Dass ich gesundheitlich etwas überfordert bin, muss ich leider zugeben. Es ist aber so, dass einerseits Faust vorerst lernen muss, ganz allgemein mehr Vertrauen in die gesamte Umgebung zu gewinnen, andererseits kann man beim besten Willen nicht alles auf einmal unternehmen, denn Jypsy braucht ebenso Anerkennung und Zuwendung. So beobachte ich einfach diese beiden, wenn ich mit ihnen unterwegs bin, versuche, dies oder jenes zu interpretieren, und überlege mir, was ich als Nächstes zu tun habe. Beim Ballspiel hat sich sein Interesse erneut verflacht, und so fühle ich mich im Augenblick nicht gerade gut, denn etwas stimmt einfach nicht. So machte ich heute den Versuch nach dem ersten Spaziergang, nachdem ich mit Jypsy und Faust etwa fünf Minuten geübt hatte und dann noch den Ball warf, beiden einen Ball in den Fang zu geben, und mit diesem den zweiten Rundgang zu wagen. Nach hundertfünfzig Schritten verlor Faust bereits sein Interesse, ließ ihn liegen, denn das Markieren war ihm wichtiger. Jypsy fand den Ball sogleich im Laub, und ich startete einen neuen Versuch. Es war eine vergebliche Liebesmüh, und so steckte ich meine Jypsy ins Auto. Ich begann, mit Faust allein zu spielen. Als hätte er nur das „Aus“ gelernt, ließ er den Ball sogleich los, wie ich ihn an der Schnur auch nur leicht anfasste. So sagte ich ihm einfach „kämpfen“ und nach einigen Malen verstand er, was ich von ihm wollte, und dann zog er nach Leibeskräften. Ich lobte ihn, und er sauste samt Ball für ein, zwei Runden zwanzig Meter vor mir in der Wiese herum, triumphierend den Ball tragend. Ich rief ihn erneut zu mir, sagte erneut „kämpfen“ und schon hatte er das Spiel begriffen, und ich zog weiter, um ihn erneut obsiegen zu lassen. Sobald er bemerkt, dass das Spiel mit dem Ball nur mit mir stattfindet, wird er mir diesen möglicherweise zielstrebiger zurückbringen.
Gestern Abend hatte ich Besuch und irgendwie ging er wieder ins Schlafzimmer, holte mein Kissen und beschädigte den Überzug. Als ich zu Bett ging und mich ins Badezimmer begab, das direkt vor dem Schlafzimmer liegt, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Faust war sehr hektisch, wich zurück und benahm sich unnatürlich. Ich weiß ja auch nicht, was er alles vor meiner Zeit erlebt hat, aber wie ich sah, dass das Kissen nur leicht feucht ist, war mir klar, dass er unbewusst sich unsicher fühlte. Es war praktisch nichts passiert, und ich legte das Kissen an seinen richtigen Platz. Faust wollte nicht ins Schlafzimmer kommen und benahm sich gestresst, dass ich ihn auffordern musste, zu mir zu kommen. Nach kurzer Zeit beruhigte er sich wieder. Dann verzog er sich auf seinen Liegeplatz und schlief ein. Noch wusste ich nicht, dass seine Unruhe durch die Dominanz von Jypsy hervorgerufen wurde, die „ihr Schlafzimmer“ bewachte, und er das Kissen nur traktieren konnte, solange sie noch nicht ihren dominanten Platz auf meinem speziell dafür vorgesehenen Deckenüberwurf eingenommen hatte. So war sie immer zur richtigen Zeit als Erste dort und besetzte diesen und Faust hatte dann dort nichts mehr zu suchen. So musste ich Jypsy erst mal klar machen, dass beide das Recht haben, wenn ich noch nicht im Bett bin, diesen Platz belegen zu dürfen. Dies ist dasselbe, wenn wir die Hunde im Auto frei sich bewegen lassen, dass sie den Fahrersitz dort am tollsten finden. Wo der Chef sitzt, dort wollen eben alle sein.
