Traumhund, Buch von Emil Keller

Keller_Traumhund_Cover

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Spiel mit dem Kong (Gummiball mit Schnur) für Jypsy zu einer zu aggressiven und beutebezogenen Haltung führte. Deshalb sparte ich, für eine gewisse Zeit, diese starke Motivation nur für das Fuß-Kreislaufen auf. Ich kann dies auch abwechselnd tun mit augenblicklichem Schwergewicht auf Belohnung durch Futter. Futter beruhigt mehr und ist in solchen Momenten eher hilfreich. Wenn der Hund im Trieb so hochläuft, dass es in leichte Aggression mündet, dann soll man wissen, dass mit Futtergabe Hektik und überbordendes Verhalten abgebaut wird.
Alles, was wir als Welpe gemacht haben wie „Platz“, „Sitz“, „Platz Warten“ und selbst das „Steh“, üben wir immer wieder. Es braucht viel mehr Zeit, als wir denken, bis alles sitzt und gerade jetzt, wo gewisse Hunde bereits ins Flegelalter kommen, braucht es Geduld und Verständnis. Und geht etwas nicht mehr, so beginnen wir mit aller Liebe wieder am Anfang. Die Jugendzeit soll behutsam gelebt werden. Unnötige Enttäuschungen für den Hund muss man absolut vermeiden, denn für Perfektion ist es noch viel zu früh. Jetzt geht es nur darum, dass der Hund die Kommandos lernt und freudig befolgt und natürlich um gemeinsames Spiel.
Wichtig ist auch, dass wir nie denken, der Hund will nicht, sondern wir suchen die Erklärung bei uns, in unserem Verhalten. Sollte der Hund in gewissen Dingen Einschränkungen unterliegen, lassen wir ihn noch reifen. Kein Hund ist gleich in der Entwicklung. Der Deutsche Schäfer ist zumeist etwas langsamer als ein Malinois, eine Hündin meist etwas schneller als ein Rüde, aber am Ende sind praktisch alle gleich gute Hunde. Der harmonische und liebevolle Aufbau ist mit Sicherheit das Wichtigste für die Zukunft der Teamarbeit.
Wie oft sind wir nicht in richtiger Stimmung und sollen bereits im Verein Erlerntes vorführen. Das geht zu Beginn gerne in die „Hosen“, denn der Hund, wie wir selbst, ist möglicherweise im Augenblick nicht in der gleichen Welt. Daher sind die kleinen Übungen im Alltag und während unserer Spaziergänge auch so wertvoll und wichtig. Mit der Reife kommt später auch die Konstanz, und mit der Konstanz erst unsere innere Sicherheit, und mit dieser Ausstrahlung (Freude und Überzeugung) fühlt sich auch der Hund besser. Ist die Belastbarkeit schon sehr gut, so können wir beim „Sitz“ beginnen, mit der linken Hand den Hund durch ganz leichtes Antippen an der Lende zu schnellerer und korrekterer Ausführung anzuhalten. Diese Hilfen, die später wieder abgebaut werden, leisten gute Dienste, und zu alledem behalten wir die absolute Kontrolle über den Hund, vor allem wenn wir ohne Begleitpersonen üben. Üben wir allein, besteht die Gefahr, dass wir den Lernfortschritt kontrollieren wollen und uns dem Hund leicht zuwenden. Dies führt zu einer Köpersprache, die das Tier ebenso lernt wie das reine Zuhören, nur muss dies später konsequent abgebaut werden, indem eine Begleitperson kontrolliert, ob der Hund, ohne dass ich mich ihm zuwende, die Stellungen korrekt ausführt. Sollte er in der Fehlerstellung verharren, kann ich ihn mit der Hand korrigieren, oder sogar etwas später unter „Stress“ setzen, wenn ich die Aufforderung fordernd einige Male schnell hintereinander wiederhole. Doch dies erst, wenn er den Befehl wirklich auch versteht.
