Traumhund, Buch von Emil Keller

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Auch liegt er nun am Morgen weiterhin auf seinem Lager, wenn ich aufstehe, und läuft mir in dieser Situation nicht sofort nach. So kommt er mit Jypsy zusammen erst, wenn ich die Gürtelschnalle meiner Hosen zuschließe. Dann wissen meine beiden Schlaumeier, nun geht es zum Frühstückshäppchen. Dies sind kleine Rituale, die einer Kommunikation förderlich sind. Der Hund verharrt sehr zuverlässig in seiner Erwartung und fördert damit auch das Erinnerungsvermögen seines Halters.
Sein Schutzverhalten, wenn Jypsy etwas von mir zu aggressiv fordert, ist berührend. So stellt er sich regelmäßig zwischen sie und mich und will mich offensichtlich schützen. Streichle ich sie, so mischt er sich ein, als wäre er eifersüchtig. Ich sage ihm dann, er möge dies lassen, was er zu verstehen versucht, denn ich muss auch ihr meine Zuneigung zeigen. Sie ist, seit Faust bei uns ist, sensibler und anschmiegsamer und fordert die Streicheleinheiten öfter als früher. Vielleicht auch gerade deshalb, um ihm zu zeigen, dass sie die eigentliche Chefin für ihn ist. Wer weiß denn dies schon so genau, Hunde sind ja keine „Dummerchen“.
Ich erkenne an Fostys Reaktionen vieles, was man auf dem Hundeplatz oft sieht. Hat der Hund kein Vertrauen, so versucht er den Hundeführer zu beschwichtigen, indem er zu ihm hindrängt. Dies kann auch Nachlaufen beim „Steh“ sein oder ein Nachrobben beim „Platz aus der Bewegung“. Es ist so interessant, dass er mir dies alles so klar aufzeigt. Wenn ich ihm das „Platz“ befehle, oder „Steh Warten“, oder mich stimmlich etwas strenger ausdrücke, so zeigt er sogleich seine Beschwichtigung, indem er zu mir hindrängt oder kriecht, und dies wäre im Sport nicht anders. Er demonstriert seine Leidensgeschichte von früher, und bis dies ausgemerzt ist, muss noch viel Wasser den Rhein hinunter fließen. Jetzt muss er einfach täglich Neues erfahren, sich einprägen und noch viel nachholen und lernen. Wenn er beispielsweise bei einer Blechpuppe, die vom Fenstersims herunterkippt, weil er diese mit seiner Rute im Treppenhaus berührt hat, panisch davon rennt. So zeigte er mir heute, als eine Blechbüchse direkt vor ihn auf die Straße fiel, dass er, obwohl er erschrak, mutig an ihr schnupperte, dass dies nicht mehr derselbe Hund ist wie vor einigen Monaten. Sein Hecheln zu Hause, was selbst meinen Söhnen auffiel, hat sich auch wieder ein Stück weiter abgeflacht.
Wir reisten zur WUSV-Weltmeisterschaft 2009 (Weltunion der Schäferhunde) nach Krefeld. Dort nahm ich ihn jeden Tag mit auf das Gelände. Wie gelassen er alles hinnahm, war bewundernswert. Er zeigte keinerlei Aggression, etwas Unsicherheit im großen Gedränge, aber er benahm sich ordentlich, sodass er sogar von ausländischen Besuchern fotografiert wurde, weil er angeblich ein echter Schönling sei. So hörte ich, wie einer sagte: „Sieh, das ist der schöne Mali!“ Er ließ sich von jedem streicheln, und ich gab ihn sogar einem Schweizer in die Hand, um vor dem Essensstand anstehen zu können, um selbst etwas Verpflegung zu kaufen, und Fosty benahm sich wunderbar, indem er ruhig wartete, bis ich zurückkam. So reiht sich Erlebnis an Erlebnis. Er wirkt immer entspannter und ist im Augenblick nicht mehr dermaßen gestresst wie zuvor. Ich vertraue dem Calminizer, den Bachblüten, der guten Ernährung und meiner Jypsy und auch meiner Führungsweise. Er wird langsam offener, sein Blick sucht mich nun schon bedeutend mehr als zu Beginn. Aber gerade hier gilt zu bedenken, dass er ja nie mitten in einer Menschenmenge korrigiert wurde, und somit war sein Verhalten hier natürlicher und möglicherweise auch deshalb angemessener.
Bin ich abends etwas länger im Büro oder vor dem Fernseher, geht er bereits selbstständig in sein Bett. Er verändert sich immer weiter und wirkt auch laufend etwas ruhiger.
Beim Spiel fordert er nur noch selten bellend, um damit seiner Ungeduld Ausdruck zu verleihen, ich möge ihm den Ball doch endlich werfen. Wenn ich rührungslos stehen bleibe, bemerkt er rasch, dass er mit diesem Gehabe nichts bewegt. So kommt er am Ende zu mir, was ich von ihm auch erwarte, und erst dann werfe ich den Ball.
Ins Auto springt er seit Beginn, als wäre dies ein Zufluchtsort. Wenn ich die Boxentüre nicht schnell und ganz öffne, so sprang er zu Beginn blindlings einfach in die Türe hinein. Nun schaut er gut, dass sie auch offen ist, bevor er zum Satz in die Box ansetzt. Eines Tages merkte er, dass der Teppich in der Autobox aufgescharrt werden kann. Dann war es um den alten Teppich schnell geschehen. Ich hatte ihn seiner Zeit noch gänzlich herausgeschnitten, als der Mann uns aus dem Waldweg entgegenkam. Vor der Reise nach Krefeld ließ ich einen neuen einpassen. Wir schraubten diesen sicherheitshalber am Boden fest, denn auf einem großen Parkplatz mit Hundesportlern müssen viele mit ihren Hunden „Gassi“ gehen. Somit ist stets viel Betrieb ums Auto.
