Traumhund, Buch von Emil Keller

Keller_Traumhund_Cover

Selbst wenn man die Vorgeschichte von Faust kennt, so ist es nicht ungewöhnlich, in relativ kurzer Zeit durch Selbstbeherrschung und Verständnis für das Wesen Hund, sein Verhalten gegenüber den Mitmenschen positiv zu beeinflussen. Ich bin sicher sehr stolz auf das, was ich bisher erreicht habe, aber auch stolz auf den edlen Charakter meiner Hunde. Man hatte bei Faust als Welpe und Junghund viele Fehler gemacht, und trotzdem hat er sich im vergangenen Jahr gut entwickelt. Er ist weder ein Angstbeißer noch explizit aggressiv, sondern eher ein edler, zurückhaltender, doch vom Menschen verunsicherter, freundlicher Hund geblieben.
Das Nuckeln am Deckenüberzug oder Kissen hat er bereits seit vielen Wochen völlig abgelegt. Ich freue mich, dies gewaltlos vollbracht zu haben, denn die Gründe lagen kaum nur an schlechter Gewohnheit oder Genetik, sondern ich denke, dass er mit diesem Gehabe seinen seelischen Stress abzubauen versuchte.
Sein Gehör, oder besser gesagt das Gehör meiner Hunde ist unglaublich. So hören sie die Pferde schon lange, bevor ich sie überhaupt sehe oder selbst wahrnehme. Faust reagiert genau gleich, als wäre Wild in unmittelbarer Nähe. Er ist in diesen Augenblicken angespannter und aufmerksamer als Jypsy. Kommen die Pferde näher, so rufe ich ihn zu mir, und ich brauche nichts zu sagen, schon legt er sich hin und wartet, bis sie vorbei sind. Danach würde er ihnen aber nachjagen wollen, wäre er frei, doch diesen Drang verhindere ich damit, dass ich ihn recht lange im Sitz behalte und aufrichtig lobe. Danach lasse ich ihn in die Leine laufen, doch bevor er das Ende dieser acht Meter erreicht, dreht er bereits ab um nochmals ein oder zwei Runden anzufügen. Ich denke, dass er im Moment dieses Ventil noch braucht, um seine innere Erregung besser in den Griff zu bekommen.
Ich genieße diese Spaziergänge ganz besonders, denn früher schmerzte mich jeder Schritt und ich war daher nur selten optimal eingestimmt. Aber jetzt, nachdem eine engagierte Oberärztin mir zu enormen Fortschritten verholfen hat (Danke, liebe Frau Doktor N.S.!), sind die „grauen“ Gedanken verflogen, und ich frage mich nicht mehr, ob ich die Übernahme von Faust nicht besser gelassen hätte. Ich denke, im Gegenteil, dass gerade meine Hunde mir die Kraft geben, mich immer durch gewisse Krisen zu beißen, um meine Verpflichtung ihnen gegenüber wahrzunehmen, was sich auch auf meine Füße positiv auszuwirken scheint. Auch das Ziehen an der Leine hervorgerufen durch Wild, das vor uns auftaucht, ist heute nicht mehr so problematisch wie früher, denn sie kennen zu 80 Prozent das Ende der Auszugsleine. So stehen sie bei gestreckter Leine und beobachten fasziniert das Wild, wohl wissend, dass ich keine Jagd zulasse.
Im Buch „Wölfisch für Hundehalter“ von G. Bloch und Elli H. Radinger wird „Von Alpha, Dominanz und anderen populären Irrtümern“ gesprochen. Hier wird anhand von Freiland- und Vergleichsstudien zwischen Hund und Wolf mit vielen Irrtümern, die noch heute im Volksmund kursieren, radikal aufgeräumt. Wir erfahren eine abgeklärte Sicht, vor allem zum Verständnis des genetisch bedingten Verhaltens unserer Hunde. Viele begründen ein Verhalten vom Wolf ableitend, doch unsere Hunde sind ebenso geprägt von ihrer direkten Umgebungsstruktur und daher eine Mischung. So sind schlecht betreute Hunde bedeutend schwieriger einzuschätzen als gut geprägte mit ausgeglichenen Führern.
