zu finden, ist genauso eine Kunst wie jedes andere Hobby auf dieser Welt.
Ich mache mir viele Gedanken darüber, was sie von Ojo kopieren vermag und bin überzeugt, dass Hunde viel lernen, wenn wir einfach zum Beispiel „Warten“ sagen, bevor wir eine Straße überqueren. Der eine kann das schon, und der junge Hund lernt es gleich mit. Ich denke mir, dass die Beziehung zwischen zwei Hunden, sofern sie stimmt, für beide Tiere einen Gewinn darstellen kann. Vor allem finde ich, dass die Ruhe meines älteren Hundes meiner Jypsy guttut. Ich finde beide so speziell, dass ich sie einfach gerne beobachte. Wenn Ojo am Fressnapf ist, tänzelt sie in einem Respektabstand von ungefähr einem Meter um ihn herum. Demgegenüber können beide beim Verzehren eines Kalbsohrs im Abstand von zehn Zentimetern nebeneinanderliegen und praktisch Schnauze an Schnauze fressen, und wenn’s dem „Alten“ für einen Augenblick nicht schmeckt, kann sie sogar sein Ohr stibitzen. Kommt er zurück, so nimmt er das neben ihr liegende und knabbert dort weiter. Wenn er dösend daliegt, kann sie hingehen, auf seinem Kopf sitzen und daran abrutschen, um sodann neben ihm zu liegen und ebenso die Augen zu schließen. Ist Jypsy müde, liegt sie meist in der Nähe von mir. Viele kleine Erlebnisse fördern auch die Selbstsicherheit, und gerade, wenn Menschen auf uns zukommen, kann sie mal kurz knurren, bellen oder sich auffordernd diesen in den Weg stellen. In diesem Moment zupfe ich ganz leicht an der Leine und sage ganz normal „Nein“. Schon bald bellte sie nicht mehr so oft und blieb näher bei uns. Sie schaut vermehrt auf Ojo, und der zeigt ihr mit seiner Gelassenheit, dass dies uninteressant sei. Erspäht Ojo hingegen im Dunkeln irgendwo einen Hund oder auch Rehe, so scheint mir, dass dies wie eine Übertragung funktioniert. Beide stehen fast gleich da, den Kopf hoch auf, sie vielleicht eine Pfote leicht angehoben, doch alles ist Spannung pur. Sage ich zu Ojo „Komm zu mir“, dann kommen sie beide zu mir. So beobachtet nur noch er gespannt, benimmt sich jedoch kultiviert, das heißt, er zieht nicht an der Leine, seine innere Erregung erhöht sich lediglich, wenn Wildtiere die Flucht ergreifen. So erkennt man, dass trotz aller Ausbildung und Korrekturen der Beutetrieb nicht so einfach kontrolliert werden kann, da dieser eher im Bereich des natürlichen Instinkts angesiedelt ist.
Morgen fahren wir früh mit Ojo zu einem Kurs. Heute Abend wurde schon der größte Teil der Utensilien samt Schlafbox für Jypsy ins Auto verfrachtet. Somit kann sie sich während der Nacht frei bewegen, und ich hoffe nur, dass ich morgen nichts aufzuputzen habe. Aber riskieren wir es, mein Vertrauen ist groß, und dann sehen wir wieder weiter. Sicher wäre es verfrüht, dieses Experiment schon über Tage oder Wochen machen zu wollen, aber schauen wir, was diese Nacht bringt. Tadellos war ihr Verhalten, und mein Vertrauen zu ihr wurde belohnt. Am Morgen versäume ich es nicht, als Leben wieder in unsere Bude einströmt, sie gleich ins Freie zu bringen, und siehe da, sie versäuberte sich perfekt. Sie hat ebenso gut geschlafen, wie wir alle. So packe ich alles schön zusammen, frühstücke und bemerke, dass dies und jenes noch vergessen wurde. Ich irre umher, die Zeit läuft davon, und wie ich so in Eile schon daran zu denken beginne, wie schnell ich fahren muss, um pünktlich am Ort zu sein, bemerke ich in meinem Chaos und nebst dem Hinuntertragen der Taschen nicht, dass Jypsy nochmals muss. Plötzlich steigt mir ein Duft in die Nase, der mich sofort auf die Pirsch zum „Örtchen“ leitet. Verflixt, auf dem Teppich liegen zwei kleine Würstchen, und so kommt zur gesamten Hetze auch noch dies dazu. So sage ich mir, in Eile sterben soll man nicht, und nehme alles gelassen. Danach aber konnten wir den Schlüssel drehen und ab ging’s.