In Krefeld bestätigten sich meine Befürchtungen. Als ich nach einiger Zeit die Box öffnete, schien mir, der Teppich hätte sich aufgelöst. Es war aber nur die oberste Schicht, die er mit seinen Pfoten bearbeitet hatte, und so sah es aus, als läge er auf Daunen. Mit einem Kamm fegte ich alles zusammen, der Teppich war noch intakt, denn er war ja festgeschraubt. Ich muss mir nun noch etwas einfallen lassen, um ihm seine Erregungen im parkenden Auto zu nehmen. Doch während der Fahrt war er ja ruhig. Es ist höchst spannend, wie er, ähnlich meinem ersten Hund Donar, stets erkennt, wenn wir im Gebiet unserer Spaziergänge, unserem Zuhause oder an unseren bekannten Übungsplätzen ankommen. Er zeigt dies durch seine Unruhe und Erregung an. Selbst wenn wir nach stundenlanger Fahrt aus Deutschland ins heimische Gebiet fahren, so zeigt er an, wenn wir in „unserer“ Gegend sind. Er muss dies am Geruch erkennen. Ja, unsere Hunde wissen oft mehr, als wir denken. Damit erinnert er mich stark an meinen Donar.
Auf einem weiteren Spaziergang im heimischen Wald trafen wir eine Reiterin, deren Pferd, an „Schnüffler“ gewohnt ist. Als sie sah, dass Fosty unsicher wirkte, so sagte sie freundlich, ich möge ihn doch näher heranlassen, sodass er das riesige Pferd beschnuppern könne. Das Pferd blieb stehen und bewegte sich nicht. So konnte Fosty beinahe überall schnuppern, doch als das Pferd den kleinen Wicht genauer ansah, bekam er Respekt vor dem großen Kopf und wich zurück. Diese Erlebnisse helfen mir, ihm diese Wesen näher zu bringen, und wer weiß, eines Tages sind sie für ihn nicht mehr so „bejagenswert“, furchterregend oder auch so eindrücklich, und er könnte sogar Freundschaft schließen. Als die Reiterin davonritt, war sein Stress abgebaut, ja, er kam sogar zu mir, sprang an mir hoch und ich streichelte und lobte ihn für sein Verhalten. Dass ich mit der Reiterin zuvor ruhig gesprochen hatte, mag ihn zusätzlich beruhigt und positiv beeinflusst haben.
Nun legt er sich nicht mehr direkt vor mein Büro, wenn ich am PC bin, sondern begibt sich bereits ab und zu auf sein Bett, also zwei Zimmer weiter, wo der Calminizer liegt. Sobald ich mich erhebe und bewege, kommt er mir entgegen, denn seine Ohren hören alles. Sachte beginnt er zu Hause ein kleines Eigenleben, und dies ist wiederum ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Im Wald erregt er sich stark, sobald er Rehe selbst nur wittert. Er ist dann sehr gespannt und wirkt unkontrolliert. Er reagiert anders als meine Jypsy. Die Ursache hierfür ist schwer abzuschätzen. Auch entsprechende Erfahrungen durch falsche Korrekturen könnten mit ein Grund sein. Meine Jypsy reagiert mit Spannung, Aufmerksamkeit und zeigt eine absolute Konzentration, wogegen Fosty sich selbst bis zum Erblicken des Rehs ablenkt, zum einen durch Übersprunghandlungen gegen Jypsy und zweitens durch deren unnatürliches Umkreisen. Erst wenn das Reh vor uns steht und ich „Steh“ sage, bleiben beide blockiert und konzentriert stehen, bis das Wild wieder im Dickicht entschwindet. Vielleicht verbindet er eine solche Begegnung mit Schmerz und Unsicherheit und kompensiert dies damit, dass er Jypsy angreift, als trüge sie die Schuld am Erinnerungsschmerz.
Sein differenziertes Verhalten je nach Menschen, die wir antreffen, zeigt auch das folgende Beispiel. Eine Frau kommt uns entgegen, ruhig spazierend, freundlich und begrüßt uns, steht still, und meint: „Was für schöne Hunde!“ Fosty, in solchen Momenten verunsichert, streckte ihr seinen Kopf entgegen. Wie sie „zu zögerlich“ streicheln „wollte“, schnappte er in den Ärmelsaum ihrer Jacke. Sofort sagte ich „Nein!“, doch die Dame blieb ruhig. Aber ich war hellwach, denn dies zeigte seine Unsicherheit, die ihn bewog, so zu handeln. Sein Verhalten hängt stark von der Selbstsicherheit oder vom zögerlichen Verhalten des Gegenübers ab. So können trotz aller Vorsicht Unfälle entstehen und die Schuld liegt nicht immer nur beim Tier, sondern entsteht ebenso durch das Fehlverhalten der Menschen. So bin ich, solange Faust dieses Verhalten anzeigt, wohl bemüht, ihn so wenig wie möglich von den Menschen zurückzuhalten, um sein Vertrauen zu diesen zu fördern. Bei Hundehaltern ist dies kein Problem, doch bei ängstlichen Menschen ist es für mich eine Pflicht, vorsichtig zu bleiben.