Es gibt immer wieder Argumentationen verschiedenster Autoren, die je nach Standpunkt widersprüchlich erscheinen, doch es ist eben oft auch das persönliche Augenmaß und Einfühlungsvermögen gefragt. Man muss vieles lesen, um das Verständnis zu erweitern, denn es ist auch die Persönlichkeit jedes einzelnen Individuums, das die Sicht verändern kann. Wenn der Sinn eines Ratschlags nicht überzeugend ist, soll man diesen überdenken, eigene Beobachtungen mit einfließen lassen und nach eigenen Wegen suchen. Jedes Tier ist so einzigartig wie auch der Mensch, und diesem Wissen zur Folge hat keine Theorie Anspruch auf absolute Gültigkeit. Doch viele Erfahrungsberichte schaffen Bandbreiten, die dem Hundehalter helfen, mit seinem Tier eine erfolgreiche Übereinstimmung zu finden. Es scheint mir aber auch, dass je nach Situation oder der persönlichen Verfassung Faust mehr oder weniger stark auf die Umweltreize reagiert. So gibt es Tage, wo er gegenüber Joggern, Reitern oder sonstiger Wanderer unsicherer wirkt und stärkere Emotionen anzeigt als an anderen Tagen. Es wird noch viel Zeit vergehen, bis er mehr innere Sicherheit erlangt, aber sind wir als Menschen genauso sicher in allem, was wir tun? Die Harmonie, wie ich sie bei meiner Jypsy empfinde, scheint noch in weiter Ferne. Aber sie ist hoffentlich nicht unerreichbar, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, Faust möge eines Tages die kleine Türe zu seiner verletzten Seele um einen größeren Spalt öffnen.
Seltsam berührte mich ein Erlebnis während der vergangenen Woche. Ich war bei meinem Freund Bernard zu Besuch in Marly. Bevor wir zusammentrafen, ließ ich meine Hunde ins Freie, damit sie sich etwas Bewegung verschafften, denn wir waren schon seit gut zwei Stunden unterwegs. Ich fuhr gegen Granges-sur-Marly hinauf und führte dort beide an der Leine durch die Landschaft. Plötzlich zog Faust zu einem Baum, und ich dachte so für mich, was mag dort so Spezielles sein, außer er will seine Präsenz markieren. Auch Jypsy zog es magisch zu Faust, und so verharrten beide vor etwas „Schwarzem“, und erst näher tretend erkannte ich, was sie dort so spannendes vorfanden. Eine Krähe, möglicherweise verletzt, schmiegte sich mit ausgebreiteten Flügeln an den Boden am Fuße dieses Baumes leicht verdeckt von jungen Blatttrieben, die wie schützend über dieses Wesen sich erstreckten. Keiner meiner Hunde, nachdem ich „Platz“ befahl, nun beide vor der Krähe liegend, zeigte Aggression, noch getrauten sie sich, dieses Tier mit ihren Pfoten zu berühren. Sie beschnupperten die Krähe hautnah mit großer Vorsicht und Zurückhaltung, obwohl sie normalerweise diesen Vögeln beherzt nachjagen. Ich kenne keinen Hund, der jemals eine Krähe fangen konnte, denn Krähen verstehen und beherrschen das Spiel mit unseren Vierbeinern. Ich zog Faust und Jypsy zurück, befahl beiden, sich erneut hinzulegen, um mich selbst nahe genug heranzuwagen. Nun beäugte mich die hellwache Krähe mit ihren blitzenden und im Lichte funkelnden Augen, als wolle sie sagen: „Was gaffst du so blöd, lasst mich doch in Ruhe!“ Mir kam das Buch „Wölfisch für Hundehalter“ in den Sinn, wo die Symbiose zwischen Wölfen und Krähen beschrieben ist und war mehr als erstaunt, dass meine Hunde diesen Vogel nicht angegriffen hatten. Dieses Erlebnis ist bemerkenswert und geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Könnte Genetik über so viele Jahrtausende und Generationen noch immer ihre Wirkung zeigen, oder war es nur ein ungewohntes und überraschendes Zusammentreffen? Ein Fuchs hätte diese Begegnung mit meiner Jypsy nicht überlebt, da bin ich mir aus Erfahrung sicher. Fausts