Oft kommt mir alles wie ein Abenteuer vor. Mit zwei Hunden unterwegs, und vor allem nun mit Jypsy, ist vieles natürlich auch anders geworden. Hunde reagieren auf Veränderungen ebenso differenziert wie wir Menschen, doch das Reisen liebt sie genauso wie Ojo, denn das Auto ist ihre Höhle. Aber mir scheint, es ist allgemein mehr los, wenn Hunde hin und wieder etwas Gesellschaft teilen müssen, weil man sich selbst dabei zurücknehmen muss. Zwei Hunde parallel zu erziehen, ist aber um ein Vielfaches schwieriger, als hätten wir nur den einen. Meines Erachtens hat sie zu Beginn vielleicht nur besser das „Platz“ und „bleib“ umsetzen gelernt, weil Ojo neben ihr ebenso liegen blieb. Aber sämtliche andere Übungen mussten korrekt erlernt werden, als wäre dies ein Einzelhund. Es ist auch zu bedenken, dass auf dem Übungsplatz alles wieder anders, also schwieriger werden wird, denn die Ablenkung ist eine Erschwernis und muss geübt werden.
Auf dem Übungsplatz angekommen machte ich nach der Fährte für Ojo auch eine für Jypsy. Der Boden war hart gefroren, ich stellte auch rasch fest, dass diese Übung für die „Katz“ war. Das Futter verlor sich in unzähligen gefrorenen Löchern, und die Bodenverletzungen waren für einen Welpen zu gering, um einen Lernerfolg zu erzielen. Aber sie war fleißig. Am Ort, beim Abstellplatz unseres Autos im Wald und bei der Vorbereitung zur Fährte für Ojo schnitt ich, um ihn mit etwas Speziellem zu belohnen, getrocknete Lunge. Diese nutze ich zwischendurch als zusätzliche Motivation und Belohnung auf der Fährte. Hierbei müssen mir ein paar kleinere Krümel ins trockene, gefrorene Laub gefallen sein. Wie Jypsy um das Auto herum die Umgebung inspizierte, erschnüffelte sie einige kleinste Krümel. Drei Tage ließ sie keine einzige Möglichkeit aus, um sich immer wieder zu vergewissern, ob sich nicht noch zusätzliches Futter finde. Selbst mit einem Satz ins Wageninnere entdeckte sie dort noch vereinzelt kleinste Futterreste, und so kontrollierte sie mit großer Energie alles gründlich.
Diesen Nachmittag traf noch Jypsys Bruder ein. Er war größer, kräftig, nur seine Ohrspitzen sind noch nicht gefestigt. Am Abend wollten wir mit dem Schutzdiensthelfer prüfen, wie unsere Hunde auf Beute reagieren. Beide zeigten sich bei diesem Spiel hervorragend, und auch Jypsy trug den flauschigen Boudin (Beißwurst) bis zum zweihundert Meter entfernt parkenden Auto. Sie ließ diesen selbst beim Versäubern nicht aus dem Fang. Ich war stolz, denn für sie war dieses Beutespiel aufregend und zeigte die genetische Veranlagung durch das ruhige und feste Griffverhalten.
Am Samstag kamen weitere Wurfgeschwister, und so war es aufschlussreich für jeden, deren Verhalten im Vergleich zu sehen. Es sind praktisch keine Unterschiede festzustellen. Das Temperament gab am ehesten kleinste Hinweise auf geringste Unterschiede. Hingegen Schwächen sind bei keinem feststellbar. Wenn ich selbst für meine Schutzbefohlene natürlicherweise Partei ergreife, ist sie für mich einfach die Schönste, die Beste und die Intelligenteste, aber auch deshalb, weil man eine Beziehung hat, und so werden am Ende alle ihren Hund als den Wertvollsten betrachten. Selbst unparteiische Betrachter attestierten, dass es sich um einen sehr ausgeglichenen Wurf handelt. So kam die noch zusätzlich freie Schwester, welche dem Züchter zurückgegeben wurde, weil die Erstkäufer mit ihr nicht umzugehen verstanden, an diesem Sonntag noch in die Hände einer anderen Hundesportlerin. Daran sieht man, Sporthunde sind nur bedingt Familienhunde, und zwar nur dann, wenn die Halter erfahren sind und mit triebstarken Hunden umzugehen wissen. Es ist durchaus möglich, solche Hunde auch familientauglich zu machen, doch es braucht dazu gute Kenntnisse und vor allem viel Zeit, Liebe, Empathie und Geduld samt natürlich viel Beschäftigung und Auslauf.
Spaziergänge durch den Wald, Spiele mit Geschwistern, Beutespielchen, dies waren ausgleichende Höhepunkte dieses Wochenendes. Ein Bruder ist über einen liegenden, glitschigen Baumstamm gelau fen, als wäre dies die einfachste Sache der Welt. Das Beobachten eines Welpen mit seinen täglichen Fortschritten ist faszinierend. Einen solchen Hund zu bekommen, ist Glücksache, ja von mir aus gesehen, wie ein Sechser im Lotto! Aber jeder Hund wird vom Hundeführer geprägt und kann entsprechend entwickelt werden.
Heute früh sprang sie das erste Mal mit einem Satz ins Auto und in die Box. Es ist unglaublich, wie energiegeladen ein so junger Hund schon ist, wie willensstark er seine Sprungkraft einsetzt und wie rasch sich die Muskulatur entwickelt. Schon bei der Heimfahrt überraschte sie mich mit einem Scharren im Auto, was Notdurft signalisierte. Ich hielt an und zwei Minuten später hatte sich ihr Drang erledigt. Jeden Tag entwickelt sich der Hund, und nicht nur das „Wachsen wie ein junger Hund“, sondern auch die täglichen Fortschritte in seinem Verhalten sind überraschend und beglückend.