Ein kleiner Kurs über drei Tage bei Oliver Neubrand auf dem Heiligenberg nutzte ich, um mit meinem Fosty besser üben zu können. Für Jypsy war Schutzdienst angesagt. Schon bei der zweiten Fährte hatte ich Fosty überfordert, aber trotz allem kamen wir am Ende ans Ziel dank dem Können von „Fährtenleser Oliver“. Auch wenn Fosty nicht mehr weiter wusste, so wurde er weder hektisch noch unsicher, sondern begann durch ein ruhiges Stöbern die richtige Fährte zu suchen. Dank dem „scharfsichtigen“ Hinweis von Oliver, welcher den Fährtenverlauf aus einer anderen Perspektive besser sah, konnte ich ihn dort korrekt wieder ansetzen, um diese bis zum Ende zu verfolgen, wo Faust seine Belohnung fand. Das Fußlaufen zeigte er nach zwei Tagen ordentlich. Selbst den Sprung meisterte er und auch die Kletter-Wand war kein Problem. Das „Hier“, wenn ihn Oliver festhielt, machte er mit viel Herz, und ich erkannte schon eine gute Portion Vertrauen in seinem Verhalten. Er muss so viele Dinge kennen und richtig einschätzen lernen, um mehr Selbstsicherheit zu erlangen, aber ich glaube an ihn. Seine sensible Unterscheidung zwischen Beute und meinen Händen ist beachtenswert und sein Blick bereits wieder ein ganz kleines bisschen offener und stabiler.
Ist er frei im Gelände, so bewegt er sich stolz, ist schön anzusehen, ausdrucksstark, explosiv, und ihn so betrachtend, fühlt man sich privilegiert, einen solchen Hund um sich zu haben. Seine Konflikte zu den Menschen werden wir auch eines Tages hinter uns lassen. Gute Ansätze zeigt er ja immer wieder, und dies erfüllt mich mit Zuversicht. Wir wollten nach der Fährtenarbeit gleich zum UO – Platz fahren, doch ließ ich meine zwei Temperamentsbündel nochmals kurz frei, obwohl etwa fünfzig Meter entfernt sich ein Wanderer über die Wiese begab. Wie ich sah, dass Fosty ihn ins Visier nahm, rief ich ihn mit einem Ball lockend. Er kam. Unten, am Fuße des Abhangs fuhren die Autos weg, auf die er auch gerne Jagd machte, ich rief ihn, und er kam zurück. Das sind Momente des Glücks und geben mir Hoffnung, dass dies nicht nur heute gelingt, denn nicht immer klappt es, aber immer öfter.
Ich vertraue ihm langsam mehr und lasse ihn auch mal von der Leine. Dann passieren Dinge, die mich oft überraschen. Einmal startete selben Orts, wo wir übten, ein Jogger gegen den Wald. Wir kannten ihn, und wie ich den Ball warf, spurtete Fosty nach dem Ball, nahm ihn auf, sah den Jogger laufen und nun rannte er diesem nach. Ich rief aus Leibeskräften „kehrt!“, doch er sah nur noch den Sportler. Ich wollte rufen, der Jogger möge stehen bleiben, aber ein Flugzeug respektive dessen Motorlärm übertönte meine Stimme. Fosty rannte hinterher, überholte diesen, und drehte vor ihm wieder ab und kam zurück. Er belästigte den Jogger in keiner Weise, aber dieser ignorierte ihn genauso. An der Leine möchte er stets der Vorderste sein. Ähnliches geschah bei unserer Heimkehr. Wir gingen zum Lift, meine Hunde frei neben mir, und wie der Lift unten ankam, wollte Fosty als Erster hinein. Eine Dame mit zwei Kindern von drei und sechs Jahren wollten heraustreten und erschraken, als sich Fosty direkt zwischen die Kinder in den kleinen Lift drängte. Ich rief „kehrt!“, alles erschrak leicht, Fosty zeigte null Aggression, sondern kam sogleich aus dem Lift zurück, ohne eine negative Reaktion zu zeigen. Im Gegenteil, er war selbst zu den Kindern freundlich, und so atmete ich erleichtert auf. Dies sind Augenblicke, die zeigen, dass sein Vertrauen zu Menschen vor allem Kinder nicht schlecht sein kann. Wie rasch erkennt ein Hund die Unsicherheiten seines Führers und reagiert entsprechend. Kommandos gelassen aber bestimmt aussprechen und gleichzeitig fair zum Tier zu sein, ist enorm wichtig. Zu Beginn wäre dies ein zu hohes Risiko aber heute, nach über fünf Monaten, kann man ihm bereits mit recht beschränktes Vertrauen entgegenbringen.
So verfolgte er auch schon einen Radfahrer, weil er auf dem Übungsplatz nicht angeleint war. Dieser fuhr unbeirrt weiter und meinte verschmitzt, nachdem er einige Zeit später zurückkam, dass dieser Hund sehr schnell laufen kann. Er habe ihn während der Fahrt auf gleicher Höhe hin und wieder verbellt, doch der Fahrer zeigte keine Angst und kehrte zu uns zurück. Er hielt an, und ich entschuldigte mich zuallererst, dann erklärte ich die Situation dieses Hundes und er möge ihn nun ruhig streicheln, denn er sei im Grunde sehr lieb und nicht aggressiv. Er interessierte sich für diese Rasse, und ich erklärte ihm kurz die Vorgeschichte. So verabschiedete er sich wieder und mir fiel trotz allem ein kleiner Stein vom Herzen.
