Die neue Herausforderung
Ottlingers Faust, Rüde, geboren am 26.09.2007
Ein Leben mit Faust
Dieser Malinois-Rüde wurde mir am 24. Juni 2009 anvertraut. Gerne hätte man diesen Hund verkauft, doch scheinbar wollte ihn niemand. Sein Zustand stimmte mich nachdenklich, abgemagert, nervös und unsicher. Er zählte zu dieser Zeit einundzwanzig Monate. Ohne die Vergangenheit dieses Tieres zu kennen, übernahm ich ihn ohne klare Auskünfte von einer damals befreundeten Tierpensionsbesitzerin. Ich erkundigte mich nach dem ehemaligen Besitzer und konnte mich ein paar Tage später kurz mit ihm über die gestörten Verhaltensmuster austauschen. Welche Defizite noch in Erscheinung treten werden, konnte ich zu jener Zeit nicht erkennen, war danach aber keineswegs gescheiter, denn wer sagt schon die Wahrheit über einen Hund, wenn er ihn weghaben will. Im festen Glauben, dass durch Vertrauensaufbau verschiedenste Ängste und Verhaltensformen normalisiert werden können, übernahm ich diese Kreatur. Ich wusste nun, dass er in der Obhut eines ehemaligen Schäferhundeführers war, der aber mit einem Malinois nicht zurechtkam. Ich wusste, dass es sehr harte Schäferhundeführer gibt, weil ich einige seiner Kollegen kannte. Aber auch diese wussten, oder sagten nichts Bestimmtes über diesen Hund und dessen Vorleben.
Diese wahre Geschichte schreib ich mit bestem Gewissen und bin dankbar, dem sicherlich schlecht behandelten Faust noch etwas bieten zu können, das ihn für sein Leiden vielleicht entschädigen mag.
Dies mag dem geneigten Leser etwas langatmig erscheinen, aber ich wusste zu wenig über die Vorgeschichte und versuchte deshalb alles, um zu helfen, anstatt den Stab geradewegs über Faust zu brechen. Hiermit wird klar, dass bei keinem Wesen ohne entsprechende aufbauende Prägung und Festigung seiner Veranlagungen, nur halbherzig aufgebaut und erzogen, später mit Gewalt Versäumtes nachgeholt werden kann.
Bei der Übernahme war sein Fell struppig und matt, auch war er durch sein permanentes Gestresstsein brandmager. Ursprünglich erhielt ich ihn nur für einige Tage. Zuerst dachte ich an einen Weiterverkauf im Auftrage des vorgängigen Halters, denn ich kannte einige Interessenten für einen Rüden. Die Vorzüge dieses Hundes sind seine lieben Augen, die tief gesetzte Rute, seine Anhänglichkeit und sein gutmütiges Verhalten zu mir. Was aber andererseits ins Gewicht fällt, ist die deutliche Abneigung und Angst gegenüber Joggern, Radfahrern oder Reitern. Überhaupt alles, was einem entgegen kommt oder vorbeifährt wie Wanderer mit Stöcken, einzelne Personen oder Personengruppen, Motorräder, Traktoren und sogar normale Autos machen ihn kribbelig und ängstigten ihn. Was er anstellt, würde man ihn von der Leine lassen, weiß ich noch nicht. Er machte einmal Jagd auf einen Radfahrer. Nun, dieser war sehr weit entfernt, und irgendwann kam Faust außer Atem zurück und war zudem noch platschnass. Wie ich ein paar Tage später diesen Hund meinen Kollegen vorstellte, waren nicht nur diese, sondern auch ich selbst erschrocken über seine mangelnde Selbstsicherheit. Laute Worte erträgt er nicht, und er legte sich zu Beginn gleich hin, die Ohren „zurückgeklappt“ wie ein geschlagener Hund auf der Flucht, doch für meine Jypsy war er wie ein Welpe, und sie bemutterte ihn, als wäre er nicht ganz erwachsen. Sie spürte wohl seine großen Ängste und seine Unsicherheit. Sein ständiges Hecheln machte ihn auch zu einem Tier, das hiermit seiner inneren Nervosität Ausdruck verlieh. Dazu kam, dass er, stets durstig, enorme Mengen an Wasser trinkt und entsprechend oft die Flüssigkeit auch wieder loswerden muss.