Wie perfekt die Natur so kleine Lebewesen ausstattet und wie schnell die Anpassung an jegliche neue Umgebung geschieht, macht mich sprachlos. Würde ich übertreiben, könnte ich behaupten, Jypsy sei bereits „stubenrein“. Ja wirklich. Am Nachmittag, als die Sonne schien, öffnete ich den Wintergarten, und so geht sie nun problemlos selbstständig hinaus, wenn sie muss, und dies ist beachtenswert. Sie weiß schon ganz genau, wo das Futter deponiert ist und weiß auch, dass, wenn wir nach Hause kommen, jeder etwas zu naschen bekommt. Gehe ich kurz aus der Wohnung und komme zurück, gibt es ebenfalls eine Kleinigkeit, doch sie setzt sich bereits schon kurz nach meiner Rückkehr so auffordernd hin, dass ich manchmal denke, wie kann sie das alles bereits in ihrem Kopf behalten. Hunde haben offensichtlich ein hervorragendes Situationsgedächtnis.
Die Hausschuhe nimmt sie nicht mehr zum Spielen. Ich habe diese, nachdem Jypsy sie mit Vorliebe geschnappt hat, um daran herumzukauen, weggenommen. Mit „Nein“ ließ sie „aus“, sodann nahm ich die Pantoffeln und schlug diese über Möbel und Kanten, warf diese auf den Boden, trampelte wütend darauf herum und so nach dem dritten Mal lässt sie nun die Schuhe dort, wo sie sind. Ich kam mir bei dieser Handlung vor wie ein Idiot, aber ich freue mich über den Erfolg und auch darüber, dass sich hierdurch unsere Beziehung nie eintrübte und das gegenseitige Vertrauen erhalten blieb. Allerdings gibt es Situationen, wo ein Hund auch anders reagiert. Jeder Hund reagiert nie gleich und so ist es möglich, dass er den Hausschuh verteidigt und mich angreift um seinen Schuh zu verteidigen. In dieser Situation muss man andere Versuche ausloten, immer mit dem wichtigsten Ziel, keinen Vertrauensverlust zu riskieren. Man kann beliebte Gegenstände einfach wegsperren, oder durch ein konsequentes „Nein!“ und anschließendem Zurücklegen seine Tätigkeit unterbinden, doch mit etwas Fantasie schafft man es ebenso, dass die Dinge für den Hund uninteressant werden, nur braucht dies mehr Engagement, was aber auch positiv für die Hund-Mensch-Beziehung sein kann, denn beide lernen dabei.
Sie hat heute zum ersten Mal voller Stolz das „Tuch“ aus der Welpenkiste zum Spielen aus der Box geholt und dies in der Wohnung herumgetragen, geschüttelt und gezerrt. Ojo respektiert dieses spezielle Welpentuch und überlässt es ihr. Früher half er, ein Tuch einfach zu zerreißen, doch heute, vielleicht durch den ganz persönlichen Geruch aus Jypsys Wurfkiste und ihrer Geschwister, wird er dies wohl in diesem Sinne respektieren und als Eigentum von Jypsy vollends akzeptiert haben.
Auf dem Spaziergang nimmt sie öfters noch ein Stück Papier oder sonst etwas auf. Sie hätte es liebend gerne, wenn ich, anstatt „nein“ zu sagen, ihr nachrennen würde. Doch sie hat gelernt, auf ein konsequentes „NEIN“ dieses Papier fallen zu lassen, und sucht sich so rasch wie möglich einen Ersatz oder geht zu Ojo und traktiert seinen Nackenpelz. Dies ist ein Ausdruck des Nichtverstehens, welcher sich durch eine irrationale Handlung anzeigt. Je weniger man eingreift, umso weniger ist der Hund eingeschüchtert.