Fosty experimentiert bereits mit ähnlichen Verhaltensmustern wie Jypsy. Fällt mir einmal etwas aus der Hand, schnappt er sich dies, übergibt es blitzschnell an Jypsy und Jypsy ihrerseits fordert von mir die Belohnung, die immer beide bekommen. Da über Beutetausch im Sport viel erreicht wird, akzeptiere ich dieses Gebaren und amüsiere mich darüber, dass er dieses Spiel auf diese Weise interpretiert und umsetzt. Dies weckt in mir eine enorme Bewunderung, und ich erlebe täglich Neues. Der gegenseitige Vertrauenszuwachs beglückt mich, und ich erkenne immer mehr sein wahres Wesen. Ja, Fosty ist ein feiner Kerl, doch es wird noch dauern, bis er in allen Bereichen, vor allem draußen, seine wirkliche Alltagstauglichkeit zeigt. So lässt sich erahnen, mit wie viel Feingefühl aus einem verkorksten Hund ein normaler geformt wird. Dies braucht Geduld, Ausdauer und viel innere Ruhe des Hundeführers. Fosty ist überaus sensibel und gerade deshalb vielleicht so schwierig. Seine Vergangenheit wird er noch lange nicht los. Bei positiver Prägung hätte er sich gut entwickelt, doch mit negativer zerstört man die besten Veranlagungen. Deshalb ist die Sorgfalt bei der Erziehung so ungemein wichtig für ein harmonisches Miteinander.
Ich bin zu meinen Hunden großzügig, aber trotz allem, wenn ich „Leckerli“ verteile, dann verlange ich zwischendurch mal ein anständiges „Sitz“ oder ruhiges Halten des Apportierholzes. Hundesport fängt klein an, aber es wird oft in Zeitnot oder für den schnellen Erfolg gearbeitet. Im Hundesport muss ja alles gleich vollkommen sein, aber ob dies der gescheiteste Weg ist, bleibe dahin gestellt. Hunde können fast alles, nur wir Menschen müssen lernen, aus deren Verhaltensansätzen die Übungen abzuleiten, und so kapieren sie verschiedenste Aufgaben mit einer natürlichen Leichtigkeit. Jeder hat für das gesamte Ausbildungsspektrum eine eigene Vorstellung, und so muss er auch wissen, was er und wie tun will. Dies soll dann weiterentwickelt werden, denn jeder Hund lernt auf seine ihm eigene Art und Weise. Das Schöne an einer Hundeausbildung ist, sie bildet auch den Menschen. Man lernt sich zurückzunehmen, impulsives Verhalten zu zügeln und alles entwickelt sich ebenso zu einer persönlichen Lebensschulung.
Nach weiteren Monaten haben wir nun die Bachblütentherapie aufgehört, den Calminizer zurückgebracht und nun versuche ich noch etwas über die Ernährung zu verändern. Seine Verdauung gefällt mir noch nicht ganz, und ich versuche nun mit Nassfutter ein besseres Resultat zu erzielen. Sein Fell ist schon weitaus schöner geworden, aber alle Ziele haben wir auch in diesem Sektor noch nicht erreicht. So entstehen immer wieder Veränderungen, und ich bin gespannt, wie meine Jypsy darauf reagieren wird, wenn er anderes Futter als sie erhält. Aber nach wie vor vertragen sich beide optimal.
Seit Anbeginn stelle ich fest, dass Jypsy dem Fosty sehr oft das Maul leckt. Dies stammt ursprünglich vom Futterbettelverhalten der Welpen und kann nur bedingt auf ausgewachsene Hunde übertragen werden. Ebenso wenig handelt es sich um ein Unterwürfigkeitsgehabe seitens meiner sechsjährigen Hündin, denn dies entspricht nicht ihrer Persönlichkeit. Nun habe ich im Buch von Günther Bloch „Die PizzaHunde“ (Faszinierende Freilandstudien an verwilderten Haushunden, Verhaltensvergleich mit Wölfen und weiteren Tipps für Hundehalter, ab Seite 29) gelesen, dass „Schnauzen-Zärtlichkeiten“, deren Erscheinungsbild variabel erscheint, eine völlig geschlechtsunabhängige soziale Verbundenheit ausdrücken und die Basis für Vertrauen sind. So erscheint es mir immer deutlicher, dass sich Jypsy und Fosty miteinander exzellent verstehen und auch vertragen.
Ein Zweithund orientiert sich normalerweise mehr am Älteren, angepassten und erfahrenen Hund als am neuen Hundeführer. Trotzdem lässt Fosty, wenn ich mit meiner Jypsy laut und energisch rede, sich beeindrucken, was sich durch „Ohren runter“ bis zu einem erschreckten „Platzliegen“ äußert, und dies noch nach weit mehr als einem halben Jahr. In der Zusammenarbeit vertraut er mir, auch wenn ich hin und wieder energischer rufe. Dies geschieht zum Beispiel im Wald, wenn ein Traktor daher braust. So lag er zu Beginn, wenn ich laut „hier“ rief, einfach da, anstatt zu mir zu kommen. Aber nun hat er diesen Druck von mir akzeptiert und kommt sofort; wahrscheinlich deshalb, weil ja nachfolgend keine Strafe erfolgte.