An einem herrlichen Frühsommertag spielte ich mit meinen Hunden am Waldrand. Zuerst mit Jypsy, dann mit Faust. Als ich sah, dass Faust nach dem Werfen des Balls diesen nicht fand, schickte ich meine Jypsy, um diesen zu suchen. Sie findet ihn stets problemlos, hat sie doch eine sehr gut geschulte Nase. So entschloss ich mich, mit Faust ein paar Konzentrationsübungen mit dem Ball zu machen und bemerkte nicht, dass eine Läuferin sich direkt von hinten auf uns zu bewegte. Faust, voll konzentriert auf den Ball, reagierte in keiner Weise. Ich habe diese Dame nicht kommen hören, aber schon mal angetroffen, und wir hatten uns auch damals kurz über Hunde unterhalten. So wechselten wir erneut ein paar Worte, doch Faust blieb ruhig und gelassen. Ich war sehr erstaunt und freute mich riesig, denn auf diese Weise kann ich ihn mit einem Ball viel mehr ablenken, als wenn ich ihn nur bei Fuß rufe und an die Leine nehme. So steckte ich mir heute Nachmittag zwei Bälle in die Tasche und lief los. Als zwei Menschen auf uns zukamen, rief ich Faust zu mir, gab ihm den Ball und er begann zu kämpfen. Ich ließ ihn natürlich gewinnen, und er freute sich. So passierten uns die zwei Personen. Ich rief ihn wieder zu mir, und er überließ mir die Schnur, damit er weiter ziehen konnte. Er blieb bedeutend gelassener als früher. Noch weitere Personen begegneten uns und oftmals fanden sehr nette Gespräche statt. So denke ich mir, dass ich erneut etwas gelernt habe. Indem ich den Hund aktiv beschäftige, anstatt ihn durch Kommandos zur Ruhe zu zwingen, bleibt er Fremden gegenüber deutlich ruhiger. Alles scheint am Ende oft so unsagbar logisch und einfach, aber selbst durch das eigene Engagement ist man oftmals nicht genügend einfallsreich. Meine Zuneigung zu ihm gibt mir die Kraft, Neues auszuprobieren, und so hoffe ich auf eine langsame aber stetige Festigung seines Nervenkostüms.
Unglaublich interessant ist auch zu sehen, dass, wenn meine Jypsy an der Acht-Meter-Leine durch Stauden und Bäume rennt, sie in der Lage ist, immer wieder auf dem haargenau gleichen Weg zu mir zurückzufinden, ohne irgendwo falsch um einen Baum zu laufen, womit sie sich blockieren würde. Faust hat dies als Welpe nicht gelernt, und wenn er den Rückweg nicht korrekt findet, korrigiert ihn meine Jypsy heftig. Er hat diesbezüglich seit den Anfängen große Fortschritte gemacht, und es ist in allen Bereichen dasselbe: „Übung macht den Meister“. So erlebe ich alle Tage viele differenzierte Verhaltensweisen und kein Spaziergang ist gleich, sondern immer wieder neu, unterhaltend und spannend. Ich bewundere meine Hunde, mit welcher Verhaltensvielfalt diese miteinander kommunizieren und finde bei ihnen immer mehr Facetten von Freundschaftsbezeugungen, welche auch bei Menschen beobachtet werden können. So wächst mein Respekt und meine Liebe gegenüber meinen „Hundekindern“ täglich, und ich bin dankbar, von diesen ebenso lernen zu dürfen. Ich erinnere mich immer mehr an den Ausspruch von Jack London: „Das letzte Wort über die Wunder des Hundes ist noch nicht geschrieben.“
Wenn auch der Hund im Sport harte Arbeit leistet, so ist außerhalb dieser Tätigkeit gerade auch der einfühlsame Umgang des Hundeführers von zentraler Bedeutung, denn kein Säugetier ist nur Befehlsempfänger, sondern verlangt in gewissen Bereichen nach gegenseitigem Verstehen, Freundlichkeiten und Vertrauen. Nur so erschaffen wir die gewünschte Teamarbeit, die durch gelebte Aufmerksamkeit manifest wird.
Sicher ist jeder Hund anders, mehr oder weniger lernbereit, mehr oder weniger sicher im Verhalten gegen die äußerlichen Umstände, doch das Prinzip ist überall gleich. Je mehr Geduld und Zuneigung ich zum Tier empfinde, desto besser entwickeln sich gegenseitiges Verstehen und die daraus erwachsende Selbstsicherheit. So lernt der Hund bereitwilliger, und es wird einfacher, miteinander Probleme zu bewältigen. Konflikte zeugen von vergangenen Missverständnissen, denn durch Härte kann kein lang anhaltendes Können oder Verhalten vermittelt werden. Nur das aufbauende vertrauensvolle Zusammenwirken von Hund und Führer bringt uns der Nachhaltigkeit näher.