Jetzt ist sie schon dreizehn Wochen auf der Welt und praktisch die fünfte Woche bei mir. Wenn man sie so betrachtet, stellt man die vielen Feinheiten einer Entwicklung fest. Wie vielfältig werden bereits Düfte interpretiert und unterschieden, Geräusche erkannt sowie das sich Einfügen in eine gemischte Gemeinschaft verarbeitet. Es ist einfach enorm, was so ein kleiner Hund bereits bewältigt. Die Folgen von Unverständnis und falscher Einwirkungen zeigen sich zu diesem Zeitpunkt weitaus rascher, denn die Sinne sind in einem Maße auf Empfang gestellt, dass Jypsy all die Erfahrungen bereits verarbeitet und entsprechende Reaktion postwendend zeigt. So tauchen plötzlich Reaktionen auf, deren Ursprung und die Art der Verknüpfung für uns oft ein Rätsel sind, dann wieder ein „Aha-Erlebnis“ hervorrufen, weil wir einfach nicht alle Beeinflussungen genau mitbekommen haben. So kann man sagen, dass eigentlich jeder den Hund bekommt, den er verdient, weil der Hundeführer die wichtigsten Prägungserlebnisse durch seinen Umgang miterlebt und mitgestaltet. Doch hierüber können wir sinnieren, wie wir wollen, jeder Mensch ist verschieden, und oftmals können wir nur in der Theorie über unseren eigenen Schatten springen und ärgern uns im Nachhinein über die seinerzeit unüberlegte Reaktion unsererseits. Aber solange ein humaner Umgang gepflegt wird, kann vom Hund doch einiges verziehen werden, und hierin liegt gerade das Wunder dieser Wesen. Wir können auch später noch kleinere Fehlprägungen mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen korrigieren. Grobe Fehler bleiben eingeprägt bis zum Lebensende und sensible Menschen erkennen durch entsprechende Reaktionen des Hundes, was ihm durch Unverständnis möglicherweise angetan wurde. Es gibt Leute, die einen Hund aus solchen Gründen verkaufen, und deshalb sind Tiere aus zweiter Hand zumeist mit Risiken behaftet, denn wir wissen nie, wie wir uns unverständlichen Reaktionen unseres neu übernommenen Hundes gegenüber zu verhalten haben oder seine Reaktionen zu interpretieren hätten. Der Vorteil eines Halters, der seinen Hund von klein auf kennt, liegt in der Kenntnis sämtlicher wichtiger Vorfälle in seinem Leben. Er kann so unter Umständen ihm bekannte alte Wunden „heilen“, „schminken“ oder wie man das auch sagen will. Dies ist auch der Grund, weshalb ich dies alles so gewissenhaft aufschreibe.
Im Leben gibt es Zufälle und glückliche Umstände, die einem die Augen weiter öffnen, und gerade dies war die Begegnung mit Frau Ingrid Korte mit ihrem Cairn-Terrier, die mir im Gästebuch einen Tipp gab für ein interessantes Buch „Calming Singnals“ von Turid Rugaas. Ich habe das Buch zu Silvester dann erhalten und sofort mit dem Lesen begonnen. Einfach faszinierend, man sah ja bereits alles, aber man hat es oftmals nur halbwegs verstanden, denn es gibt ja so vielfältige Ansichten und Theorien über die Stimmungen, die vom Hund ausgedrückt werden. Ich merkte, dass ich eigentlich auf dem richtigen Weg war. Da der Hund ja noch nicht mir gehört – er ist mir nur anvertraut – war ich aus dieser Verpflichtung heraus vielleicht nachsichtiger und zurückhaltender als seinerzeit bei meinem Ojo, obwohl es ihm nicht schlecht ergangen ist. Dieses Buch über Beschwichtigungssignale unserer Hunde sollte jeder Hundebesitzer im Grunde lesen, sofern er die Signale seines Hundes verstehen will. Ich möchte jetzt nicht schon behaupten, mich darin geübt zu haben, doch schon vorgängig beobachtete ich meine Hunde und war oft zurückhaltender mit verschiedensten Beeinflussungen. Hunde sind kommunikativer und intelligenter, als wir denken mögen. Wenn sie nur den Ton des Motors der Brotschneidemaschine hört, fliegt meine Jypsy über die Türschwelle zur Küche und setzt sich auffordernd vor mich hin, denn Brot ist lecker und dies hat sie sogleich erfasst. Sie lernt so unglaublich schnell! Sie setzt sich in Erwartungshaltung hin und sagt mir, was sie will. Genauso, wenn sie scharrt, will sie hinaus. Auch Ojo hat die verschiedensten Eigenarten: Er bringt mir einen kleinen Gegenstand, ich frage ihn, was soll das, dann hüpft er mir voraus, geht zum Wintergarten, ich lass ihn hinaus, er steckt nur kurz den Kopf hinaus, dreht sich, kommt hinein, und sagt mir, indem er zur Futtertonne geht, du hast mich vergessen …! Ich habe Hunger! Ein Hund ist kein reiner Befehlsempfänger, ein Hund ist Partner und Freund zugleich. Je besser man aufeinander zugeht, je freudiger und harmonischer entwickelt sich unsere Beziehung. Dass der Hund starke soziale Fähigkeiten besitzt, wissen einige und wie harmonisch sich Beziehungen weiterentwickeln ebenso, nur ist das nicht immer präsent in der täglichen Wirklichkeit. Unsere „Laune“ spielt uns oft einen bösen Streich, weil wir geneigt sind, Disharmonien stets am schwächsten Glied auszuleben, oder uns einfach abschotten, da uns eigene Probleme beschäftigen und wir den Hund deshalb etwas vernachlässigen.