An den Weihnachtstagen streiften wir durch den Wald. Meine Hunde voraus an der Flex-Leine. Hin und wieder rief ich „langsam“, wenn sie sich allzu stark ins Zeug legten. Wie aufmerksam sie den Wald nach Gerüchen absuchten, mit den Ohren jedes Geräusch wahrnehmend und mir damit Wild anzeigten, das in den letzten Tagen sich öfter zeigte, als wüsste es, dass die Jagdzeit beinahe vorüber war. Ich sinnierte, wie ich meinem Fosty näher kommen könnte, was ihn noch vertrauter machen würde und plötzlich kam mir der Gedanke, ihn mit seinem richtigen Namen zu rufen. Faust tönt in der Schweiz einfach etwas „komisch“, streckt man doch eine Faust aus Zorn in den Himmel, macht eine „Faust im Sack“ oder schlägt eine „Faust auf den Tisch“. Es widerstrebte mir, dieses Wort zu sagen, das sich in meinem Gehirn mehr als Ausdruck des Zornes oder der Macht anfühlt, als ein Wort der Liebe zu einem so sensiblen Wesen wie meinem „Faust“, und „Fausto“ (Rufname des Erstbesitzers) wollte ich nicht benutzen. Ich überwand mich und rief: „Faust hier!“ Er war gleich bei mir, sprang an mir hoch samt seinen schmutzigen Pfoten, aber das störte mich nicht. Ich gewahrte, dass er mich anders anguckte, seine Ohren oben, seine Pfoten grapschten an meiner Jacke und versauten diese, aber ich nahm ihn in die Arme und war ganz erstaunt, wie er diesen veränderten Ruf wahrnahm. Ich machte diesen Versuch noch einige weitere Male, dann auch zu Hause, wo er mir sogar ins Gesicht kratzte, wie er an mir hochsprang, um mich an der Wange kurz zu lecken, ja wirklich, es war keine Einbildung meinerseits. Dies bewirkte etwas in seinem Seelengedächtnis, eine neue Erinnerung erwachte. Aus diesem Grunde finde ich es auch höchst interessant, mit dem Züchter in den nächsten Monaten zusammenzutreffen, denn dies könnte für meinen Faust, den ich nun definitiv ab heute nur noch „Faust“ oder „Fausty“ rufe, eine weitere Türe der Vertrautheit öffnen. Es wird interessant sein, seine Reaktionen zu beobachten, wenn er Jens Ottlinger, Züchter von Faust, erkennt, die damalige Umgebungsluft wittert und den Geruch seiner Kindheit wahrnimmt. Faust mangelt es immer noch an Konzentrationsfähigkeit, und dies behindert das Folgen einer Fährte. Obwohl er alle Gerüche im Wald wahrnimmt, manchmal scheinbar noch aufmerksamer als Jypsy, liegt der große Unterschied beider Hunde darin, dass Jypsy das Wild eher über dessen hinterlassene Spur verfolgt, wogegen Faust bereits in höchste Erregung gerät, wenn er diese nur wittert.

Die Begegnungen auf den Waldwegen mit anderen Menschen und Hunden sollte er noch gelassener hinnehmen. Hier bezahlt er für Korrekturen und Frustrationserlebnisse einen zu hohen Preis, aber zu Hause benimmt er sich bereits so, als wäre er bei uns aufgewachsen. Auch gegenüber den Mitbewohnern in unserer Überbauung ist er zutraulich und freundlich und hat bereits viel an Sicherheit dazugewonnen, sodass er sich praktisch wie Jypsy verhält und ich ohne Leine über den Lift und Korridor zur Sammelgarage gehen kann, ohne dass er einen meiner Nachbarn belästigt oder sich unsicher zeigt. Das Einzige, was ihn zu Hause von Jypsy unterscheidet, ist sein Verhalten, bevor wir uns zum Spaziergang bereit machen. Jypsy liegt einfach da und wartet, wohingegen er nervös herumtrippelt. Ich versuche, ihn daran zu gewöhnen, sich ebenso hinzulegen, aber er lebt hiermit seine Vorfreude oder Erwartung aus. Das sind noch einige der wenigen Merkmale, die mir zeigen, dass selbst diesbezüglich noch Arbeit ansteht, aber ich wollte ja diese Herausforderung annehmen, und nun muss ich mich in Geduld üben. Sein generelles Verhalten tagsüber entschädigt uns für vieles, und ich bereue es nicht, mit ihm dieses Experiment gewagt zu haben, obwohl mit einem Welpen vieles einfacher wäre. Gehe ich mal alleine weg, so liegt er zumeist neben meinem Bett und wartet dort, anstatt mit Jypsy zu spielen. Komme ich zurück, so steht Jypsy bereits an der Türe, und ihn höre ich noch aus dem Schlafraum heranbrausen. Dass er hin und wieder den Überzug meines Deckbettes an einem herunterhängenden Zipfel anknautscht, kann ich nicht korrigieren, denn ich bin dann ja nicht da, und so wüsste er nicht einmal, weshalb ich ihn schelte. Doch selbst hier zeigt er ein Verhalten, das auf frühere Erlebnisse schließen lässt, denn sage ich zum Beispiel: „Was ist denn das?“, und zeige ihm den Schaden, so weicht er ängstlich zurück. Was diese arme Seele durchmachen musste, bis er bei uns Schutz fand, ist eine unglaubliche Geschichte. Es ist wie bei den Menschen. Wenn man deren Vergangenheit nicht kennt, kann auch der Seelenzustand nicht nachgefühlt werden. Faust zeigt uns dafür aber seine Zuneigung und sein gewonnenes Vertrauen, was ihn uns gegenüber bereits sicher und berechenbar macht. Fühlt er sich in irgendeiner Situation verunsichert, so legt er sich oft immer noch einfach hin und schaut zu mir auf. So haben wir in keiner Situation Probleme, aber ich wünschte mir, er würde selbstsicherer und auch frecher in seinen gesamten Reaktionen.