Druck vom Hundeführer konnte er nicht einordnen, sauber (stubenrein) war er ebenso wenig, aber dies sind kleine Probleme, die man rasch auf die Reihe bringt, denn er lebte nach dem Hörensagen bislang in einem Zwinger mit großem Auslauf. Wie ich sah, dass meine Jypsy ihn sehr mochte und er sich anhänglich und liebesbedürftig zeigte, öffnete sich mein Herz, und ich verliebte mich in dieses arme und mit Sicherheit äußerst geplagte Wesen. So entschlossen wir uns, Faust zu uns zu nehmen.
Mit meiner Jypsy habe ich den tollsten Hund der Welt, führte ich sie doch bis zur Weltmeisterschaft der belgischen Schäferhunde und dachte mir, Faust, selbst mit gewichtigen Problemen, gut bei uns integrieren zu können. Hat doch jedes Tier eine Seele und was ihm bisher widerfahren war, glaubte ich an seinen Reaktionen zu erkennen. Das hatte er nicht verdient.
Sich an der Leine zu versäubern, war für ihn ungewohnt und zu Beginn problematisch. In der Wohnung wohl sauber, doch im Garten/Wintergarten, auf dem Kunstrasen und Steinplatten, da passierte es manchmal auch deswegen, weil er sich auf dem Abendspaziergang
nicht lösen konnte. Ein Radfahrer, ein Jogger oder ein Spaziergänger störte schlagartig seine innere Ruhe und er begann trabend in höchster Erregung im Kreise zu gehen. Dieses Verhalten zeigte er minutenlang und war kaum zu beruhigen. In dieser Verfassung konnte er sich zu Beginn nicht mehr versäu-Faust und Jypsy
bern, und mein ganzes Bemühen war zwecklos, und ich musste daher die Heimfahrt unverrichteter Dinge antreten.
Selbst zu Hause zeigte er während der ersten Monate eine permanente Unruhe und ständiges, sehr oberflächliches Atmen und Hecheln. Bei einer möglichen Konfrontation mit allem, was daherkam, rief ich „Kehrt!“, so kamen meine Hunde zu mir zurück. Faust musste ich zu Beginn jedoch oft noch ganz heranziehen aber mit „Platz“ erreichte ich einen Abbruch seines nervösen und gestörten Verhaltens. Sodann belohnte ich mit Streicheleinheiten und mit viel Lob das Bei-mir-Liegen und ließ alles, was kam, an uns erstmal vorbei. Wir warteten kurz und mit „Sitz“ ließ ich sie wieder aufsitzen. Wir gingen weiter, und ich behielt sie mit dem Befehl „dableiben“ weiter nah bei mir unter Kontrolle. Ich versuchte so, seine innere Erregung etwas zu dämpfen, die nach einiger Zeit, vielleicht zwanzig oder dreißig Schritten, an langer Leine wieder mehr oder weniger zurückkam. Es schien mir, als wäre er in Phasen von Begegnungen schlimm bestraft worden, was mir durch seine Unsicherheit erkennbar schien. Selbst danach umkreiste er noch meine Jypsy, was sich erst nach einiger Zeit auflöste. Wir spazierten an Hunden vorbei, und meine Augen und Reflexe waren immer fest auf Faust gerichtet, welcher weiterhin eine starke Reaktion oder ängstliche Vorsicht zeigte, die zwischen Anspannung, Flucht und Aggression lag.
Der Aufbau des gegenseitigen Vertrauens würde bestimmt sehr schwierig, doch faszinierte mich diese Herausforderung von Beginn an. Bis alles soweit ist, werde ich mit Fosty (wie ich ihn heute nenne) sehr sorgsam umgehen. Er ist bereits schon über vier Wochen bei uns und wurde in dieser Zeit ein ganz klein wenig freier. Aber es dürfte noch Monate oder noch länger dauern, bis er genügend belastbar für eine Ausbildung ist, oder in einem normalen Umfeld der heutigen Zeit bestehen könnte. Mir scheint sein Verhalten, zumindest mir gegenüber, leicht verbessert, doch zu viele Faktoren seines Wesens zeigen Unzulänglichkeiten. So bleibt mir nur die Hoffnung und zu warten, denn wie heißt es doch im Volksmund: „Zeit heilt bekanntlich alle Wunden“.