Durch das Spiel mit dem Ball als Ablenkung habe ich wiederum ein wenig Stress bei Faust abbauen können und hoffe, dass hiermit der große, dunkle Tunnel der Ratlosigkeit sich aufhelle und die Phase des gefühlvollen Miteinanders anbricht. Auch im Schutzdienst scheint er etwas sicherer. Selbst die gestrige Fährtenarbeit war für mein Verständnis ordentlich. So empfinde ich immer wieder Freude und Stolz, diesen lieben Hund mit uns zu wissen, zeigt er sich doch in vielen Bereichen als Gentlemen, vor allem Jypsy gegenüber. So gäbe es noch viele Beispiele, welchen Einfluss sie auf ihn hat und wie er damit umgeht. Mir gegenüber ist er sehr viel freier geworden einerseits, doch werde ich mal energisch, so kann er dies weiterhin nicht einordnen und tendiert dazu wegzulaufen. Fordert Jypsy durch ein aufdringliches Knurren zur Fressenszeit mich auf, dieses bereitzustellen, und ich sitze dabei vor dem Fernseher, um die Tagesschau zu verfolgen, wirft er sich schützend über meine Knie, um sich dann vor Jypsy zu legen und sie um Verständnis zu bitten, dass er mich beschützt hat. Diese ergreifenden Augenblicke finde ich rührend, erwartet man doch niemals von einem Hund so starkes und gefühlvolles Verhalten. Manchmal scheint mir, als lebte ich bei einer Hundefamilie und wäre für diese einfach der „Über-Hund“, respektiert und nützlich, aber doch ausgeschlossen von der speziellen Intimität dieser beiden. Ergreifend für mich sind auch die Beobachtungen, wie sie mit vereinten Kräften mich überreden, hinaus ins Freie zu gehen. Für solche Forderungen arbeiten sie so klug zusammen und suchen ihr Ziel, dass man oft erst danach bemerkt, mit welcher Taktik sie einen aus dem bequemen Sessel holen und überreden sich bereit für den Ausgang zu machen. Kaum erheb ich mich also, zeigen sie ihre Freude wie ein kleines „Hurra, wir haben es geschafft!“ So freue ich mich mit ihnen, und schon sind wir unterwegs. Deshalb sind meine Spaziergänge immer ein freudiges Erlebnis mit dem Nebeneffekt, dass ich damit aktiv auch meine Gesundheit fördere.
Manchmal gibt es Momente, in welchen ich mich frage, was habe ich bis heute mit Faust wirklich schon erreicht? So war es eines Abends vor dem Schutzdienst. Übermütig ließ ich meine Hunde frei auf einer großen Wiese spielen. Hinter uns eine Böschung, oben eine Nebenstraße und daneben gleich die Hauptstraße des Ortes. Faust rannte nach Herzenslust, überholte meine Jypsy, die das gar nicht mag und ihn zurechtweisen wollte, er spurtete weiter, die Böschung hinauf, die Nebenstraße entlang und ich konnte es ja nicht mehr sehen, aber bei dem Weg, der wieder zu uns zurückführte, bog er ab, um zurückzufinden. Ich bin immer vollends fasziniert über seine Eleganz in seiner Bewegungen bei schnellem Lauf. So ließ ich beide nach dem Schutzdienst nochmals am selben Ort frei, doch diesmal wollte ich Faust zurückrufen, als er sich erneut anstellte, die Wiese gegen die Böschung hinauf zu verlassen. So rief ich laut und energisch: „Hier!“ Wie im Rausch beschleunigte er in dieser Phase noch mehr, rannte zuerst gegen Westen, kehrte dann um, ich rief nochmals und pfiff, so laut ich konnte und sah im Augenblick nur noch seinen Körper am Horizont dahinfliegen. Ich hörte den Verkehrslärm und dachte mir, wenn es das Schicksal will, dann muss es eben sein. Ich rief meine Jypsy zu mir, und zusammen drehten wir um. Plötzlich sah ich, wie eine Kollegin meinen Faust an seiner Halskette in der einen Hand und an der anderen ihren Rottweiler hielt und auf uns zukam. Sie rief mir zu, ich möchte Faust rufen, was ich sogleich machte, und so kam er zurück, behielt aber einen seitlichen Abstand zu mir, und so schaute er mich aus seinen Augenwinkeln genau an, jederzeit bereit, erneut durchzustarten. Ich erkannte in diesem Verhalten seine Erfahrung aus früherer Zeit, als es für ein solches Ausbüxen mögliche „Haue“ gab. Ich atmete tief durch und sagte: „Komm doch Faust, ich nehme Dich an die Leine.