Oftmals traut er noch niemandem. Wenn ich ihn mit der Beißwurst bestätige, kann er problemlos von mir weglaufen und einem Jogger nachrennen. So braucht es dann einfach seine Zeit, bis er zurückkommt. Wir haben diese Situation studiert, und ich bin der Meinung, dass ich im Augenblick noch nicht einschreite und gelassen warte, bis er zurückfindet. Selbst einer meiner Kollegen kann ihn rufen, doch er geht nie zu ihnen, sondern kommt am Ende immer nur zu mir. So setze ich das Spiel fort und gedulde mich in der Hoffnung, er entwickle irgendwann eine andere Strategie. Wir haben auch versucht, dieses Ausbüxen mit einer Schleppleine zu verhindern. Das geht, aber ich denke, es liegt an mir, sein Vertrauen so zu bestärken, dass er zuverlässiger wird. So bin ich stets enttäuscht, wenn das „Hier“ noch nicht zu 100% klappt, aber meine Zuversicht gebe ich nicht auf.
Silvester offenbarte mir sein möglicherweise erworbenes Verhalten betreffs der „Schussangst“. Von Weitem war das Abbrennen von Feuerwerkskörpern, wenn auch nur schwach zu hören, und schon wurde er hektisch, kaum ansprechbar, und es ist wie bei anderen Situationen, in denen Faust in gewisser Weise nicht mehr klar denkt und in Automatismen verfällt. Er begann im Kreis zu gehen, schaute nicht mehr hin, hörte nicht mehr zu und befand sich in seiner traumatischen Welt. Zu Hause angekommen schloss ich alle Fenster, ließ bei der großen Terrasse zum Seebecken die Fensterläden runter, stellte den Fernseher ein und harrte der Dinge. Nun war das Feuerwerk nur noch sehr schwach zu hören, und trotzdem trippelte er nervös herum, konnte sich kaum entspannen, bis wir uns ins Schlafzimmer zurückzogen. Für den Augenblick war es dann relativ still, das Radio ließ ich aber an. Die Hunde ruhig, doch Faust atmete sehr oberflächlich und in einem Rhythmus, der um einiges höher war als der von Jypsy. Alles war ganz so wie zu Beginn, als er frisch zu uns kam. Um halb zwölf war es aber endgültig um die Ruhe geschehen. Faust hielt es nicht mehr auf seinem Bett aus und trippelte nur noch nervös umher. Jypsy lag im Stuhl vor dem Fernseher und genoss ihre Ruhe in der Stube. Ich stand auf, erhöhte die Lautstärke des Radios und sah mir die lautlosen Feuerwerke der Länder an, die bereits Neujahr feierten. Rief ich Faust zu mir, nahm er meine Stimme kaum wahr. Hin und wieder stand er neben mir, um dann aber gleich wieder in großer Nervosität zu kreisen. Seine Atmung gestresst und hechelnd, drehte er seine Runden. Um ein Uhr wurde es langsam still, und wir begaben uns zur Ruhe. Während solcher Ereignisse hat man genügend Zeit, über vieles nachzudenken. Was zum Beispiel die Ursache für sein Verhalten sein könnte. Ich habe später abgeklärt, ob im Wurf oder bei anderen Geschwistern ebenfalls diese „Schussangst“ besteht, aber dies wurde mir glaubwürdig verneint. Also hat sich auch hier nach seiner Übernahme etwas eingeschlichen, was für dieses Tier sein Leben lang traumatisch bleiben sollte. Man darf sich allen Ernstes fragen, was würden solche Menschen für Kinder prägen, wenn diese nicht einmal einen Hund ins Leben zu begleiten in der Lage sind?
Nun, der Neujahrsspaziergang war umso herrlicher! Absolute Ruhe, kein Wild zu sehen, Totenstille im Wald bis auf die schweren Tropfen, die sich durch den Nebel gebildet hatten und nun von den Bäumen fielen. Dichte Schwaden hüllten alles ein. Meine Hunde verhielten sich wie eh und je, waren an allem interessiert, und sie hätten fürs Leben gerne gewildert. Selbst die Natur mit ihren Gesetzen ist bei uns reguliert wie das Halten von Hunden. Aber dass die Menschen lernen müssten, wie man mit einem Welpen umgeht, dazu sind wir nicht in der Lage, und so verfolgt die Politik nur das schlechte Verhalten der Hunde, anstatt die Menschen mehr in die Verantwortung einzubinden. Ich denke, dass wie bei Kindern, bei denen neuerdings auch die Eltern zur Verantwortung gezogen werden, dies bei Tieren der erste Halter sein müsste! Schön wär’s! Wohl reines Wunschdenken. Mögen alle Hunde die im 2010 das Licht der Welt erblicken zu kompetenten Hundeführern kommen. Hunde aller Rassen wären in Kürze nicht mehr unterteilt in Sport-, Kampf- oder Familienhunde, sondern sie würden zu dem werden, zu was sie veranlagt sind, nämlich zum FREUND UND PARTNER DES MENSCHEN!