Heute am Neujahrsmorgen, wir waren früh unterwegs, es wurde schon langsam hell, ließ ich Jypsy frei, Ojo an der Rollleine, und wir tauchten in den Wald ein. Noch selten wurde ich der Stille so gewahr wie heute. Obwohl am Rande einer großen Stadt, war praktisch das Rauschen des Verkehrs kaum mehr zu hören. Vereinzelte Vogelstimmen erklangen so klar, dass man meinte, so eindrücklich dies noch nie gehört zu haben. Ojo und Jypsy waren mit dem Lesen von Fuchsfährten beschäftigt, und plötzlich sahen wir etwa fünfzig Schritt vor uns vier Rehe den Weg überqueren. Ojo reagierte unmerklich, denn Rehe wurden ihm zum Tabu erklärt. Welche Eleganz diese Tiere im Übersetzen eines Weges an den Tag legten. Sie waren wahrscheinlich schon von uns verunsichert, doch es war keine eigentliche Flucht, sondern eher ein elegantes und von Lebensfreude zeugendes Übersetzen und wieder Eintauchen ins Dickicht aus Sträuchern und Bäumen. Wir alle standen da, Jypsy frei, aufmerksam, beobachtend, und ich sagte nur leise … „Rehe sein lassen, so ist‘s brav“, dann gingen wir weiter. Solche Erlebnisse sind einfach etwas für die Seele und machen das Aufstehen am Morgen zum persönlichen Glück, obwohl man dies zuvor nicht gedacht hat und lieber liegen geblieben wäre.
Der heutige Tag war in seiner Ganzheit wunderschön. Wir begaben uns noch auf den Hundesportplatz, wo ich versuchte, den Befehlston sowie das Zurückkehren zum Hund zu ändern, und siehe da, es geschah wirklich so wie im vorgängig erwähnten Buch beschrieben, weniger laut, weniger hart und mit mehr Freude in der Stimme und er machte das „Sitz“ mit Bravour. Ich war so beseelt, dass ich dachte, so, jetzt gehen wir zusätzlich noch spazieren und gab der Jypsy und Ojo je einen „Kong“ (Ball mit Schnur), zupfte daran, was Ojo jeweils als Aufmunterung zum gemeinsamen Spiel interpretiert und mir danach oftmals die Schnur entgegen hält, um seinem Wunsch Ausdruck zu verleihen, ich möge weiterkämpfen. Selbstverständlich ließ ich Ojo und Jypsy immer gewinnen. Jypsy war so stolz, den Kong von Ojo tragen zu dürfen, und stolperte auf der schneebedeckten Wiese damit vor uns herum. Sie zeigte sich selbstbewusst und freudig. Es war rührend, wie Ojo, als sie den ihren liegen ließ und an der Schnur des Kongs von Ojo mit allem Einsatz zerrte, ihr den seinen einfach überließ. Ich lobte ihn dafür sehr, suchte den liegen gebliebenen von Jypsy und warf ihm diesen zu, damit auch er wieder einen hatte.
Am Abend füllte ich ihre Fressnäpfe, wollte aber zuvor noch mit Ojo das Halten eines Gegenstandes üben. Zur Belohnung erhielt er ein kleines Stück getrockneter „Lunge“. Sein Fressen stand bereit, aber der Reiz der Lunge war vorerst größer. Plötzlich hörten wir, dass sich Jypsy am erhöhten Futternapf von Ojo im Wintergarten bereits zu schaffen machte. Ojo ging hinaus, Jypsy blieb am Topf, bis Ojo ganz in der Nähe war, füllte sich ihren Fang und ließ sodann einen Teil auf den Boden fallen. Somit lag einiges an Futter auf dem Boden. Dort fraß sie seelenruhig weiter und kümmerte sich nicht um Ojo. Kaum hob sie ihren Kopf, da erstarrte Ojo, Jypsy zog den Kopf wieder ein und entfernte sich in einer sogenannten Demutshaltung mit gesenktem Kopf, den Anschein vorgebend, etwas zu suchen. Im Augenblick genießt sie noch die wirklich vollkommene Narrenfreiheit (Welpenschutz), doch wie lange dies noch dauert, habe ich ja gelesen. In wenigen Wochen wäre so ein Verhalten bereits kritisch und könnte von Ojo sanktioniert werden.
Manchmal kommt es mir frühmorgens vor, als wäre das linke Ohr von Jypsy wieder etwas weicher, doch im Wald ist alles wieder angespannt, und die gesamte Aufmerksamkeit gilt der Umgebung. Heute früh trafen wir einen jungen Mann allein auf dem Waldweg, auf weiter Flur kein anderer Mensch, und da zeigte sich Jypsy diesem Gegenüber etwas unsicher. In ihrem Alter lasse ich sie stets frei mitlaufen. Der Mann gab mir ein Zeichen, dass er Jypsy begrüßen wolle, und so ging ich ihm mit Ojo entgegen. Jypsy umkreiste den Mann und wurde dann zutraulicher. Vorerst dachte ich an Unsicherheit, doch wenn sich dies alles so rasch legt, ist es eher mit Vorsicht vergleichbar. Später kamen noch mehr Menschen, doch die Hunde nahmen kaum mehr Notiz, denn das Schnüffeln nach Wildspuren war für sie weitaus spannender.