Aufgrund einer Fußoperation und des Schnees konnte ich die vergangenen zwei Monate nicht mehr üben. Nun habe ich wieder begonnen und festgestellt, dass meine Jypsy nichts vergessen hat. Durch viel Trieb ist sie etwas hektisch, das habe ich aber mit viel Futter zu Beginn der Fährte korrigiert. Die Fährtenarbeit ist eine Fleißarbeit. Ich habe mit ganz kurzen Übungen wieder begonnen, zu Beginn nur eine Schlangenlinie mit viel Futter, dann einige Tage später eine etwas längere und so gehe ich weiter. Ich bin absolut kein Fährtenweltmeister, im Gegenteil, dies war auch die große Schwäche von Ojo. Jypsy ist hier ganz anders im Trieb- und Suchverhalten. Sie ist fleißig und will suchen, und trotzdem braucht es hier oftmals erfahrene Hilfe durch gute Übungsleiter. Ein triebvolles Suchen kann beim Hund beim Verlust der Fährte in einem Winkel zu hektischem Verhalten führen, doch bleiben Sie gelassen, dies korrigiert sich meist mit der Zeit von selbst. Dem Hund Vertrauen schenken, mit ganz wenigen Hilfen, aber mit umso mehr Freude und Motivation helfen Sie, den Hund selbstsicherer zu machen.
Jeder muss selbst beobachten, wie sich sein Hund verhält. Wichtig: Die Stimmung muss so sein, dass wir uns freuen und für den Hund da sind, und nicht um zu zeigen, wie gut wir sind und wie gut wir den Hund beherrschen. Funktioniert irgendwas nicht richtig, sofort einen Schritt zurück und neu beginnen, aber wohl verstanden, erst vielleicht am übernächsten Tag und nur mit einer kleinen Fährte. Alles Schimpfen oder Korrigieren nützt nichts. Unser Ehrgeiz, einen ebenso guten Hund zu haben wie der Kollege aus dem Verein, sollte nicht existieren. Grob unterteilt folgen triebstarke Hunde der Fährte intensiver. Andere, eventuell voller Hektik und die Dritte Gruppe, über das Auslassen einer Mahlzeit. Dies wirkt dann als Motivationsverstärker, doch ist es so, dass zu viel Hunger ebenso schlecht sein kann wie zu wenig. Wir hören so viele Meinungen die uns helfen, daraus anzuwenden, was uns richtig erscheint. Dann aber setzen wir uns eine gewisse Zeit durch und sehen, wie sich diese Variante entwickelt. Ständig etwas zu ändern, verwirrt den Hund. Meine Grundsatzmeinung dazu ist die, dass, wenn der Hund nicht lernt, Bodenverletzung mit Futter zu verbinden, diese Übung schwierig wird. Daher ist es wichtig, dass wir das Futter in den „Fußabdruck“ legen, und nicht einfach auf die Fährte werfen. Unangemessenes Korrigieren des Hundes auf der Fährtenarbeit ist möglichst zu vermeiden. Zeit lassen beim Suchen eines Winkels und an dessen Fortsetzung, so kann der Hund in Ruhe lernen, ohne unter Stress zu geraten und andererseits bitte viel Lob bei korrekter Arbeit.

Schutzdienst (Exkurs)

Als Erstes beginnt man mit einer flauschigen Beißwurst, die man an einer Schnur vor dem Hund herumschwingt, und sieht sodann, ob er diesem Gegenstand mit seinen Augen folgen kann, ob er sie zu fassen versucht und ob der Hund die geschwungene Beute gezielt fängt. So kann man bereits erkennen, ob sein Griffverhalten einer ordentlichen Genetik entspricht. Je größer der Hund wird, und je nach seinem Entwicklungsstand, wird die Beißwurst härter und nach dem Zahnwechsel zeigt es sich, wie er sich mit der Beißwurst verhält, denn er sollte sie im Fang behalten, einige Runden tragen lernen.
Nach dem Zahnwechsel übt man mit verschiedenen Gegenständen, ob Wildlederstück, härterer Beißwurst und ganz zum Schluss mit einem Schutzarm für Junghunde. So entwickelt sich auch ein großer Teil seines Beutetriebs und gleichzeitig muss auch der Gehorsam gefördert werden.