Ich habe mit dem Züchter von Faust, Jens Ottlinger, Kontakt aufgenommen, und im März fahre ich hin. So hoffe ich, meinen Faust einerseits selbst bis dahin weiter voranzubringen, andererseits hoffe ich, dort zusätzlich die eine oder andere Türe zu seiner Seele aufschließen zu können. Wichtig ist für mich seine innere Unruhe in den Griff zu bekommen, damit er sich besser konzentrieren lernt und damit seine Lernfähigkeit steigert. Wie kann man einen Hund bestrafen, der durch unberechenbares Verhalten seiner Umgebung gar nicht mehr kapiert, was von ihm verlangt wird. Seine einzige momentane Waffe ist, sobald er nicht mehr versteht, was gewünscht ist, mit Hektik und Unterwerfung zu reagieren. Es wäre wünschenswerter, er würde sich auflehnen, kämpfen, aber dies hat man ihm möglicherweise schon sehr früh abgewöhnt. Das scheint mir auch einer der Gründe seiner Traumatisierung zu sein. Also leben wir weiter nach dem Motto: „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“, und so wünsche ich mir, sollte der gesamte Aufbau mit ihm sich auch über Jahre hinziehen, dass ich ihm beistehen kann, damit auch er erlebt, wie sich Sicherheit und Zuneigung anfühlen.
Für mich ist es faszinierend, wie Hunde oft begangene Waldwege betrachten. Jedes Mal, wenn etwas neu ist, verharren sie und betrachten die Situation ganz genau und lang anhaltend. Gerade Faust hat so eine Art, die Umgebung zu analysieren, dass ich staune, welch feinste Nuancen er erkennt. So können es auch nur neue Fahrspuren sein, die sich von der gestrigen Winterlandschaft unterscheiden, oder ein vom Jäger aufgestellter Hochsitz, der für uns unscheinbar bleibt, aber für meine Hunde höchst spannende neue Eindrücke ergibt. Es ist einfach herrlich, durch die Natur zu streifen und zu erfahren, was Hunde alles in ihrem Gedächtnis zu speichern in der Lage sind. Selbst, wie sie Wild erkennen. Ich selbst habe mich oft ertappt, dass ich viel länger brauche, um Wild zu sehen als meine Hunde, die dieses immer schnell und genau orten können. Ihr Peilinstinkt über ihre Ohren ist mit Sicherheit um ein vielfaches präziser als das Gehör und die Augen des Menschen.
Schutzdienst liebt Faust über alles, aber im Grunde hilft es nur dabei, den Menschen als Beuteobjekt „uninteressant“ zu machen. Fährten in Schnee und Kälte bringt auch nicht viel, und so bleibt mir nur die Gewöhnung an Alltagssituationen. Hier zeigt er noch immer seine Unsicherheiten, und ich überlege mir oft, wie ich dieser beikommen könnte. Druck ist das letzte Mittel meiner Wahl, und so bleibt mir im Augenblick nur meine Zuneigung, um ihm zu zeigen, wie viel Vertrauen ich ihm entgegenbringe. Ich denke, er hat schon eine gute Bindung zu mir, doch mein Handicap ist einfach, dass ich ihn nicht alleine habe und mit ihm alleine spazieren kann. Er würde mir, wären wir nur zu zweit, möglicherweise viel näher kommen, aber meine Jypsy ist auch nicht dumm und schaut sehr genau, was ich tue, wie ich mit ihm umgehe und sogar, wie intensiv ich ihn streichle. So lebe ich im Augenblick wie ein Mann mit zwei Frauen. Ein Spaziergänger, den wir hin und wieder mal treffen, gibt meinen Hunden in letzter Zeit kleine Häppchen. Dies freut mich, denn so kann ich meinen Faust mit Jypsy an loser, langer Leine auf diesen freundlichen Menschen zulaufen lassen. Faust benimmt sich echt brav, und nach dem Kommando „Sitz“ wartet er wie auch Jypsy auf seine Belohnung. Dies ist für mich immer ein freudiger Augenblick, denn hierin erkenne ich bereits das kontinuierliche Wachsen seines Vertrauens zu fremden Menschen.
Interessant ist, dass Jypsy ihre Aufgaben in der Unterordnung besser denn je löst. Irgendwie spürt sie die Konkurrenz und ist bestrebt, im Schutzdienst und in der Unterordnung immer auf gutem Niveau zu arbeiten. So darf ich mich mit einem ganz tollen Gefühl meinen beiden Lieblingen zuwenden, und es scheint, als mache ich doch einiges richtig. Eifersucht ist schlecht für die Harmonie unserer Gemeinschaft, und deshalb verlangt dies viel Fingerspitzengefühl. Wie hervorragend sich beide miteinander vertragen, können nur all diejenigen ermessen, die meine Jypsy früher kannten und noch wissen, wie dominant und grantig sie fremden Rüden gegenüber sein konnte. Faust darf schlichtweg alles. Er ist absolut kein Raufer, sondern sehr sozial zu anderen Hunden. Aber als genialen Jäger kann ich ihn in den vielen Waldregionen hier nie freilassen, außer auf einer eingezäunten Wiese oder auf einer großen, übersichtlichen Ebene. Trotzdem kann ich mit nur einem Hund auf einer einem Wald angrenzenden Wiese Bälle werfen und dies ohne Leine. Aber mit dem Wald im Rücken ist dies einfacher und somit ist der Hund immer in meinem Blickfeld.