“ Er drehte seinen Kopf nun ganz zu mir, kam, ich klinkte die Leine ein, ließ meine Jypsy wieder los und so ging ich mit beiden zum Auto. Ich bedankte mich bei Yvonne und überlegte mir, warum er nicht zu mir ganz hergekommen war. So scheint es beinahe logisch, dass er von einem Mann für dieses Verhalten korrigiert wurde, und somit vertraute er einer Frau viel eher und gehorchte ihrem Rückruf, als sie sah, dass er beinahe panisch umherjagte. Doch mir gegenüber war er sich noch zu unsicher, aber selbst schon dieses Überprüfen meines Verhaltens schätze ich bereits hoch ein. Zu Hause zeigte er sich nervös, dies sogar noch nach dem Fressen, und so nahm ich ihn in meine Arme und bemühte mich, beruhigend zu wirken. Jedes Mal, wenn so was passiert, bin ich traurig. Einerseits, weil der emotionale Ruf (ein überlautes) „Hier!“ bei ihm eine Panik auslöst, und andererseits, weil ich mir in dieser Situation sein Vertrauen noch nicht voll und ganz erarbeitet habe. Auch steigt in mir gleichzeitig der Zorn gegen den vorherigen Hundeführer auf, welcher diesen Schaden angerichtet hat. Ändern kann ich nichts. Geduld ist gefragt und so muss Faust noch weiter auf seine „absolute“ Freiheit (frei von der Leine) warten. Mein Rückruf muss trotz meiner Angst um ihn leiser werden, denn fühle ich mich besorgt, weil er aus seinem normalen Verhalten ausbrechen könnte, umso lauter rufe ich nicht aus Wut, sondern aus Angst, er könnte mich nicht verstehen. Sobald Emotionen ins Spiel kommen, rastet Faust aus, dabei wäre ich heilfroh, er würde auf mich in jeder Situation einfach nur hören und mir vertrauen.
Erneut versuchte ich ihm den Ball auf dem Spaziergang zu geben, aber als junger Rüde musste er jede Pfütze eines Weibchens überprüfen, und dies schien ihm viel wichtiger. Dort lässt er diesen dann einfach liegen, während er sich das Aroma auf der Zunge zergehen lässt und überlegt, um gar am Ende zu kontrollieren, ob dies vielleicht Jypsy gewesen sei. Kommt aber jemand oder etwas auf uns zu, kann ich ihm den Ball zuwerfen, was sich beruhigend auf sein Verhalten auswirkt. Macht er Platz, dann bleibt er relativ normal, flippt nicht unkontrollierbar aus, zeigt sich gut beherrscht und bleibt bereits schon sicher liegen. Wenn ich ihn freigebe, springt er auf, zeigt noch kurz Hektik im Verhalten, doch dies ist kein Vergleich zu den Anfangszeiten. So erkenne ich Fortschritte, und diese wiegen bedeutend mehr. Aber es gibt auch wieder Rückschritte, die mir helfen, immer wieder nach neuen Ideen zu suchen. Seelische Verletzungen brauchen eben viel mehr Zeit, und wer weiß, wie viele Stationen noch überbrückt werden müssen, um eine Stabilität in sein Verhalten zu bringen. Ich will an ihn glauben, und so besteht auch die Möglichkeit, dass ich eher zu positiv schreibe, als er sich in Wirklichkeit benimmt. Aber was kann er dafür, wenn ich über seine Junghundezeit so wenig in Erfahrung bringen konnte. Zu fragen war keine Option, denn zu oft wird man vom vorherigen Halter angelogen.