Bis hier alles im Gleichgewicht ist, vergeht eine beträchtliche Zeit. Erfahrene Hundeführer sprechen sich mit dem Helfer ab. Der Unerfahrene muss alles glauben, was ihm sein Helfer sagt und wenn der Hund kaputt ist, schiebt man die Schuld sehr schnell auf den Hund oder den Führer ab. Verliert der Hundeführer das Vertrauen zum Helfer, muss er eine andere Lösung für die Ausbildung finden. Selbst gut ausgewiesene Helfer besitzen oft nur für eine bestimme Rasse optimale Kenntnisse. Daher würde ich einen Helfer bevorzugen, der meine Rasse ebenso führt. Etwas ist klar: Wenn ein Hund Angst zeigt, muss ich einschreiten. Es ist ja alles ein spielerischer Aufbau und da wäre Angst ein Spiel um Kopf und Kragen.
Richtiger und kompetenter Schutzdienst gehört zum Schönsten, was es gibt. Ziel ist, dass der Hund lernt, seine Aggression auf einen Schutzarm zu richten und nicht auf den Menschen. Obwohl der Helfer sehr schnell zum besten Freund und Spielpartner meines Hundes wird, ermuntert dieser durch Zurückweichen vor dem Hund denselben zur Aggression und mit einem bestätigenden Biss in den Schutzarm wird dies belohnt. Das Glück dieses Erfolges spiegelt sich in den Augen des Hundes – ein für jeden Hundeführer immer wieder beeindruckendes Erlebnis.
Aber wie gesagt, es gibt viele Helfer und nicht alle sehen die Ausbildung gleich. So gibt es die Methode des Scheinangriffs mit Peitsche und Stock, die nicht alle Hunde verkraften. Der Hund ist angebunden und sollte eigentlich auf die Aggression reagieren. Kurz nach dem Angriff stellt der Helfer die Aggression ein, geht zum Hund, streichelt ihn, geht weg. Sollte der Hund in dieser Situation aufgrund seiner anfänglichen Unsicherheit gegen den Helfer Aggression zeigen, darf man ihn keinesfalls bestrafen. So lernt der Hund zwischen friedlicher und aggressiver Situation zu unterscheiden.
Eine weitere, nicht zu unterschätzende Gefahr ist das Knallen und damit „Ankratzen“ der Hunde mit der Peitsche. Trifft die Peitsche den Hund an einer sensiblen Stelle, folgt ein ängstliches Zurückweichen. Solche unglücklichen Erfahrungen sind keine Seltenheit und führen dazu, dass man dem Hund anschließend in mühsamer Kleinarbeit wieder seine Angst nehmen muss. Doch solches Fehlverhalten wird stets dem Hund zugeschrieben, was natürlich ungerecht und oft nur eine Ausrede ist. Der Helfer trägt hier die hauptsächliche Verantwortung. Malinois sollten grundsätzlich nur über die Beute aufgebaut werden, denn sie tragen genügend Wehrverhalten, sprich Aggression in sich und entwickeln diese von selbst. Dies zur kurzen Zusammenfassung über den Aufbau im Schutzdienst.