Interessant ist auch die Feststellung beim Spiel, dass ein junger Hund eher der Hand folgt als der darin gehaltenen Schnur oder dem Ball. Zudem ist die Koordinationsbegabung noch nicht so ausgereift, um einem Gegenstand, z. B. Kong mit Schnur, zu folgen, wenn dieser weiter als zwei bis vier Meter geworfen wird. So erkennen wir langsam die Entwicklungsschritte eines Welpen und können miterleben, wie auf den verschiedensten Ebenen unsere Hunde sich weiterentwickeln. Somit ist klar, dass Spiele in diesem Alter einfach gehalten werden müssen und eher über Nasenarbeit und Merkfähigkeit dies oder jenes versucht und gefördert werden soll. Prägungsphase heißt eben auch das Erkennen sinnvoller Anreize. Wie schnell ist so ein Welpe auch überfordert. Oftmals sehe ich, dass Jypsy sich den Kong von Ojo schnappt und diesen wie Ojo herumträgt. Der große Unterschied liegt hauptsächlich darin, dass Jypsy den Kong vermehrt an der Schnur fasst und sich darüber freut, wie er um sie herumbaumelt.
Heute Nachmittag, den 02.01.04 habe ich mich entschlossen, Jypsy für immer zu mir zu nehmen. Diese Überzeugung ist voller Zuneigung zu meinem Hündchen täglich gewachsen, denn ich verfüge über ein tolles Umfeld, das mir hilft, meinen Hund erfolgreich aufzuziehen und mit ihm auch Hundesport zu betreiben. Ich weiß, es ist eine große Herausforderung, doch gerade dies macht das Leben auch so spannend. Für mich ist dieser Entscheid wie zwei Mal Weihnachten!!!!! Ich werde aber deswegen nicht aufhören zu schreiben, denn vielleicht kann ich dem einen oder anderen hiermit etwas mitgeben. Gleichzeitig betone ich aber gleichwohl, dass Beobachtungen und Erlebnisse von Hund und Hundeführer immer differenziert erlebt werden und dies keine Anleitung zur Prägung ist. Ich schreibe hier nur über meinen Welpen und für den einen oder anderen könnte dies ein Anreiz sein, ebenso sorgfältig mit seinem Welpen umzugehen.
Seit fünf Tagen ist meine Jypsy zu Hause stets frei, Tag und Nacht, hat nichts angenagt oder Unerlaubtes gemacht, sich auch nicht in der einen oder anderen Form versäubert, was ich durch eine klare Tagesstruktur wirklich schon optimal im Griff habe. Ich mache mit ihr nie das Spiel im Sinne von „Fang mich“, sondern versuche, wenn ich sie zu mir rufen will, mich selbst interessant zu machen. Ich hatte mit Ojo viele Fehler gemacht, die ich möglichst vermeiden will, doch wer ist schon fehlerfrei. Schnell ist etwas passiert, das der Hund anders verknüpft, als wir beabsichtigten, doch es ist nie alles so grundlegend prägend, dass es nicht mit einem richtigen korrigierenden Spiel wieder in Ordnung gebracht werden könnte.
Erneut in der Spielstunde für Welpen, es war kalt und so fehlten einige. Zu Beginn waren wir eine recht große Gruppe, dann aber hat Frau Berlowitz persönlich sich den drei kämpferischsten Individuen angenommen, unter diesen auch Jypsy. So genossen wir eine wiederum sehr interessante Zeit unter kundiger Anleitung, und es ist gut, wenn ein geschultes Auge die Übersicht hat und erkennt, welche Welpen entfernt werden sollten, damit für alle Lernerfolge entstehen können und nicht zwei oder drei „Tyrannen“ das Spielgeschehen beeinflussen und schwächere Hunde kaum mehr die Möglichkeit haben, ihre Signale auszusenden, um verstanden zu werden. Sehr oft sieht man in solchen Momenten sensible Hundebesitzer, die Angst um ihren Liebling haben, doch alles ist hier unter Kontrolle. Jypsy braucht einfach ältere Partner oder gleich starke, um einen ausgeglichenen Umgang mit Hunden zu erlangen, denn die für Leistungshunde gezielt gezüchtete „angekratzte“ (leichte Unsicherheit) Wesensart, könnte schnell in Lust auf Aggression münden, und hier ist der richtige Platz, wo solches Verhalten auf elegante Weise und natürlich durch gleichwertige Wesen sofort erkannt und das Gleichgewicht hergestellt wird. Frau Berlowitz und Herr Weidt machen für Diensthunde der Polizei noch einen speziellen Parcours. Diese Hindernisse, die sehr viel mit Gleichgewichtskontrolle und Alltagssicherheit zu tun haben, sind sehr lehrreich für Hunde. Ich bedauere, dass Frau Berlowitz keine Zeit für die Sporthundeführer hat. Sicher kann man auch im Wald mit Baumstämmen, über aufgeschichtete Scheiterbeigen, schmale Stege und schwankende Brücken usw. den Hund trainieren, doch die Effizienz einer durchdachten Anlage ist reichhaltiger und abwechslungsreicher. Aus diesem Grunde habe ich seinerzeit mit Ojo noch einen Welpenkurs bei Hans Schlegel in Gansingen besucht, denn was die Anlage anbetraf, habe ich bis heute nichts Idealeres kennengelernt.
