Wenn man überall liest, dass Hunde nur zwei bis höchstens drei Sekunden lang ein Lob für eine Leistung einordnen können, so erkenne ich doch andererseits folgende Begebenheiten, was auch seine Gedächtnisleistung anbetrifft. Der Hund legt den Ball hin, frisst Gras, geht ein paar Schritte weiter, frisst erneut an einem Grasbüschel und nach zwei Minuten sucht er den Ball genau dort, wo er ihn abgelegt hat. So hat er mit Bestimmtheit ein besseres Gedächtnis. Oder mein Hund läuft vor mir, legt den Ball gut sichtbar nieder, geht weiter und spürt, ohne dass er hinschaut, ob ich diesen aufgenommen habe. Nach dem Versäubern kommt er direkt zu mir und fordert den Ball zurück und dies auch nach vier bis fünf Minuten! Oder auch noch etwas anderes: Faust lässt seinen Ball irgendwo liegen. Jypsy scheint dies bemerkt zu haben. Nachdem wir uns über diverse Waldwege entfernt haben, befehle ich Jypsy, den Ball zu suchen. Sie rennt los und findet ihn an der Stelle, wo Faust ihn liegen ließ. Auch vergaß Jypsy einmal einen Ball etwa fünfhundert Meter weit zurück am Wegrand. Wie ich sie fragte, „Wo ist dein Ball?“, ging ich mit ihr zurück, und sie verfolgte treu ihre Spur, zeigte mir schon zwanzig Meter zuvor, dass sie genau wusste, wo der Ball lag. Ich war erstaunt, dass sie dies noch wissen konnte, denn sie zog so direkt am Ende des Weges quer über den Waldweg zum Ort des Balls, dass ich klar sah, hier verfolgt sie keine Spur mehr, sondern sie weiß noch, wo sie ihn liegen ließ, und das mit dem Wind im Rücken. Ich denke, dass Hunde ein weit besseres Gedächtnis und eine größere Merkfähigkeit haben, als wir annehmen und gerade deshalb lohnt sich ein fairer Umgang. Wir müssen einander nur mehr Glauben schenken. Diese Art von Zwiesprache führt weiter, als man denkt. So werden Augen und Körpersprache zu wichtigen Kommunikationskanälen zwischen Hund und Mensch, und wer dies entdeckt, erkennt, was für eine Ausdruckskraft im Verhalten unserer Hunde verborgen liegt.
Ich betrachte Hunde ähnlich wie Kinder. Wir spielen mit ihnen, auch wenn es „Ernst“ (für uns) wird, zum Beispiel bei Prüfungen. Was machen wir anderes in der Unterordnung, als den gestrengen Führer zu mimen, und fesseln sie durch unsere Körperspannung, um am Ende des Spiels in Freude und durch Lob zu entschädigen. Dieser Aufbau vollzieht sich nur sehr langsam. Die kurze Phase der Strenge und des Konzentriertseins beim Training und bei Prüfungen muss sich für einen Hund lohnen und auch ausgedehnt werden. Doch alles muss von Herzen kommen, denn gespielte Zuneigung erkennt auch der Hund. So wird ein ausgeglichener Hundeführer einen Hund haben, der länger gute Leistungen bringt, als wenn er ihn nur „benutzt“, um Erfolg zu haben. Erfolg kann nur entstehen, solange Harmonie im Zusammenleben besteht. Sicher, der eine Hund ist schneller zufriedenzustellen, denken wir an Zwingerhunde, aber Hunde, die immer um den Führer leben und ein wenig verhätschelt sind, verlangen meines Erachtens im Sport mehr Engagement, weil uns der Hund besser kennt und somit auch besser „lesen“ kann. So zeigen Hundeführer oftmals ein differenziertes Gehen während der Vorführungen und des Trainings, um dem Hund zu zeigen, es ist kein gewöhnlicher Spaziergang angesagt, und reißen sich auch selbst zusammen. Nicht zu vergessen ist dabei, dass durch die Intelligenz der Hunde all die Schwächen des Halters genauso ausgenutzt werden, wie dies auch Menschenkinder tun, um zu einer Belohnung oder an Aufmerksamkeit zu kommen.