Verhalten beim Knall von Feuerwerkskörpern zeigte er am vergangenen 1. August nicht mehr so heftig wie früher. Wenn ich alles beschreiben müsste, benahm er sich weniger gestresst und stand weniger unter Druck als selbst am vergangenen Silvester oder am Nationalfeiertag im Vorjahr. So bin ich im Grunde zufrieden mit seiner Entwicklung. Ich weiß ja selbst, wie schwierig es ist, einen Hund mit diesem Handicap in eine Schussgleichgültigkeit zu führen. Allerdings muss ich hier anfügen, dass ich alle Gäste auf die Problematik hingewiesen hatte, und sie versuchten das Knallen in der Nachbarschaft zu ignorieren und streichelten ihn auch nicht, obwohl er sich sehr unruhig zeigte. Aber durch die Gäste war er selbst auch abgelenkt, und somit blieb alles in einem gewissen Rahmen.
Die Ausgeglichenheit von unserem Faust hängt von so vielen Faktoren ab, und man weiß nie mit Sicherheit, welche Folgen ein unbestimmter Auslöser wie auch nur minimalste Einwirkungen zum falschen Zeitpunkt auf seine undurchsichtige und belastete Seele haben. So zeigt es sich einmal mehr, dass, wenn selbst Kollegen der Meinung sind, ich wäre allzu nachsichtig, es sich langfristig lohnen kann, vor allem Geduld zu haben und nach humanen Wegen zu suchen. Genauso ist es bei einem Welpen, denn wer nicht mit Liebe und Geduld diesen auf das Leben vorbereitet, wird kaum zu einem glücklichen Team wachsen.
So ging dieses Gratwanderung immer weiter. Meine Bemühungen und Fragen, mit welchen ich alle Bekannten und Freunde weiterhin durchlöcherte, brachten nichts zu Tage. Ich kenne nun schon so viele „Besserwisser“, die mir erzählen, wie ich mit meinem Faust umzugehen hätte, als könnten diese meinen Faust mit all seinen Erlebnissen sofort einschätzen und wüssten, was zu tun wäre und woran alles liegt …??!! Zu oft hörte ich Vorwürfe über meine Schwäche als Hundeführer, aber immer, wenn ich meinen Hund in seinem gesamten Verhalten beobachtete, erkannte ich seine immense Sensibilität und fühlte mich glücklich mit dem, was er mir zeigte. Wir verstehen uns besser, als die Umwelt zu ahnen vermag. Befindet er sich mitten unter Pferden, Menschen mit Hunden, Joggern und Spaziergängern, selbst in dichtem Gedränge an belebten Orten wie Bahnhof, Menschengruppen oder Gondelbahn, so ist er ruhig und normal, zeigt weder Angst noch übermäßigen Stress, aber möglicherweise wurde er in solchen Situationen auch nie beschädigt. So spielen Erlebnisse in den genannten Situationen keine negative Rolle, welche sein Denken ausschalten würde. Sobald seine persönliche Emotionalität oder diejenige des Hundeführers durch einen plötzlichen Auslöser über ihn hereinbrechen und seine schlechten Erfahrungen ins Spiel kommen, so flippt er aus, und selbst in der Position „Platz“ kann er sich nicht mehr entspannen und bleibt in Erregung, bis Pferde, Spaziergänger oder was auch immer vorbei sind. Die Kompensation erfolgt, indem er nicht unbedingt dem Jogger nachspringt, sondern weiter in unsere Laufrichtung rennt und kurz vor dem Ende der Leine zurückkommt, um gleich wieder dasselbe Spiel zu machen. Nach einigen „Ellipsen“ beruhigt er sich, und sobald seine „Erregung“ für ihn vorbei zu sein scheint und sein Ritual abgeschlossen ist, wird er wieder so normal wie zuvor. Wenn ich ihn aber zwinge, bei mir zu bleiben, und er seine Emotion nicht ausleben darf, kann ich minutenlang warten, und er zeigt dieselbe Reaktion einfach in sich langsam abschwächender Form. Oft frage ich mich, ob es sich um eine Hirnstörung handeln könnte, die bei einer entsprechend nervlichen Anspannung sich kurzschließt, um nach einer gewissen Zeit erst wieder abzuklingen?