Zu Hause kann ich ihn mit Jypsy bereits allein in der Wohnung lassen. Zu Beginn waren es wenige Minuten, und nun sind es schon bis zu zwei Stunden. Alle Zimmer sind stets geöffnet. Von Anfang an überwachte und unterband ich jeglichen Versuch, etwas anzuknabbern und reagierte mit einem „NEIN!“, anschließend mit einer Belohnung und viel Lob. Dies hat er schon gut verstanden und zeigt sich in diesen Situationen sehr zuverlässig.
Er folgt mir auf Schritt und Tritt, legt sich immer gut überlegt so hin, dass der Weg in ein anderes Zimmer oder zur Wohnungstür an ihm vorbeiführt. Dieses Verhalten entspricht seinem Sicherheitsbedürfnis oder einer ausgesprochenen Verlustangst. Auch des Nachts verhält er sich ähnlich und ist sofort hellwach, um mir zu folgen, wenn ich aufstehe. So legt er sich auch nie zu Jypsy, sondern ist stets in meiner Nähe und war schon deshalb nicht der Hund, der „versteckt“ oder als Ersatz frustriert an einem Möbel nagen würde.
Die Stadt schien mir für ihn viel zu stressig, und so mied ich diese vorerst. So konnte ich ihn zu Hause in einem kontrollierten Umfeld sachte in sein neues Leben einführen. Sein Hilfe suchendes Verhalten zeigte nur zu deutlich seine Not, doch er ist ehrlich in jeder Beziehung. Er versteht es, seinen Seelenzustand zu offenbaren und demonstriert dies, indem er wie verschämt, leidend, oder auch einfach schuldig wegschaut, als sei er innerlich verletzt. Er wendet seinen Blick immer sogleich ab, indem er einen Ausdruck zeigt, als möchte er einfach seinen Frieden haben, ohne sich aufzudrängen. Dieses Verhalten zeigt er auch, wenn ich Jypsy Leckerli gebe, als möchte er ja nur hier sein, und es schien, als signalisiere er mit seinem Blick in eine andere Richtung, dass er nicht stören möchte und nichts wolle als nur seine Ruhe. Rufe ich ihn dann explizit, kommt er freudig. Ich würde nie nur einem Hund etwas geben, denn dafür erscheinen mir diese Wesen zu sensibel. So weckte er in mir den Gedanken, er könnte eventuell depressiv sein. Auch liegt er oft noch heute in seinem „Bettchen“, ähnlich einem Embryo, immer abgewendet von der Realität, als wünschte er sich zurück in die frühere Geborgenheit seiner Mutter. Auch vermisse ich bei ihm jegliches Forderungsverhalten. Selbst wenn meine Jypsy im Garten ihre Präsenz markiert und in jede Ecke bellt, hält er sich vornehm zurück und überlässt ihr den Dominanzanspruch. Ja, es ist wirklich ergreifend, wie er sich stets zurücknimmt, als wären ihm sämtliche Neugierde, Erfahrungslust oder auch Auflehnung herausgeprügelt worden. Als hätte er in einem Umfeld gelebt, wo er einfach chancenlos einstecken musste. Dies zu erkennen, ist verbunden mit großer Traurigkeit meinerseits, denn wie gerne hätte ich einen Hund, der reagieren würde, sich auflehnen oder sogar drohen würde, und damit zur Kommunikation mir dieses Instrumentarium hätte anbieten können.