Köstlich finde ich im Augenblick, dass Fausty wie durch eine innere Uhr getrieben – vielleicht sogar von Jypsy geschickt? – zur Fressenszeit zu mir kommt und mich beim Schreiben stört, indem er auf sich aufmerksam macht. Nutzt dies alles nichts, kommt ihm auch Jypsy zu Hilfe. Sie umrunden mich, und ich weiß nun genau, es ist nur, weil sie Hunger verspüren. Aber wenn ich noch etwas zu Ende schreibe oder eine Arbeit vollenden möchte, müssen sie wohl oder übel warten. Beide legen sich dann hin, und nach vielleicht zwanzig Minuten wiederholen sie die Aufforderung. Dann geht es erneut los mit der Drängelei. Hunde kennen in der normalen Umgebung ihren Rhythmus genau, aber wenn wir auswärts sind, passen sie sich problemlos den Gegebenheiten an und warten auf das Fressen auch mal bis nach Mitternacht. Aber hier zu Hause, sobald ich mich erhebe, springen sie vor mir her und lenken die „Störung“, indem sie zu ihren Fressnäpfen stürmen. Diese klare Aufforderung und Erwartung spiegelt sich selbst in ihren Augen, sodass man blind und taub sein müsste, um dieses Manöver nicht zu verstehen. Ich liebe dieses Forderungsverhalten, denn mir kommt es vor, als lernen wir hiermit mit unseren Tieren zu sprechen. Jypsy kennt bereits viele Nuancen ähnlicher Ausdrucksformen und stellt sich dann einfach vor mich hin, fixiert mich mit ihren Augen, bis ich durch meine Sinne verstehe, was sie mir mitteilen will, oder ich stehe bei Forderungen auf, sie geht mir voraus, um mir zu zeigen, was sie will. Faust macht dies noch deutlich plumper, indem er, will er zum Beispiel gestreichelt werden, mir seinen Kopf einfach unter den Unterarm drückt und damit meine Hand erhebt und er hört nicht auf, bis ich ihn streichle. So entwickelt jeder Hund mit der Zeit eine ganze Reihe eigener Formen der Kommunikation, um seine Bedürfnisse anzumelden. Man soll auch in dieser Beziehung seinen Hund ernst nehmen, denn er kann uns viel mehr vermitteln, als wir glauben. Aber man darf auch mal „Nein“ sagen, ohne dass der Hund dadurch etwas von seinen Fähigkeiten verlieren würde. Aber eins ist mir hier wichtig zu betonen, je besser die Bindung, so intensiver entwickelt sich auch diese Zwiesprache zwischen Halter und Hund, und umso erlebnisreicher entfaltet sich das gemeinsame Zusammenleben.
Heute konnte Faust das erste Mal am Morgen, kurz vor dem Spazierengehen, vor der Türe in der Platzstellung liegen bleiben. Ich musste während dieser Zeit die Schuhe schnüren, mich anziehen, nochmals meine Haare kämmen, Brille putzen, Radio abstellen und dies alles in anderen Räumen. Zuvor tigerte er immer unruhig herum, konnte sich nicht still verhalten, war nervös und mit keinem Kommando am Ort zu halten. Ich traute meinen Augen kaum, aber er schaute mich mit seinen großen, schönen Augen an, wie um zu fragen: „Mache ich es recht?“ Bevor ich dieses Verhalten auflöste, ging ich nochmals in die Küche und holte eine schmackhafte Belohnung. Eine für Jypsy und eine für Faust. Dann stellte ich mich neben Faust, sagte „Sitz“, er saß auf, um normalerweise sofort zur Tür zu gehen. Nein, er blieb bei Fuß und ich streichelte und lobte ihn sehr. Das sind Glücksmomente, die kann nur ermessen, wer sein nervenaufreibendes Verhalten zuvor gekannt hat.
Seit über drei Monaten hänge ich, bevor wir unseren Spaziergang beenden, immer noch eine kleine Zusatzschleife an, indem ich nochmals ein Stück des Weges gehe. Nach etwa hundert Metern sage ich „kehren“, und wie begeben uns sodann endgültig zum Auto. Diese kurze Strecke nutzt Faust sehr oft, um sich nochmals oder überhaupt zu versäubern, denn er hat gelernt, dass wir danach nach Hause fahren. So ist jeder Hund relativ einfach konditionierbar, denn es kann auch mal sein, dass ich wenig Zeit habe, und wie sage ich dies meinem Hund? So lernt er, nach dem „kehren“ gehen wir zum Auto, und er sucht sich so rasch wie möglich ein ideales Plätzchen, um sich zu versäubern. Auch für Jypsy ist dies seit Jahren eine wirkungsvolle Methode, und ich brauche mich nie zu ärgern, weil mir die Zeit davonläuft, denn meine Hunde kennen mein Verhalten, das ich ihnen ohne Druck oder Missmut auf diese Weise beibringen konnte. Ich las über Hunde, bei denen man nur soweit ging, bis sie sich versäubert hatten, um sogleich nach Hause zurückzukehren. Mit der Zeit haben diese gelernt, ihre Notdurft nur noch zu Hause zu befriedigen, und versäuberten sich auf den Spaziergängen nicht mehr. Hunde zu kennen behaupten viele, aber wir sind noch weit davon entfernt, alles über sie zu wissen. Hier darf noch lange erprobt und erforscht werden, und es werden noch viele neue Erkenntnisse auftauchen, die uns aus dem Staunen nicht mehr herausbringen.

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