Nun habe ich auch noch meinen Freund Beat Brügger aufgesucht, der mir einige Tipps gab. Allerdings hat auch er Zweifel, ob das Fehlverhalten geheilt werden kann. So sagte er, wenn die Prägungsphase versaut wäre, seien Fehlverknüpfungen die Folge und erschweren ein konstruktives Umpolen. Wer denkt, einem Malinois mit handfester Einwirkung während der Jugendzeit etwas beizubringen, irrt, denn dieser Hund lernt wohl sehr schnell, aber durch seine Intelligenz und sein Lernvermögen erkennt er ebenso schnell, woher Ungemach droht. Eine Strafe, die der Hund mit dem Hundeführer verbindet, wird dieser in kürzester Zeit vorwegnehmend erkennen und der Hund lernt lediglich ein Ausweichen oder Fliehen.“ Beat hatte auch einige Ideen, was in Faust in etwa ablaufen könnte, und wie er dies unter Umständen als Kompensation zu seinen Erlebnissen zeigt. So konnte er aufgrund meiner Schilderungen Möglichkeiten aufzeigen, mit welcher Strategie ich erfolgreich sein könnte. Selbst wenn ich versuche, alles richtig zu verstehen, so schien es mir wie im Hundesport, wenn ein Ausbildner die Lernschritte erklärt. Zuerst darüber schlafen, dann im Kopf alles nochmals durchdenken, um alsdann die Lernschritte vorsichtig und spielerisch einüben.
Die Kollegen aus dem Tierheim, wo er vor mir war, machen mir meine Führungsschwäche zum Vorwurf, was zeigt, wie wenig diese von einem belgischen Schäferhund „Malinois“ verstehen. Dieser weckt nämlich in mir gerade den allergrößten Respekt. Dies habe ich ebenso mit meiner Jypsy erfahren, welche durch die gegenseitige Kommunikation imstande ist, sich mir tatkräftig mitzuteilen. Sie konnte sich auch mutig zur Wehr setzten, wenn sie etwas nicht verstand. So reagiert sie energisch und schnappt auch, wenn ich ihr aus Versehen auf ihren Fuß trete. Dies zuzulassen ist nur möglich, wenn gegenseitiger Respekt gepflegt wird. Ihr Verhalten „Sich-zur-Wehr-Setzen“ bedeutet für mich keine Führerschwäche meinerseits und wird vom Hund auch nicht so interpretiert. Jedoch in diesem Falle wäre es grundfalsch, meinen Hund für den mir zugefügten Schmerz und ihn wegen seiner berechtigten Reaktion zu bestrafen. Das Beste war immer, wenn ich in solchen Situationen absolute Ruhe bewahrte und ihr Verhalten ignorierte. Zurückschlagen würde nur in einen Kampf münden, und hier ergäben sich nur Verlierer. Sie verlöre das Vertrauen in mich und ich eine freudige Mitstreiterin. Faust im Gegensatz zu Jypsy reagiert bestenfalls mit „Flucht“ oder nimmt einfach alles hin. Ob dies darauf hindeutet, dass er gebrochen worden ist, bleibt dahingestellt. Ich kann mir dieses Verhalten bei einem im Trieb hochstehenden Hund auch nicht besser erklären.