Voriges Wochenende fuhren wir mit der Seilbahn auf den Säntis. Einer meiner Söhne führte Jypsy, ich übernahm Fosty. Es war, als würde
Jypsy ihn durch ein inneres Band führen. Keine Panik, keine Aufregung, auch wenn die Menschen in der Schwebebahn dicht um uns herumstanden, war er in keiner Weise aggressiv oder ängstlich, sondern blieb gelassen. Fosty hatte praktisch die Ohren immer angelegt, als hätte er keine „Lau
scher“, aber es war möglicherweise auch das Neue, das auf ihn einstürmte. Im Restaurant blieb er ebenfalls gelassen, und man wies ihm sogar einen größeren Platz mit einem Wassergeschirr zu. Bei forschem Wind erstiegen wir den Aussichtspunkt, doch Fosty schien dies nicht zu beängstigen und lief die Treppen hinauf und hinunter, als wäre das sein Alltag. Wir erfreuten uns eines genüsslichen Ausfluges und kosteten den wundervollen Ausblick auf den Sonnenaufgang auf über 2500 Meter über dem Meeresspiegel aus. Vor der Talfahrt spielten die zwei Hunde miteinander und bald gelangten wir wieder auf die schöne Schwägalp, die mir schon als Kind durch viele frühere Erlebnisse vertraut ist.
Jeden Tag lernt er etwas Neues und schon tollen diese zwei in der Wohnung, als wären sie beide hier aufgewachsen. Hier fühlen sie sich wohl und das Erstaunlichste ist, beide machen nichts kaputt. Wenn es allzu „bunt“ wird, schreite ich ein mit „Ruhe!“ Dann legen sie sich hin, aber Fosty ist immer ganz in meiner Nähe. Wenn Jypsy genug hat, zieht sie sich in den Wintergarten zurück. Wichtig finde ich, dass man sich mit beiden gleich verhält und keinen bevorzugt. Wenig Hektik ist auch für ihn wichtig. Hunde sind ja so einfache Wesen, aber ich stelle fest, gleichwohl empfindsam wie Kinder. Jypsy mag ihn sehr, und so lernte er vielleicht dies oder jenes noch von ihr. Das „Platz-Bleib“ funktioniert nun schon ganz ordentlich. Wenn ich sie im Hauseingang vor der Ausgangstüre ablege, mich durch diese hinaus zum Briefkasten begebe und danach wieder zurückkomme, verharren sie in beauftragter Stellung voller Erwartung des Lobes. Auch wenn er im Augenblick noch öfters in der Wohnung nervös herumtänzelt, habe ich dafür Verständnis und versuche lediglich, ihn mit Heranrufen und mit anschließendem Hinlegen zu beruhigen. Manchmal gelingt es, manchmal muss seine Erregung erst abklingen, und er legt sich erst später nach einer gewissen Zeit von selbst einfach erschöpft nieder.
Sich gegen Faust durchzusetzen, erfordert keine Grobheiten, sondern nur eine faire und klare Haltung in allen Dingen. Der Hund muss alles einordnen lernen und nur so entsteht das gegenseitige Sichverstehen.
Auf dem Hundeplatz führe ich Faust mit den Worten „Dableiben“ und laufe einfach im Kreise und er merkt am ganz feinen Rucken der Leine, was ich von ihm erwarte. So schätze ich ab, wie weit er mir aufmerksam folgen kann. Im Augenblick ist er noch sehr ablenkbar, aber dies ist für diesen Hund nur normal. Man sieht gute Ansätze, und ich hoffe, irgendwann ein kleines Ziel zu erreichen. So warte ich ab und freue mich an den kleinsten Fortschritten. Sein Verhalten sollte ja zuvor noch weiter studiert werden.