Es ist schon interessant. Wenn ich den Ball werfe, schaut er noch nicht über sich wie Jypsy, die ihn bereits in der Luft verfolgt, sondern rennt einfach vor und erkennt den Ball erst, wenn er diesen auf den Boden aufschlagen hört. Liegt das Gras hoch, findet er ihn nicht mehr. Mein großes Glück ist, dass Jypsy keinen Ball verloren gibt, und diesen sucht, bis sie ihn hat. Aber ehrlich gestanden suchte ich, als sie noch klein war, viele Bälle von ihr und verlor auch unzählige. Ja, so ist das Leben, mit Erfahrung wird auch Faust eines Tages seine Bälle mit der Sicherheit eines Routiniers finden, aber Erfahrung entsteht nur durch Üben. Langsam trägt er den Ball nun schon weit länger, legt ihn ab, nimmt ihn oftmals wieder auf, doch er ist noch lange keine Jypsy, aber es sind ja die marginalsten Fortschritte, die zählen.
Wie sensibel sind doch diese Tiere. Das mit dem Kissen haben wir noch nicht geregelt, aber ich denke, wir sind sehr nahe dran. Es berührt mich immer, wenn ich bei ihm Unsicherheiten erkenne, gerade wenn „alte“ Wunden aufzubrechen drohen. Erfahrungen durch frühere Strafen, die zu seinem fehlerhaften Verhalten führten, zeigen auf, welches Leid ihm seiner Zeit möglicherweise zugefügt wurde. Man könnte dies interpretieren – was Verhaltensforscher negieren – nämlich mit einem „schlechten Gewissen“, das aber effektiv nicht besteht. Richtiger wird sein, dass trotz der Erfahrung aus früherer Zeit dies so registriert wurde, dass, wenn auch kein Wissen über das Angerichtete besteht, immerhin eine unbewusste Unruhe und Angst den Hund beschleicht, die ihn zu einem starken Beschwichtigungsverhalten verleitet, denn allzu oft werden Hunde im falschen Moment sinnlos bestraft. Der Hundehalter wird durch eine Fehlbestrafung unglaubwürdig, unberechenbar und daher die „Theorie des schlechten Gewissens“. Schon rein die Körperhaltung des Hundeführers kann Wirkung zeigen. Wenn ich dies bei meinem Faust erkenne, kann ich seine Not nachfühlen, und versuche alles, um ihm Sicherheit, Geborgenheit und Ruhe zu vermitteln. Vielleicht mache ich damit auch Fehler, denn man sagt ja auch, dass bei innerer Angst diese durch Zuwendung verstärkt werden kann, und so muss ich versuchen, dieses Verhalten, wenn es sich anzeigt, ähnlich wie mit dem Ball auf dem Spaziergang durch etwas Lustvolles zu überbrücken. Bei Hunden ist dies alles nicht so einfach, vor allem nicht logisch, denn der Hund ist ja kein Mensch, sondern handelt nur seinen Instinkten entsprechend.
Könnte alles nur mit einem Ball gelöst werden, wäre dies doch viel zu simpel. Das Wissen über dieses Wesen, das Verständnis für ihn, die persönliche Zuneigung, der Respekt, die Wertschätzung zu einem solch facettenreichen Tier bringt Lohn genug, dass sich jeder Mensch anstrengen sollte, dieser Kreatur auch gerecht zu werden. Wir haben aus dem Wolf den Hund gezüchtet und erkennen, dass Hunde weitgehend das sind, zu was wir sie erzogen und geprägt haben. Also liegt es zum großen Teil an uns, den Hund das für unsere Gesellschaft gute und artgerechte soziale Verhalten zu lehren und ihn darin zu bestärken. Das Fehlverhalten eines Tieres entsteht im Grunde aus Mangel an Prägung und fehlerhafter Erziehung, doch heute löst man Probleme mit dem Tier, in dem man Verhaltensauffällige einfach einschläfert. Richtig wäre, mit Respekt und Anstand das Tier durchs Leben zu begleiten. Somit wäre Ethik ebenso ein wichtiges Pflichtfach im Bereich zwischen Mensch und Tier und würde zu einer besseren Harmonie und einem fairen Miteinander führen. Dies bedeutet nicht, dass Leben reines Honiglecken ist, denn „Hartes Brot ist nicht hart, nur kein Brot ist hart!“ So stellt uns das Leben naturgemäß immer wieder Herausforderungen in den Weg, die gemeistert werden müssen. Gerade dies ist die Lebensschule, die eine vertretbare Härte (Konsequenz) auch für Hunde beinhaltet, und trifft auch auf alle Lebewesen dieser Erde zu. Durch die Weltanschauung einzelner Beamter/Funktionäre, die glauben, der Hund wäre nur ein Streicheltier, degradieren diese den Hundesport und erklären diesen damit langfristig zu einer Farce. Solange man Hunde mit Menschen verwechselt, ergeben sich zuwiderlaufende Ansichten, und diese schädigen damit die Jahrzehnte alte Selektion für die im Trieb guten, belastbaren und gesunden Gebrauchshunde. Ein Gebrauchshund ist ein Spitzensportler und kein Weichei und darf mit der notwendigen Fairness auch etwas härter angefasst werden. Eine Schädigung kann so absolut ausgeschlossen werden.