Wenn wir so mutterseelenallein im Wald spazieren, ist Faust sehr umgänglich. Oft lasse ich meine Jypsy an einem Ast nagen und halte mich zurück, um ihr dazu auch Zeit zu lassen. Faust hingegen umkreist uns, als wüsste er nichts anderes zu tun, als seinen Tätigkeitsdrang durch diese Ersatzhandlung auszugleichen. Er kommt kaum mehr aus dem Schema seines heutigen Verhaltens heraus. Er braucht viel Geduld und Zuneigung, ohne dass ich dabei meine Jypsy vernachlässige, denn auch sie beansprucht meine Aufmerksamkeit und mein Wohlwollen. Ich hoffe immer noch auf ein kleines Wunder, aber dies dauert beim Faust einfach etwas länger …
So bleibt am Ende bei Problemen meist nur der vorsichtige Versuch, sein Verhalten für mich selbst durch genaues Beobachten zu interpretieren und gleichzeitig mit fantasievollem und sachtem Gegensteuern, den Hund wieder zur Normalität zu führen. So erhalten wir das gegenseitige Vertrauen und lernen, mit ihm über verschiedenste Ebenen zu kommunizieren. Wir alle machen Fehler, aber solange Vernunft, Verstand und der gegenseitige Respekt gewahrt werden, kann im Grunde nichts schief gehen. So bietet sich jedem die Möglichkeit, einen Hund erfolgreich zu führen und auszubilden, denn der Hund ist bei engagierter Motivation von der Seite des Hundeführers immer bereit, seine Verhaltensweisen unseren Ansprüchen anzupassen und stellt sich im Normalfall erwartungsvoll und positiv auf ein Spiel über verbales Lob oder Belohnung ein. Wichtig ist, dass der Hund fair und mit Sachverstand geführt wird, und keine Emotionen außer positive ausgelebt werden. Bei jeder Korrektur ist es wichtig, dass stets das Lernen, sein Wohl und gleichzeitig die persönliche Zuneigung im Vordergrund stehen. Nur so formen wir ihn.
Vor einigen Tagen streiften wir durch den Wald, als hinter uns eine Reiterin langsam zu uns aufschloss. Faust verfiel wie üblich in ein hektisches Traben, indem er sich im Kreis vor mir bewegte. Als die Amazone nahe genug war, befahl ich ihm, sich ins „Platz“ zu begeben, und er legte sich artig neben mich. Meine Jypsy stand teilnahmslos daneben und war unbeeindruckt. Gleichzeitig, als die Reiterin auf unserer Höhe war, kam noch ein Förster mit seinem Auto und fuhr im Abstand von wenigen Sekunden ebenfalls an uns vorbei. Nach einem kurzen Moment wollte ich weiter gehen, gab das Kommando bei mir zu bleiben, aber Faust war innerlich so erregt, dass er einen Spurt hinlegte und ich vor lauter Schreck, er könnte mich umreißen, die Leine losließ. Faust stürmte gegen das Pferd, wetzte unter dessen Bauch durch, die Ausziehleine schlug kurz an dessen Hufe, und er blockierte es durch kurzes Bellen. Das Pferd ging vorne hoch, die Reiterin parierte und ritt gegen meinen Faust. Hiervon beeindruckt floh er einige Meter, die Reiterin drehte ihr Pferd und ritt von dannen. Ich rief Faust zu mir und staunte über die Coolness dieser Reitsportlerin. Faust kam, den Griff der Leine im Schlepptau, direkt zu mir. Es ist möglicherweise für ihn zu viel, wenn gleichzeitig ein Pferd und ein Auto im Wald so kurz nacheinander auf uns treffen. Es dauerte noch eine gewisse Zeit, bis er sich wieder beruhigte. Dass er umgehend zurückkam, war wohl eines Teils wegen der störenden Auszugsleine (Flex) und andererseits der Beherztheit der Reiterin geschuldet, welche mutig und gekonnt auf ihn zuritt. Das anzufügende „Leider“ ist, dass er hieraus einfach nichts lernt, denn alles geschieht aus meiner Sicht, als mache er dies einfach aus Verwirrtheit, als fege ein Sturm durch sein Gehirn, der klares Denkvermögen verhindert.