Als wir zum Abendspaziergang aufbrachen, wir standen noch gerade beim Auto, meine Hunde angeleint, kamen vom Wald her palavernd eine Schar Jungs daher, teils im Laufschritt, einige mit Fahrrad und sogar mit einem Moped, bei dem die Zündung spukte und knallte. Dies alles tönte wohl freudig, als hätten diese ein tolles Erlebnis hinter sich, doch Faust begann wie ein scheuendes Pferd seinen Kopf in den Nacken zu werfen, war plötzlich außer sich, kaum ansprechbar, und wie sie alle weg und alles wieder still war, konnte er sich nicht beruhigen. Wir spazierten den Wald entlang, doch Faust war höchst erregt, und selbst das Versäubern wollte nicht mehr klappen. Wir gingen den Weg zurück, er kreiste um meine Jypsy, und irgendwann sagte ich „kehren“. Meistens versäubert er sich danach, doch nichts dergleichen geschah. Immer, wenn er Jypsy umkreist, schnappt er gegen sie, als wolle er sie zwicken, doch zugelangt hat er bislang noch nie, und ich denke, es handelt sich hier mehr um eine reine Verlegenheitshandlung. Ich ging mit beiden Hunden in den Wald zurück, doch Faust war immer noch nicht ansprechbar, und nach einer Weile gingen wir zum Auto. Ich überlegte mir, was ich nur tun könnte. Nachdem weit und breit keine Menschenseele zu sehen war, ließ ich Faust von der Leine und wollte wissen, was nun passiert. Wie von einer Tarantel gestochen rannte er in den Wald, und während er mich noch hören konnte, rief ich „kehren“, aber ich habe nicht geschrien. Vielleicht war er an die dreihundert Meter weit gerannt, drehte dann um, kam zu uns, ich sprach ihn ruhig an, und er kam auf die ruhige Aufforderung folgsam zu mir. Ich lobte ihn, doch er war immer noch nicht ganz heruntergefahren. So ließ ich erneut los, und da packte ihn der Stress abermals, und er rannte wie ein geölter Blitz wieder in den Wald zurück, kam dann aber auch gleich wieder wie zuvor, nun etwas ruhiger, und entgegen früherer Verhaltensweisen kam er erneut direkt zu mir, und ich entließ ihn ins Auto. Was tun in solchen Momenten? Dies ist die Frage, die mich im Augenblick am meisten beschäftigt. Was würde passieren, ich ließ ihn mitten im Getümmel von Kindern einfach los? Würde er aggressiv reagieren oder könnte er hiermit eine alte „Sehnsucht“ abreagieren? Eine Sehnsucht, die er möglicherweise als Frust aus seiner Kindheit im damaligen Gehege neutralisieren könnte, indem er allen sagen dürfte, „Schaut her, ich bin doch ein lieber Hund, streichelt mich, nehmt mich mit euch, ich bin ja so lieb!“ Ein solches Experiment in der heutigen Zeit kann sich keiner mehr leisten. Aber wie kann man so eine „Frustreaktion“ neutralisieren? Das zusätzliche Verkennen dieser Ursachen während der sensiblen Junghundezeit, sowie die damit zwangsläufige Erfolglosigkeit aller getätigten Korrekturen, die Gewalt oder Druck beinhalteten, senkte das Existenzrecht für Faust auf null, wobei er eben nicht er die Null ist, sondern all diejenigen, die eine sorgfältige Prägung in der Junghundezeit vernachlässigten. Hiermit zerbricht man im wahrsten Sinne des Wortes jede Kreatur, und es bleibt nur die Frage: Können Menschen so abgestumpft und lieblos sein? Für mich gibt es hier keine Entschuldigungen, nur innere Trauer und gegenüber dem ehemaligen Halter echte Verständnislosigkeit. Kurz darauf entließ ich Faust an anderer Stelle erneut in den Wald, und danach versäuberte er sich problemlos.