Für meine Jypsy hatte ich, weil ich an verschiedenen Orten Hundesport betreibe und so viele Fachleute treffe, zwei Schutzdiensthelfer. Diese sind untereinander befreundet, und so versuchten sie, die Ausbildung für Jypsy miteinander abzustimmen. Generell ist aber zu sagen, dass für Junghunde nur ein einziger Helfer den Aufbau machen sollte, denn zu oft passieren Fehler, die sich erst später zeigen. Dies liegt daran, dass jeder ganz genau zu beachten hat, wo die Belastungsgrenzen liegen und keinesfalls zu unüberlegt belasten oder korrigieren darf. Ich habe Helfer kennengelernt, die sich selbst für unfehlbar hielten und glaubten, den ihnen anvertrauten Hund „hier durchzupeitschen“, oder solche, die Hunde immer wieder „testen“ wollten. Der Helfer soll kein Macho sein, auch nicht meinen Hund nur gut aussehen lassen. Er soll meinem Hund helfen, seine Arbeit richtig zu verstehen, und dann ist alles gut. Im Leben braucht man auf allen Gebieten Erfahrung, ein gutes Beziehungsnetz und wirklich ehrliche Freunde, die uns helfen, den besten Weg zu finden. Aber es lohnt sich. Wer sich rechtzeitig schlaumacht, macht mehr aus seinem Hund. Man soll sich vom Helfer, gerade in der Anfangsphase, erklären lassen, was und wieso er wie was tut. Wenn er klar antwortet, hat er sich eine Meinung gebildet, und wir sehen sodann zusammen, ob das Ziel mit dem eigenen Hund so erreicht wird. Das Allerwichtigste ist aber folgendes: Wenn ich das Gefühl habe, mein Hund ist der Belastung nicht gewachsen, muss ich mich für mein Tier einsetzen und einschreiten. Denn es muss für mich und mein Herz stimmen, andernfalls ziehe ich meinen Hund lieber zurück. Denn Fairness zum Hund bleibt stets das oberste Gebot!
So stand am Anfang das Beutespiel an der Leine, und erst seit Jypsy läufig wurde, hat sie „aufgemacht“, also begonnen, auf Aggression entsprechend zu reagieren, indem sie sich bellend und aggressiv entgegenstellte. Der eine Hund beginnt damit früher, der andere etwas später. Interessant ist hier die Entwicklung, die Jypsy bei jeder Läufigkeit mitmachte. Bei den Rüden finden sehr oft dieselben Entwicklungsschübe wie bei den Hündinnen desselben Wurfes statt. Bereits einen Tag früher zeigte sie sich plötzlich aggressiv im Auto und verbellte Menschen, die an das Auto herantraten. Am kommenden Tag reagierte sie im Schutzdienst wie eine Halbstarke. Drei Tage später war diese etwas schwierige Phase wieder weg, und meine Jypsy ist nun erneut die selbstsichere und ausgewogene „pfiffige“ Hündin, die sie zuvor schon war. Die anerzogene Beißhemmung ist wieder im Vordergrund, und das ist ja ganz wichtig. Selbst die plötzlich nun eingetretene Unsicherheit oder das „Misstrauen“ gegenüber Menschen hat sich sofort wieder verflüchtigt. Sie scheint mir nun nach einer ganz kurzen Phase echt gewachsen. Mit der „Hitze“ (Läufigkeit) erhielt Jypsy einen weiteren Schub zu mehr Selbstsicherheit, Persönlichkeit und Liebenswürdigkeit. Auch die Rüden entwickeln sich in ihrem Normalverhalten immer wieder weiter. Somit bin ich eindeutig gegen die in „Mode“ geratene frühe „Kastration“ von Hündinnen und das Kastrieren von Rüden überhaupt, weil damit gewisse Entwicklungsschübe verlangsamt oder nur noch schwach in derer Persönlichkeitsmerkmale einfließen.
So hat sich meine Jypsy nun dahin gehend verändert, dass sie nach der durchlebten „Hitze“ die einmal erkämpfte Beute aggressiver verteidigte. Sie fühlte sich mit gutem Recht als neue Besitzerin und verteidigte die Beute mit aller Konsequenz. Dies ist der Zeitpunkt, ab dem auch der Hundeführer lernen muss, wie der Hund in dieser Phase geführt werden muss. Das Auslassen, respektive Loslassen der Beute muss geübt werden, denn der Hund will diese verteidigen und so muss selbst der Hundeführer lernen, wie er dieses Problem löst. So geschah es, dass mich meine Jypsy einmal kurz in den Oberschenkel zwickte. Auf meinen fragenden Blick hin erklärte mir der Helfer, dass ich beim „Aus“ nicht zu weit vor dem Hund stehen darf, ihn nicht hochziehen soll, sondern mit allen vieren auf dem Boden belassen muss.