Heute, Sonntag den 19. Juli, begaben wir uns nach dem Morgenspaziergang zum Hauptbahnhof in Zürich. Kurz vor 08.00 Uhr war trotz des Sonntags schon reger Betrieb mit Elektrofahrzeugen, Radfahrern, Familien mit Kinderwagen, kleinen Hunden, Menschen mit Koffern und vielem anderen mehr. Die einen rannten zum Zug, oder andere studierten die Tafeln mit den Ab- und Einfahrtszeiten diverser Züge. Noch nicht allzu hektisch der gesamte Betrieb und so schien es mir gut machbar, mit Fosty an der Leine mich unter die Menschenmenge zu mischen. Ja, es war alles neu und schwierig, und er fühlte sich nicht wohl. Er schaute rechts und links, zog an der Leine, aber er klemmte wenigstens nicht seine Rute zwischen die Hinterbeine. Er war sehr erregt, und ich musste zwischendurch innehalten, um ihn zu beruhigen. Nachdem er sich gefasst hatte, ging ich weiter. Nach zehn Minuten kehrten wir zurück. Noch werden wir einige dieser Übungseinheiten planen, denn hier sieht man, was eine verpasste Prägungsarbeit hinterlässt. Wieder zu Hause angelangt, hatte er großen Durst und liegt nun wieder vor meinem Büro und schläft. Dies war für ihn zu ungewohnt, und so beanspruchte es sein Nervenkostüm doch deutlich mehr als ein normaler Spaziergang.
Nach über einem Monat versäubert er sich nun auch an der Leine. Wie oft habe ich mich bemüht, durch ausgedehnte Spaziergänge dieses Verhalten zu fördern, doch nun scheint es zu klappen. Im Wald fühlt er sich frei, stellt seine Ohren, trägt seinen Kopf hoch und man spürt förmlich, wie die zwei vor mir laufenden Hunde eine natürliche Lebensfreude ausstrahlen. Kaum sind Begegnungen zu erkennen, so ändert sich sein Verhalten jedoch drastisch.
Heute Nachmittag trafen wir auf dem Spaziergang eine freundliche Dame mit einem Deutschen Schäferhund an der Leine. Am Halfter führte sie ein sehr ruhiges dunkles, fast schwarzes Pferd. Dieses war
über beide Ohren bis zu den Nüstern mit einem sehr feinmaschigen schwarzen Netz gegen aufdringliche Insekten geschützt. Ich rief meine Hunde nahe zu mir, und die Dame sprach mich über den Zuwachs an. Ja, erwiderte ich, ich hätte ihn aufgenommen, und nun müsse er noch vieles kennenlernen. Ich sah, wie Fosty das Pferd interessiert anschaute und die Frau ermunterte: „Lassen sie ihn nur schnuppern“, und so gab ich ihm laufend etwas mehr Leine, und er näherte sich vorsichtig. Möglicherweise war dies das erste Mal in seinem Leben, so hautnah einen so großen Vierbeiner beschnuppern zu können und niemand ahnte, wie froh es mich stimmte, meinem Fosty diese Möglichkeit bieten zu können. Interessant, wie er das Pferd mit seiner Schnauze sogar an den Nüstern berührte, als würde er es küssen. Er benahm sich weder hektisch noch aggressiv, und das Pferd zeigte eine stoische Ruhe. Selbst die Schäferhündin der Dame schaute dieser Begegnung gelassen zu, und vielleicht wusste sie, wie wichtig dieses Erlebnis für meinen Faust war. Ich bedankte mich und wir zogen mit einem verhältnismäßig beruhigten Hund weiter. Eine Joggerin kam uns entgegen. Fosty war sehr gespannt, aber ich weiß, dass er zu Damen meist höflich ist, und wie er gegen dieselbe hinzog, sagte sie: „Lassen sie ihn nur herankommen.“ So ließ ich ihn ebenfalls zu ihr, und sie begrüßte ihn freundlich, indem sie seinen Kopf mit beiden Händen streichelte. Aber wie Rüden sind, sie wollen mit ihrer Nasenspitze immer überprüfen, ob Männlein oder Weiblein. Wie die Dame leicht verlegen sodann weiter joggte, benahm er sich beruhigt, als wäre sie aus unserem Rudel einfach weggegangen. Solche Erfahrungen brauche ich für Fosty und denke, weil er sich zu keinem Zeitpunkt aggressiv zeigt, er sei lediglich stark frustriert, weil niemand sich früher um ihn wirklich kompetent gekümmert hat. So scheint sein innerster Wunsch stets nur „Habt mich doch lieb, streichelt mich“ zu sein und mit diesem im Herzen wurde er möglicherweise durch die Annäherung an Menschen schmerzlich korrigiert, anstatt dass er sie kennenlernen durfte, und damit hätte lernen können, dass sie nicht zum eigenen Rudel gehören. Richtig sozialisierte Hunde lernen dies von klein auf, wobei man mit Futter ablenkt und damit den Welpen auf seinen Halter programmiert. Es gibt aber auch Personen, die sich bereits einen Welpen als „aggressives Monster“ wünschen, was sich auf die weitere Entwicklung stets problematisch auswirkt.