Auch wenn ich mit Faust Situationen erlebe, die ich nicht verstehe, z. B. schnüffelt er im Wald unter einem Baum und klemmt plötzlich seine Rute ein, wirkt ängstlich und erschrocken, als würde er bedroht, so warte ich, bis er sich aus dieser Situation selbst befreit. Was dies bedeutet, kann ich nicht sagen. Meine Vermutung ist, dass der dortige Geruch oder die Umgebung in ihm ein altes Erlebnis wachrufen, das ihn verunsichert. So ist kein Tag wie der andere, und gerade dies macht unsere Spaziergänge zum Erlebnis.
Ein regnerischer Tag heute, aber großes Erstaunen erlebte ich, als ich sah, dass Faust den seit ein paar Tagen verlorenen Ball in der Wiese mit seiner Nase aufspürte. Dies hatte er noch nie gemacht, denn bis anhin gab er ihn einfach verloren und irrte umher, als ob er anderes suche. Nun bin ich aber sehr stolz auf ihn. Es ist gut, dass ich ihm Zeit gebe, die er einfach braucht, um sich langsam und sukzessive zu entfalten. Ein Hund ist kein Wesen, das mit Zwang lernfähig oder gefügig gemacht werden kann, sondern er braucht Verbundenheit, Spiel sowie das wichtige gegenseitige Vertrauen. Auf dem Übungsplatz ist Faust willig und arbeitsfreudig, obwohl er trotz allem Ersatzhandlungen und große Unsicherheiten zeigt. Für Faust, der bereits so viel Negatives kennt, war die Winterpause mehr als notwendig. So konnten seine Wunden vielleicht etwas gebessert werden. Am Ende weiß ich es dann, ob seelische Verletzungen in diesem Ausmaß jemals zu heilen sind. Bei mir zu Hause fühlt er sich sicher. Auch draußen, wenn ich ihn mit viel Ruhe und leiser Stimme rufe, kommt er immer öfter. Dies heißt natürlich nicht, dass sein Appell gut sei, denn je nach Situation kommt er, oder dreht einfach durch. Frei laufen lassen kann ich ihn nur in umzäuntem Gelände. Nur wenn ich mit ihm spiele, also den Ball werfe, bleibt er bei mir. Doch kommt ein Jogger oder Radfahrer dazwischen, sind kleinere Probleme programmiert. Wer weiß, vielleicht hilft uns ein Zufall, ein Wunder oder sonst etwas. Im Augenblick machen wir alles oft mit langer Schleppleine. Im Schutzdienst mit Helfer ist der Beutetrieb so groß, dass er damit eher bei der Beute verharrt, als sonst wohin geht. Schutzdienst liebt er von ganzem Herzen und zeigt sich von seiner besten Seite. Hier beweist er die Qualität als Gebrauchshund, doch der absolute Gehorsam gehört eben auch in diesen Bereich, und deshalb ist es für ihn auch mehr eine nutzbringende Abwechslung dafür, um gestaute Aggressionen in einer kontrollierten Umgebung ausleben zu können. Der Züchter darf auf diesen Hund stolz sein, schade nur, dass er in solche Hände verkauft wurde. Aber dies wissen die Züchter ebenso wenig wie die Hunde. Dies ist auch der Grund, weshalb ich nie züchten würde. Ich könnte kein Tier weggeben, denn mein Motto lautet „TRAU, SCHAU, WEM“, und wem würde ich ein so sensibles Lebewesen anvertrauen?