Einige Zeit später änderte der Helfer das System, nach dem „AUS“ wird nun der Hund von der Beute leicht weggedrängt, wobei der Hund den Triebwechsel übt und im „Wehrtrieb“ den Helfer weiter verbellt. Diese Abläufe werden ebenso geübt, indem durch den Abbruch der Helfer zum Hund geht, und ihn streichelt. Dies zeigt allen, dass der Hund nun klar unterscheidet zwischen friedlicher und aggressiver Situation.
Mit vielen Trainingseinheiten, die der Hund im Laufe der Jahre durchläuft, erarbeitet er sich eine stabile Beißkraft, welche für den Schutzdienst wichtig ist.
Irgendwann musste ich erkennen, dass etwas mit dem Aufbau meines Hundes nicht stimmen konnte. Bei einem Training, als der Helfer in der Schutzwand stand und meine Jypsy erwartete, kam sie um diese herum und sprang den Helfer an, der den Wehraufbau befürwortete und empfahl an, und packte ihn frontal an der Brust. Er meinte nur, dies müsste er korrigieren und brach ab, ließ Jypsy nochmals eine Schutzwand umlaufen und erwartete sie dort mit einem „Schwingerhaken“, obwohl er lediglich sagte, er würde sie korrigieren. So flog sie an die drei Meter aus der Schutzwand. Sie flog raus, griff aber sofort wieder an. Von nun an verbellte sie die vordere Spitze seines Schutz-Armes, von welchem der Schlag ausgegangen war. So verbellte sie zeitlebens diese Ärmelspitze, und der Helfer meinte dämlich, „Sie hat eben zu viel Beutetrieb“. Dass dies eine reine Lüge war, die er mir aufzutischen versuchte, war mir von Beginn weg klar. Natürlich passierte diese Korrektur erst mit knapp zwei Jahren, ich weiß es nicht mehr so genau, aber ich denke, dass dies mit der Bindung nichts zu tun hat, denn wenn Drittpersonen eine Korrektur anbringen, geht die Bindung zum Hundeführer nicht verloren. Dies ist es auch, was den Hund über alle Probleme hinweg trägt, nämlich die Bindung zu seinem Halter. Seine Erfahrungen aber bleiben stets in irgendeiner Form erkennbar, sofern eine Korrektur allzu hart erfolgt, selbst, wenn diese vom Helfer, wie oben erwähnt, verursacht wurde, der im Grunde genommen ein Freund des Hundes sein und bleiben sollte. Dank wirklichen Freunden mit mehr Erfahrung mit den Malinois, welche mir das Risiko des Wehraufbaus aufzeigten, versuchen wir nun, das Beste aus der Situation zu machen. Wie gesagt ist die Förderung von Wehrverhalten bei einem Malinois ein zu hohes Risiko, weil der Hund danach, wenn überhaupt, kaum mehr unter Kontrolle gebracht werden kann. Aus diesem Grunde ist es wichtig, sich stetig über das Verhalten des Hundes Gedanken zu machen, denn schnell ist zu viel kaputt, und man zahlt dies bitter. Es gibt Helfer, die zu feige sind, ihre Fehler einzugestehen und gerade deshalb ist die Selbstverantwortung dermaßen groß und erfordert vom Halter ein gutes Maß an Kenntnis und Einfühlungsvermögen in Hund und Materie. Auch Menschenkenntnisse sind gefragt, denn ein Helfer muss die Rasse, den Hund und den Halter wertschätzen, ansonsten kann er sich nie genügend auf das Team Halter/Hund einstellen. Wir müssen unseren Hund in Schutz nehmen und ihn für Fehler des Helfers niemals bestrafen, sondern ihm in aller Ruhe alles neu und folgerichtig beibringen, sollte er etwas falsch gelernt haben oder weiterhin falsch machen. Nur so bringen wir unser Tier weiter, aber ohne Bindung respektive starkes gegenseitiges Vertrauen zwischen Hund und Halter können viele Probleme nicht mehr gelöst werden.