Damit der Welpe nicht an der Leine zieht, haben wir heute noch speziell geübt: lose Leine. Wenn der Hund zieht, bleiben wir stehen, auch wenn es Minuten dauert. Kommt er zurück, erst dann geht’s weiter. Dies alles praktisch wortlos, und so prägen wir frühzeitig unseren Hund, mit uns zu gehen, und wir haben nicht mehr das Problem, dass der Hund zu sagen versucht, wohin der Weg führen soll. (Was aber seiner Zeit noch niemand wusste, ist, dass mein Hund hyperreaktiv ist, und daher aus seiner Natur heraus immer zieht. Dies verstand ich aber erst später.)
„Sitz“ und „Warten“ ist jetzt an der Reihe, und dies üben wir zwischendurch mit Futtergabe als Belohnung. So wird die Zeit bis zur Belohnung stets weiter ausgedehnt, und sobald ich das Gefühl habe, dass sie das „Platz“ verstanden hat, versuchen wir diese Übung auch auf diese Weise. Das Ziel ist, die Wartezeiten so auszudehnen, dass der Hund ganz von sich aus das „Platz, bleib“ lernt. Dies muss zu Beginn alles noch ohne Ablenkung geschehen (in der Wohnung oder allein auf dem Feld). Das „Steh“ und „Warten“ üben wir ganz beiläufig, und zwar einfach beim Streicheln, bei der Haarpflege oder beim Anhalten am Gehsteig, weil wir ja auf den Verkehr achten müssen. So vergeht kein Tag, ohne dass der Welpe nicht etwas lernt oder nicht auch unbewusst übt. Fehler lernen die Hunde leider ebenso schnell, und so gibt es eben sanfte Korrekturen. Auch die kleinsten Einwirkungen müssen immer der möglichen Verständnisqualität des Hundes entsprechen. So z. B. ein Pfannendeckel, der durch das Ziehen am Tuch plötzlich über die Tischkante rutscht und richtig Lärm macht oder mit einer Wurfkette, die neben den Hund fällt und ihn erschreckt, oder man lenkt durch Zurufen ab und bietet etwas anderes an wie ein Kartonschnipsel oder sonst was. Nur konsequent nichts anzubieten, kann den Hund erstaunen und frustrieren, und er lebt sodann als Ersatz eine andere Reaktion aus, über die wir kaum Kontrolle haben (Benagen von Möbeln/Teppich oder auch „nuckeln“ an Kissen, Leintüchern etc.).
Hundehalter, die wir treffen, erkennen besser, wie Jypsy bereits gewachsen ist als ich selbst. Für mich scheint sie noch immer die Kleine der ersten Tage zu sein. Ihr Verhalten bei entgegenkommenden Spaziergängern hat sich bereits gewandelt, und stürmte sie bis vor Kurzem ihnen entgegen, glaubend dort gäbe es Futter, so wurde sie bereits bedeutend gelassener. Seit ich sie den Befehl „Hierbleiben“ lehrte, beginnt sie nicht mehr auf diese Menschen zuzugehen, sondern betrachtet mich, dann Ojo, und mit meiner Aufforderung „komm zu mir“, geht’s dann wunderbar weiter. Auch Füttern hilft da sehr, aber nicht jedes Kommando wird kontinuierlich belohnt. Es wird noch viel brauchen, bis alles so ist, dass es passt. Einen sensiblen Hund kann ich durch einen Ruck an der Leine in seinem Verhalten so ändern, dass er bei mir Schutz sucht, und sich für einige Zeit kaum noch getraut, weiter wegzugehen, geschweige denn zu ziehen. Ein triebstarker Hund versucht dies immer wieder, und in seinen Trieb merkt er eine kleine Einwirkung nicht einmal. Daher ist es wichtig, so früh wie möglich vieles dem jungen Hund klar zu machen und zu üben, um nicht später nur noch wenige Mittel zu haben, das Verhalten des Hundes zu ändern. Solange er so niedlich und klein ist, sagen viele „ach lass ihn doch, er ist noch so klein, schau mal was er hier macht“ und freuen sich an üblen Gewohnheiten ihres Hundes. So lassen sie ihm Freiheiten, die später zu Problemen ausarten und umso mehr Druck zum Eliminieren benötigen. Es genügt zu wissen, dass starke Hunde selbst deren Führer testen, ob er wirklich das Leittier ist oder „vielleicht“ auch der Hund Chef sein könnte. Daher ist ein rasches und konsequentes Handeln immer wichtig. Viele haben Angst vor ihren Hunden und meiden Konfrontationen, z. B. wenn er beim Fressen knurrt und mich nicht mehr zum Futtergeschirr lassen will. Wenn ich ihn hier nicht mehr anfassen kann, ihm nicht mehr in den Napf greifen kann, ihm keine Knochen aus dem Fang nehmen darf, bedeutet es, dass er sich durchzusetzen versucht. Wer sich gegen seinen Hund in dieser Situation nicht behauptet, verliert die ganze Harmonie, denn der Hund ist nichts anderes als eine Unterart des Wolfes, die versucht ist, für sich einen Vorteil zu holen, und wird er nicht in die Schranken gewiesen, was Leitwölfe ebenso tun, wird er zu einem unberechenbaren Hund. So erkennen wir auch zu einem gewissen Teil unsere Stellung in der Rangordnung in unserem Rudel. Das Herausgeben von „Beute“ oder „Knochen“ muss deshalb geübt werden, denn wenn der Hund mal erst erwachsen ist, könnte er echt zulangen. Dazu wird es ja nicht kommen. Schließlich hat er eine „anerzogene Hemmung zum Biss“, die wir ihm ja beigebracht haben, indem wir „Au“ riefen, als er uns mit den Zähnchen damals als kleiner Welpe zu unsanft anfasste. An dies kann sich jeder Hund erinnern. Auch im täglichen Spiel zeigen wir ihm ja stets, wenn’s wehtut, und damit das Spiel beendet werden könnte.