Hin und wieder schaut mich Faust unverhofft an und kommuniziert Aufmerksamkeit und Zuneigung, verfällt dann aber gleich wieder in seine persönliche Welt der Melancholie und benimmt sich, als würde er nur in unserem Schutze leben können, indem er sich immer in meine Nähe legt. Für mich sind Momente seiner Wachheit und das Aufblitzen seiner Lebensfreude immer wieder Lichtblicke, die mich an ihn glauben lassen. So zeigen wir ihm unsere ganze Zuneigung und versuchen, seine verletzte Seele mit viel Einfühlungsvermögen zu beruhigen und zu heilen. Ich erfreue mich an der „heilen“ Welt, die ich mir heute im engsten Kreise schaffen konnte, und erfreue mich des großen Glücks, am Leben meiner Hunde teilzuhaben, welches ergreifend, ehrlich und fair sich zusammenfügt, als wäre es ein wirkliches Abbild einer bescheidenen, genügsamen und edlen Gesellschaft. Meine Jypsy hat bei seinen Ersatzhandlungen, in welcher er bei größter Erregung nach ihr schnappt, noch nie verständnislos reagiert. Hin und wieder keift sie relativ harmlos zurück, aber dies ist dann schon alles. Dies bedeutet für mich nichts anderes, als dass sie dies von ihm einfach anerkennt und nicht als Aggression wertet. So staune ich über ihren natürlichen Großmut und würde sie in solchen Augenblicken am liebsten liebkosen.
Ich erfuhr durch die Fernsendung „Einstein“ vom 27.05.2010, dass eine epigenetische Veränderung durch eine posttraumatische Stresserkrankung respektive eine Verhaltungsstörung durch Stress und Angst entstehen kann, wobei eine Heilung im herkömmlichen Sinne noch nicht möglich ist, da dazu die Medikamente erst entwickelt werden müssen. Durch den erlittenen Leidensdruck wird ein Gen bleibend verändert. Somit wird die Steuerung des Stresshormons Kortisol verändert und der Organismus kann nicht mehr angemessen auf Stress reagieren. Erst wenn man den Schaltkreis zu unterbrechen in der Lage wäre, oder die Ablösung des überschriebenen Gens vollziehen könnte und damit das Neutralisieren dieser Veränderung möglich würde, wäre der Ursprungszustand wieder herstellbar. Somit leidet beispielsweise der Mensch bei einer solchen posttraumatischen Stresserkrankung unter Schlaflosigkeit, Schweißausbrüchen und Angstzuständen, was später zu einer ausgewachsenen Depression führen kann. Angeblich dauert es noch Jahrzehnte, bis ein geeignetes Medikament für den Menschen auf den Markt kommt. Diese epigenetische Veränderung wurde bei Tier und Mensch nachgewiesen, was auch Rückschlüsse auf den Hund zulässt. Sie wird auch posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) benannt. Dieser Defekt kann auch genetisch weitergegeben werden und sich gleichfalls auf Nachkommen übertragen.
Somit wird mit Faust alles viel schwieriger als angenommen, aber dies ändert nichts an meinem Respekt vor der Kreatur und seiner Seele, die es umso mehr verdient, dass versucht wird, ein Gegengewicht zu seinen Belastungen zu schaffen. Er zeigt sich in den verschiedensten Phasen depressiv und zurückhaltend und teilweise in gewissen Situationen sehr verstört. Ich werde ihn jedoch trotz allem weiterhin fördern und um sein Wohlbefinden ringen. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, durch einen Stoff wie Bachblüten oder anderes, unter Umständen auch durch einen glücklichen Zufall aus der Apotheke der Natur diese Zustände zu beruhigen und die fehlgeleiteten Mechanismen damit möglichst zu dämpfen, die den Stress meines geplagten Hundes nähren.
Wird ein Medikament gefunden, würden davon auch Opfer aus allen aktuellen Kriegen, Terroranschlägen wie 9/11 und noch viele weitere misshandelte Lebewesen (Kriegstraumata) ganz allgemein profitieren können.
Für die Hundehaltung könnte dies bedeuten, dass die, die als „Kampfhunde“ ausgebildet wurden und während dieser Ausbildung unter starkem Stress standen, daraus ebenso eine Veränderung dieses Gens entwickelt haben. Die Käufer aus solchen Blutlinien müssten sich daher überlegen, aus welcher Zucht Hunde stammen, wie sie gehalten, geprägt und erzogen wurden. Selbst auch Elterntiere könnten somit Träger eines defekten Gens sein, das sie weiter vererben, und damit deren Welpen später in gewissen Situationen nicht mehr kontrollierbar oder verlässlich sind.