Es ist schon beeindruckend, einen Hund zu führen, der im Trieb hoch ist und gegen einen Angriff mit solcher Selbstsicherheit reagiert, dass ich staune. Dieses Staunen, das einhergeht mit einer gewissen Bewunderung, ist für mich beinahe verwirrend, denn der Gegensatz zu ihrem alltäglichen Wesen könnte größer nicht sein. Kurz darauf wieder die Liebe und Ausgeglichenheit selbst, zeigt den Stand der Ausbildung, aber alles braucht im Leben auch etwas Glück. Die Sensibilität eines Hundes einschätzen zu können, ist schwierig, und daher zeigen sich Fehler oft erst nach einer gewissen Zeit der Ausbildung. Danach das Richtige zu tun, ja, hierzu braucht man ein Umfeld, das Veränderungen des Hundes erkennt und interpretieren kann. Oft wäre nicht alles gleich verloren, würden danach die richtigen Maßnahmen ergriffen, aber gerade hier zeigt sich sehr oft, dass ein Umfeld und fundierte Ratschläge ohne eigenes Dazutun nicht einfach vom Himmel fallen. Ein gutes, persönliches Beziehungsnetz ist das A und O im Hundesport; von einer kritischen Beobachtungsgabe ganz zu schweigen.

Weiterer Aufbau

Das Fährten ist eine reine Fleißarbeit, und da ich nicht gerade der fleißigste bin, und nun auch wieder Probleme herrschen mit dem zu hohen Gras, nehme ich diese Arbeit etwas gelassener, aber ich bin überzeugt, wir machen kleine Fortschritte.
Für die Unterordnung war es gut, dass ich rechtzeitig den Kurs eines kompetenten Hundeführers besuchte. Man lernt, mit System zu arbeiten, und all das, was man zusätzlich so für sich machte, war wohl eher etwas für meinen Hund und mich, brachte aber für die weitere und später anspruchsvollere Ausbildung zu wenig (Glaubte ich wenigstens bis vor kurzer Zeit).
Mit der Läufigkeit kehrte sowieso etwas mehr Ruhe auf dem Hundeplatz ein, denn keiner wollte arbeiten, solange eine hitzige Hündin auf dem Platz war. So ließ ich es sein und übte nur noch auf dem Spaziergang, auf einer kleinen Wiese oder auf einer kleinen Waldlichtung. Warum dies so eminent wichtig ist, wo und wie wir üben, liegt daran, dass wir den Hund immer richtig „einstimmen“ müssen. Abseits des Weges, im Gras, rufe ich den Hund bei „Fuß“. Ich beginne mit Haltung, dies heißt, mit viel Spannung in meinem Körper und bestimme eine Übung. So lernt der Hund, „Aha, jetzt gibt es was zu tun, jetzt wird es ernst“. All jene, die überall üben, da weiß der Hund nie, ob gespielt wird oder ob dies seriöser sein muss. Nach den Übungsabschnitten wird dann wohl gespielt und gelobt, aber der Beginn ist das Betreten einer Wiese mit klaren Signalen zur Unterordnung wie ein Startschuss. An dies erinnert sich der Hund, konzentriert sich sogleich und folgt sofort in aufmerksamer Erwartung. Also Arschbacken zusammen klemmen und los geht’s.
Das Fußgehen mit „Futterspucken“ ist je nach Hund etwas, das sehr viel Geduld erfordert. Der Hund sollte, wenn er es nicht selbst auffängt, nicht vom Boden fressen, sondern der Führer sollte es aufheben. Damit vermeidet er, dass der Hund das Futter am Boden sucht und damit abgelenkt ist, anstatt konzentriert zu bleiben und auf uns zu achten. Alles braucht eben seine Zeit.
Wenn ich so alles in allem betrachte, könnte es meines Erachtens besser nicht sein. Wir haben auch schon den „Hoch-Sprung“ meist gleich hin und zurück geübt (30/50 cm), den Weitsprung über anderthalb Meter, und dies alles funktionierte ohne Probleme. Ein sehr erfahrener Freund sagte mir, die Technik beim Hochsprung erlernt der Hund mit etwa dem siebten Monat und muss in dieser Zeit geübt werden, stets mit Hin- und Rücksprung. So bleiben ihm Koordination der verschiedenen Bewegungen eingeprägt und das für sein ganzes Leben. Und er hatte recht!