Hiermit möchte ich sagen, dass vieles viel früher beginnt, als manche denken, und daher schreibe ich so ausführlich darüber. Der Hund mit einem konsequenten Führer ist weitaus glücklicher als derjenige, der in einer unklaren Erziehung und Beziehung aufwächst, oder wenn die ganze Familie an ihm, jeder auf seine Weise, herumzerrt.
Wenn Jypsy, wie heute Morgen, in der Ferne etwas verbellt, dann erschien mir dies als kleine Unsicherheit etwas Fremdem gegenüber. Alle anwesenden Hunde schauten in die Richtung der Jypsy, doch legte sich alles ganz langsam, sobald die älteren Hunde sich abwandten. Hierin erkenne ich ihre Aufmerksamkeit, aber ich muss diese nicht unterstützen, sondern gelassen warten, bis sich der Hund von selbst beruhigt. Würde ich dies unterstützen und lobend „Brav“ sagen, so würde ich sie zu einem Hund erziehen, der die Aggression aus einer gewissen Angst heraus beinahe wie ein Selbstläufer auslebt, und dies kann nicht das Ziel sein. Diese Hunde müssen auch durch uns lernen respektive durch unsere Passivität und ausgestrahlte Ruhe und Besonnenheit.
Noch in der Dunkelheit entdeckte sie heute früh auf dem Spaziergang einen Jogger. Sie startete durch und hat dabei vergessen, dass sie an der Rollleine oder Auszugsleine festgebunden ist, die ihr ihren Angriff nur für einige Meter ermöglichte. Leider wurde sie vom Ende der Leine unsanft gestoppt, und wie sie dann wieder zu mir kam, lobte ich sie für ihr „Zurückkommen“, und der Jogger verlor ihr Interesse. Der lief danach an uns vorbei und Jypsy schaute ihm wohl nach, reagierte aber nicht mehr und ist nun um eine Erfahrung reicher. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie zuerst zurückrufe oder ob es besser wäre, sie laufe einfach in die Leine. Bis ich das durchdacht hatte, war alles schon geschehen, und ich denke, ihrem Verhalten nach zu urteilen, verband sie den Ruck mit dem Jogger.
Heute überlege ich, dem „Sitz, Warten und Platz“ noch einen weiteren Befehl hinzuzufügen. Ich begann das erste Mal mit dem „Hier“ und nutzte die lange Leine, um meiner Forderung etwas Nachdruck verleihen zu können. Ich war mit beiden Hunden unterwegs, doch wie Ojo dieses Kommando hörte und ich Jypsy mit einem leichten Zupfen an der langen Leine auf mich aufmerksam machte, begannen beide zu mir zu laufen, um eine Belohnung zu ergattern. Ojo sah meine Haltung und wusste, dass ich in meiner Hand etwas verberge, und wäre zu Tode betrübt, würde ich ihn nicht auch belohnen. Bis heute rief ich Jypsy einfach mit „komm“, „zu mir“ oder lockte sie durch andere Wörter, legte aber keinen Wert auf rasche Ausführung, belohnte aber auch nicht immer mit Futter. So gingen wir des Weges, und wie ich das Spiel der beiden am tollsten fand, rief ich „hier“ und schon waren die da und forderten großes Lob. Später, als Jypsy allein weiter entfernt war und ich sie wiederum direkt rief, stürmte sie heran und sprang zu mir auf, als hätte ich zu einem Fest geladen. Ich habe dann nichts übertrieben und wechselte ab mit den verschiedenen Belohnungsformen und siehe da, das Heranrufen weckte automatisch die Erwartungshaltung nach Futter, doch es gab keines, sondern ich zeigte nur die leere Hand, die sie leicht berührte und wieder von dannen rannte. Ich merkte, dass, wenn ich die Hand am Köper gegen sie öffne, sie auch nicht in mich hinein- noch hochspringt, sondern sie schien zu verstehen und berührt diese nur mit der Schnauze. Beinahe, um zu sagen: Ok, ich mag Dich, aber ich bin da und ich sagte dann, „Voilà, so ist es brav, geh frei“ und lasse sie mit diesen Worten wieder springen. Wenn man „Hier“ ruft und den Hund danach stets an die Leine nimmt, wird sein Herankommen verlangsamt. So soll man dies öfter rufen, aber nur auf das Befolgen dieses Wunsches achten, um also dann den Hund gleich wieder freizugeben.

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