Ich erinnere mich, vor einigen Jahren einen Kampfhund erlebt zu haben, der aus einem gewöhnlichen Spiel plötzlich bitteren Ernst machte, ohne dass die damals einjährige Hündin etwas vom Zaun gebrochen hätte. Sie gewahrte das veränderte Verhalten des Spielkameraden, zog unverhofft die Rute ein und ich bat die Halterin, ihren Hund an die Leine zu nehmen. In der Tat befand sich dieser urplötzlich in einer Dominanzphase, und ich glaubte, schon damals festzustellen, dass der Hund wie in eine andere Haut schlüpfte oder ein Kippschalter betätigt wurde, und dass das vorherig friedliche Spiel zu einem Kräftemessen auszuarten drohte. Die Bewegungen des Kampfhundes wurden steifer und aggressiver. Zum Glück erkannte ich die Sachlage und brach das Spiel durch meine Intervention sofort ab. Später hörte ich, dass dieser Hund aus einer Kampfhundelinie stammte und selbst, wohl gut geprägt, große Probleme machte. Wie er endete, ist mir nicht bekannt.
Interessant ist hierbei, dass man schon lange vor dem Wildwuchs von sogenannten „Hobbyzüchtern“ warnt, aber jetzt könnte man mit dieser Erkenntnis Argumente ins Feld führen, welche neu und einleuchtender sind. Für den guten und seriösen Rassehundezüchter sind auch dies einleuchtende Gründe, und ich denke, dass auch über Gesetze und Auflagen künftig nachgedacht werden sollte. Von der Käuferschaft sollte genauer die Herkunft der Hunde durchleuchtet werden.
Somit dürfte schädliches Emotionsverhalten, das Gewalt beinhaltet, keinen Platz in der Hundeausbildung finden. Nur dies stärkt das gegenseitige Vertrauen und die Verlässlichkeit unseres Teampartners Hund.
Zurück zu meinem Faust. Auch zu Hause erkenne ich bei meinen Hunden viele Unterschiede. Der Schlaf meines Faust ist bedeutend erlebnisreicher und belastender als derjenige von Jypsy, auch wechselt er nachts oft seinen Liegeplatz. Auch tagsüber träumt er und zeigt eine erhöhte Unruhe, während er schläft. Auch Jypsy zeigt dies, aber nie in solchem Ausmaß.
Liegt Jypsy beim Essen unter dem Tisch mir zu Füßen, legt Faust sich abseits, mit einem Ausdruck zwischen Melancholie und Interesselosigkeit und wendet sich ab, um einem herunterfallenden Happen nicht nachsehen zu müssen. Dieser Ausdruck beeindruckt mich, denn diese Mimik zeigt Frustration und Enttäuschung, überdeckt durch gespielte Interesselosigkeit vermischt mit Trauer und Ohnmacht. Kaum aber rufe ich ihn, kommt er in freudiger Erwartung. Er ist ein bewegender Hund, und ich kann nur sagen: Wir mögen ihn nicht nur deswegen, sondern wegen vieler anderer Verhaltensweisen mehr!
Zu Hause fühlt er sich nur scheinbar wohl, denn es muss ihn etwas bedrücken. Dies schließe ich aus seinem Verhalten. Seine Art sich Hinzulegen, ähnlich einem Embryo, zeigt ihn mit sehr wenig Lebensfreude. Ein purer Gegensatz zu seinem Verhalten in freier Natur! Dies alles interessiert mich, denn im Gegensatz zu draußen im Wald ist er zu Hause nur ein Schatten seiner selbst. Er legt sich auch im Verhältnis zu Jypsy ganz anders auf das Sofa, indem er beinahe seinen Kopf darin zu verbergen versucht. Es ist, als wäre er traurig, eben depressiv, wie ich schon sagte.
Gehe ich mit meinen Hunden aus der Wohnung zum Lift, fahre hinunter, nehme den Weg durch den langen Korridor zur Garage, sieht man sehr deutlich den Unterschied zwischen meinen Hunden. Jypsy beinahe tänzelnd, erwartungsvoll, selbstbewusst und sich auf den
bevorstehenden Spaziergang freuend, so schreitet Faust wie teilnahmslos mit hängendem Kopf, angelegten Ohren und hängender Rute neben ihr her, als würde die eine zur Hochzeit fahren und Faust zur Schlachtbank geführt. Die Bedeutung dieses Verhaltens erscheint mir als Spiegel
seiner Jugend. Gerade diese Unterschiede zeigen, dass mit seiner Psyche etwas nicht stimmt. Ebenso folgt er mir noch heute auf Schritt und Tritt und dies, obwohl nach über einem Jahr er endlich spüren müsste, dass er definitiv zu uns gehört. Wer weiß, ob ich ihm irgendwann einmal kundtun kann, dass er sich auf uns verlassen darf, oder weiß auch er, dass Glück vergänglich ist?