Sobald ich ihr den Kong weit wegwerfe, so holt sie diesen, hat noch etwas Mühe, bis sie ihn richtig im Fang hat, und bringt ihn sehr schnell geradewegs zurück, sitzt automatisch vor, behält ihn im Fang, ich sage „Aus“ und werfe den anderen Ball und sie wiederholt alles, als hätten wir dies schon viele Male geübt. Manchmal denke ich beinahe, hat sie denn keine „Macken“? Ich finde wirklich nichts. Bei genauerem Hinschauen bin ich überzeugt, dass dies daher stammt, dass ich ihr nie eine Beute entrissen habe und sie somit gerne zu mir kommt, weil aktives Spiel nur von mir aus geht. Die Bindung meines Hundes ist dermaßen faszinierend, dass ich überrascht bin über die tolle Entwicklung, obwohl ich zuvor sehr skeptisch war. Mir schien ein Malinois oft so unkontrolliert lebhaft, doch meine „Dame“ ist etwas ganz Besonderes geworden. Die gute Grundprägung als Welpe beim Züchter und dann bei mir hatte mit Sicherheit einen großen Einfluss auf ihr Wesen. Ich habe auch nie versucht, sie im Spiel anzuheizen, im Gegenteil, ich versuchte aus verständlichen Gründen wegen meines fortgeschrittenen Jahrgangs mein Hündchen eher zu beruhigen. Ausgelassenheit kann einen so temperamentvollen Hund rasch zum Überdrehen führen, und so würde für mich alles noch schwieriger. Man hat dann auch kaum mehr die Möglichkeit, vernünftig einzuwirken. Ein „Au-Weh“ wird überhört, und so muss man dann vielleicht mit dem Spiel schlagartig aufhören, was der Hund in solch einer Phase kaum versteht. Austoben lasse ich sie sich mit anderen Hunden oder mit Ojo, doch für ihn scheint sie manchmal bereits zu lebhaft.
Gestern, es war der 2. Juni 2004, erlitt sie mit Ojo einen tragischen Autounfall. Mein Ojo verstarb auf der Stelle und Jypsy schleppte sich mit gebrochener Hinterhand durch ein dichtes Kornfeld mindestens 700m weit zum Auto zurück. Für mich grenzt dies beinahe an ein Wunder, denn sie hatte absolut keine Übersicht und fand trotz allem den Weg zurück zum auf dem Waldweg stehenden Auto. Unverhofft tauchte sie dort auf, während ich nach ihr im hoch bewachsenen Acker suchte und sie immer wieder mit ihrem Namen lockte und rief. Sie stand vor dem Heck meines Wagens, ihr hinteres Beinchen baumelte in der Luft und sie wartete, bis ich sie erreichte. Sorgfältig hob ich sie ins Auto und legte sie in ihre Box, neben ihr den toten Ojo, den ich zuvor von der Straße aufgenommen hatte und mit ihm zum Waldweg zurückgefahren war. (Hunde kehren immer wieder zum Ort zurück, von welchem sie ausrissen.)
Ich telefonierte mit meinen Freunden, die uns umgehend zum Tierarzt in Burgdorf brachten. Dort diagnostizierte die Ärztin den Bruch der Hinterhand, therapierte den Schock und gab Jypsy entsprechende Schmerz- und Kreislaufmittel. Ich setzte mich mit meinen Ärzten in Zürich in Verbindung und Herr Dr. P. Kramers übernahm die Behandlung und setzte den Termin zur Operation auf Freitag fest.
Jypsy verlor durch diesen Unglücksfall ihren besten Freund, der sie ebenso prägte und mithalf, aus ihr einen wunderbaren Hund mit hervorragenden Wesenseigenschaften zu machen. Aus Gründen der Genesung von Jypsy, welche am 4. Juni erfolgreich operiert wurde, und der Verarbeitung meines großen Verlustes ließ ich die Einträge auf meiner Homepage ruhen.

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