Nun hat Faust wieder etwas ganz Spezielles entdeckt. Sobald meine Jypsy mit einem Blatt aus dem Wintergarten zwischen ihren Lippen sich vor mich hinsetzt, mich fixierend eine Belohnung für ihre BringLeistung einfordert, so kommt nun neu auch Faust hinzu, steht an mir hoch, und zeigt mit seiner Schnauze auf das Blatt zwischen ihren Lippen. Abwechslungsweise schaut er auf mich und zeigt auf das Blatt und wiederholt dies mehrere Male. So fordern sie gemeinsam, als würde er sagen: „He Dummerchen, siehst Du nicht das Blatt zwischen den Lippen von Jypsy? Du weißt doch, was dies bedeutet!“, und unterstützt die Handlung von Jypsy, indem er mir sogar den Weg zur Belohnung durch wenige Schritte in Richtung Futtertonne anzeigt. So ist man immer wieder überrascht, wie intelligent so ein Hund in Wirklichkeit ist, und lernt damit ermessen, wie gut die Denkleistung sich bei guter gegenseitiger Bindung entwickeln könnte. Ich weiß noch von vielen weiteren Kooperationen zwischen meinen Hunden, die sie klar gemeinsam anzetteln. Dieses Harmonieren immer wieder zu erkennen, ist eine wunderschöne Bereicherung im Alltag. So gestaltet sich das Zusammenleben lebendig und abwechslungsreich. Hierzu gehört das „Wecken“ am Morgen, ohne dass ich bemerken soll, dass meine Hunde die Störenfriede sind, oder wie sie mir ihre Bedürfnisse erklären. So entwickeln die Hunde sehr schnell ihre eigene Sprache und Schlauheit, die sie gekonnt einsetzen, wo sie profitieren können oder auch, um mich zu ihrem Vorteil ideenreich zu beeinflussen. Oft sind es nur die Augen respektive der entsprechende Blick mit dem dazugehörigen Ausdruck und Verhalten, das mich lenken soll, denn jeder Hund hat seine eigene Form und in dieser auch sein eigenes, vielsagendes Gesamtbenehmen. Je besser wir uns gegenseitig kennen, desto offener und klarer entwickelt sich deren Forderungsverhalten. So wird eine gewisse Zwiesprache mit seinem Menschen möglich. Auch dies ist ein Stück der großen Faszination, die Hunde zu einem der beliebtesten Begleiter des Menschen gemacht hat. Die Augen des Hundes sind wie ein Spiegel seiner Seele. Wie ich meiner Jypsy beim Start zur Unterordnung bei der Weltmeisterschaft in ihre klaren Augen schaute, wusste ich, nun gibt sie alles, und ich kann auf sie zählen. Faust hat noch einen weicheren, weniger direkten und weniger fordernden und selbstbewussten Blick, beginnt aber gleichwohl, zu Hause immer mehr mit mir zu kommunizieren. Er drückt seine momentane Stimmung noch durch komplexeres Verhalten aus, indem er mich wohl oft nur ganz kurz ansieht, aber gleichzeitig auch seinen ganzen Körper miteinbezieht. So zeigt er sich ungestümer als Jypsy und benimmt sich wie jemand, der etwas erklären will und die richtigen Worte nicht findet. Ein Beispiel hierfür ereignete sich auf dem Spazierweg. Jypsy will den Weg links entlang, ich dachte, wir gehen rechts. Sie bleibt stehen, schaut mir in die Augen und signalisiert links. Faust unterstützt ihre Signale und geht hektisch im Kreis, als wolle er sagen: „He! Wir wollen den linken Weg gehen, siehst Du nicht, wie Jypsy dich ansieht?!“ So bleibt mir oft ein Lächeln auf den Lippen, aber ich entscheide am Ende trotzdem, indem ich meine linke Schulter in die Richtung des mir vorgestellten Weges wende, nämlich nach rechts, was Jypsy bestens lesen kann, obwohl ich auch hin und wieder nachgebe, ganz zur Freude meiner Hunde.

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