Manchmal denke ich, gerade wenn ich den ganzen Frust von der Seele geschrieben habe, dass mein Faust dies bemerkt. So hat er sich in den letzten Tagen in verschiedenen Beziehungen etwas besser gezeigt als erwartet. Er ließ das Bett-Kissen in Ruhe, und zu Hause scheint mir alles doch etwas „normaler“ abzulaufen, was heißt, er zeigte sich in letzter Zeit auch leicht froher. Lustig war zu sehen, wie heute früh Jypsy ihren Ball bei einer interessant riechenden Hecke liegen ließ, er sich diesen erstmalig schnappte und wegtrug. Jypsy reagierte sehr gelassen, schaute mich nur vorwurfsvoll an, ich rief Faust zu mir, mit „Aus“ übergab er mir den Ball und ich gab ihn ihr wieder, womit wir fröhlich weiter des Weges gingen. Ich denke, Faust wie Jypsy sind beide für einen jeden eine Bereicherung. Dies erkennt man, wenn er sich zu stark an mich anschmiegt. Ein kleiner Laut von ihr genügt, und sofort entfernt er sich von mir und versucht, sie zu beschwichtigen. Er ist ein feiner „Herr“, von mir aus gesehen ein echter Hund mit Klasse, mit Einfühlungsvermögen und ein Taktiker.
Ein anderes Mal trafen wir am Waldrand eine größere Pfadfindergruppe und ich bemerkte schon, wie Faust unruhig wurde, sobald wir von weitem Stimmen hörten. Zur Sicherheit gab ich ihm einen Ball, nahm die Leine etwas kürzer und wir kamen zu der Gruppe, die vor einem Lagerfeuer hockte. Da zog er ziemlich heftig gegen das Auto. Es war überhaupt nicht so, als wollte er die Kinder angreifen, nein, er will eher dem Lärm oder vielleicht auch dem Geschrei oder einer Gefahr ausweichen. Er war einfach verunsichert, und so marschierten wir in einigen Metern Abstand am Lagerfeuer vorbei und machten sodann noch den gewohnten Zusatzweg, um meinen Hunden die letzte Möglichkeit zum Versäubern zu geben. Danach kehrten wir zum Auto zurück, doch kurz zuvor trat ein Junge aus dem Wald. Dieser „Pfadi“ war abkommandiert worden und suchte nach einem nahe gelegenen Brunnen. Ob ich einen nahelegenden Brunnen wüsste, fragte er mich und ich erklärte ihm den Weg. Faust, ich weiß es ja, ist nicht aggressiv, doch er sprang kurz am Jungen hoch, und ich konnte genau sehen, dass er gegen diesen absolut nichts im Schilde führte, weder gegen ihn schnappte, sondern im Grunde um Aufmerksamkeit buhlte. Dieser hielt drei leere Plastikflaschen in den Händen, die er mit Wasser füllen musste, und zuckte nicht mit der Wimper, als sich Faust für ihn interessierte. Ja, er ignorierte Faust förmlich. Der Junge kam noch ein kurzes Stück mit uns bis zum Auto, und Faust lief neben diesem, als gehöre er zu unserem Rudel. Dann wies ich dem jungen „Pfadfinder“ nochmals den Weg, und er verabschiedete sich freundlich dankend. Zu Beginn versuchte Faust stets, durch eine Drehsenkung seines Kopfes sich der Halskette zu entledigen. Anfänglich ist dies ihm hin und wieder gelungen, aber heute versucht er es nicht einmal mehr und haut auch nicht mehr einfach ab oder wartet, bis ich ihm diese wieder übergezogen habe. Grundlos rennt er nicht mehr weg oder umkreist uns auch nicht mehr mit einem „Fang-mich-doch Gebell“. Er versuchte es nicht einmal mehr, und so führe ich ihn bereits seit Monaten mit einer üblichen Gliederkette, die bei ihm relativ lose am Hals hängt.
Am 10. Juni 2010, kurz nach 12.00 Uhr mittags, begab ich mich in die Garage zum Auto, um mit meinen Hunden zum Wald zu fahren. Ich verließ den Lift, meine Hunde schlugen sogleich den Weg zur Garage ein. Ich folgte in einem Abstand von vielleicht vier Metern und glaubte zu träumen. Einige wenige Meter vor uns saß ein in etwa 1-½-jähriges Mädchen mutterseelenallein inmitten des Korridors auf dem Boden und strahlte meinen Faust an. Dieser und dahinter meine Jypsy liefen an diesem Kleinkind vorbei, und als ich ebenso beim strahlenden Wesen vorbei kam, erschien gleichzeitig unter der Türe, die direkt zur Garage führt, dessen Mutter. Ich war beeindruckt, wie Faust diese Situation meisterte, hingegen die Mutter dieses Mädchens erschrak, als sie die Hunde vor sich sah. Es schien, dass der ältere Bruder mit seiner Schwester ein kurzes Stück durch den Korridor gegangen war, während die Mutter mit einer Mitbewohnerin des Hauses in der Garage noch Informationen austauschte. Dieser verließ seine „kleine Schwester“ und kehrte zur Mutter zurück, die nun erschrocken mit ihm vor meinen Hunden und mir stand. Ich weiß, dass meine Hunde bezüglich Aggression auf Menschen ganz allgemein sehr zurückhaltend sind, denn meine Jypsy ist erprobt und sicher in allen Dingen. Sie lässt sich von nichts dergleichen beeindrucken. Auch Faust ist kein Hund, welcher ein Kind als „Beute“ betrachten würde, hat er doch selbst bei hilflosen Tieren eine ausgesprochene Beißhemmung. So war ich echt stolz auf meine Hunde, denn sie ließen sich von diesem alleine dasitzenden Kind in keiner Weise aus der Ruhe bringen und passierten dies ohne jegliche negative Reaktion. Erst im Nachhinein machte ich mir darüber Gedanken, denn man stelle sich vor, es wäre etwas passiert. Sicher sind alle Hundehalter zur sorgfältigen Erziehung angehalten, was meine Hunde für sich hier unter Beweis gestellt haben. Aber passiert so etwas anderswo, und ein Hund würde ein Kleinkind verletzen, ergäbe dies ein „Festessen“ für die Presse und eine „Hetze“ gegen die Hundehalter. Aber so spricht niemand von all den glücklich verlaufenen Fällen, die wie hier durch die Unaufmerksamkeit von Erwachsenen verursacht werden. Vor allem Sporthundeführer erziehen ihre Hunde bedeutend besser, denn sie haben um ein mehrfach größeres Basiswissen als die meisten „Hundeliebhaber“. Auch darüber sollte die Presse hin und wieder schreiben und nicht nur Horrormeldungen verbreiten und über Beißunfälle berichten, die zumeist nur durch verwahrloste und unerzogene Hunde ausgelöst werden. Leider pauschalisieren die Medien wie auch Politiker viel zu schnell, weil es einfacher ist, einen stummen „Schuldigen“ zu verurteilen. Ich laufe ja auch nicht blindlings über eine stark befahrene Straße. Gefahren gibt es überall, aber es war ja schon immer so bei den Menschen, dass man gerne die Schwächsten zu Schuldigen macht! Für Sporthunde löst generell der normale Mensch keinen Beutereiz aus, denn dieser wird durch den Sport gestillt. Dies erfolgt durch den Schutzdiensthelfer mit seinem Schutzarm, und gerade das macht eben den Unterschied, wird aber selbst von Politikern aus Unkenntnis der Materie immer wieder fälschlich zum Stimmenfang trotz besseren Wissens uminterpretiert. Viel gefährlicher sind unterbeschäftigte Hunde, die kein Ventil haben sich auszuleben, oder Hunde mit zu wenig Auslauf und Betreuung. Daher ist der Schutzdienst für Sporthunde samt allen Belastungen, wie Stockschlägen, Bedrohung und Fluchtszenarien für die Gesellschaft ein Segen, denn er sichert damit gleichzeitig die Wesensmerkmale und Qualitäten eines guten Gebrauchshundes und bringt diesem wie dem Hundehalter die auch hier bewiesene Alltagssicherheit im Umgang zu den Mitbürgern dieser Welt.

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