Erneut begaben wir uns zum Bahnhof. Faust (vom früheren Besitzer Fausto genannt) hatte seine Ohren aufgestellt und schien trotz des großen Rummels relativ ruhig. Es waren weniger Fahrzeuge, fahrende Koffer oder Radfahrer unterwegs, dafür einfach viele Menschen! Seine Rute war wie das vorige Mal relativ normal, hängend, und wie ein Ehepaar mich auf Faust ansprach, so ließ ich ein Streicheln zu, und er zeigte sich von seiner wahren Seite: liebenswürdig, freundlich und voller Neugierde. So denke ich, einen Teil der Problematik zu seinem Verhalten zu erahnen, indem er im Grunde wohl ängstlich und vorsichtig erscheint, aber trotzdem seine natürliche Neugierde in gewissen Situationen oder vor allem Damen gegenüber beibehalten hat, möglicherweise als Ersatz für fehlende Zuwendung bei Männern, denn er wurde hauptsächlich von Männern geführt, respektive bestraft. Am Ende des kurzen Rundganges durch die Bahnhofhalle war ich zufrieden und lud ihn wieder ins Auto.
Durch Unterordnungsübungen könnte es sein, dass er Defizite zu überbrücken lernt. Auch dies ist eine Option, um seinem Stress Einhalt zu gebieten. Wichtig ist, dass ich ihn klar, konsequent und unterstützend begleite. Sein momentanes Fehlverhalten, seine innere Spannung und Unsicherheit dem Hundeführer gegenüber muss aber erst noch abgebaut werden. An der Leine geführt, folgt er nahe meiner Hände mit leicht aufgerissenem Fang, als wolle er sich bereithalten für den Biss gegen seinen Führer.
So fühle ich mich der Gesellschaft, wie auch der missverstandenen Seele eines Hundes gleichermaßen verpflichtet. Schwierige Hunde wie Menschen auch bringt man nicht einfach um, sondern wir alle tragen für diese Geschöpfe eine große Verantwortung und sind zu einer positiven und äußerst wichtigen sozialen Grundprägung zu verpflichten. Verläuft diese von klein auf harmonisch, verständnisvoll und engagiert, so hätten wir keine „Problemhunde“, wobei immer der Mensch das Problem ist und nur in den seltensten Fällen die Hunde!
Der 1. August, begleitet von einem lautstarken Feuerwerk in unserer Umgebung, brachte viel Stress. Was dies alles bedeutet, kann man erst im Verlauf der kommenden Jahre abschätzen. Stressformen von früher, die Zeit im Hundeferienheim, der Wechsel zu uns, dies alles hat Faust in letzter Zeit stark gefordert. Doch bereits am kommenden Tag war er wieder der „alte“, und nichts schien mehr nachzuwirken. Seine Hektik während der Nacht ist wieder seinem üblichen Alltagsverhalten gewichen.
Wir freuen uns, mit ihm einen fairen Teampartner zu haben. Auch zu meinen Söhnen, die einfach in die Wohnung platzen, ohne zu läuten, und selbst der Haushalthilfe gegenüber ist er in keiner Weise auffällig, weder aggressiv noch unanständig. Nein, er ist hier wirklich zu Hause und kennt unsere Spielregeln. Selbst sein Verhalten gegen Radfahrer während unserer Rundgänge wurde ein ganz klein wenig sicherer, und seine früher rasch aufkeimende Hektik bleibt immer öfters in noch tolerierbaren Grenzen. Aber wie gesagt, wir wollen nichts verschreien, und ich bemühe mich, mit viel Lob und Belohnung seine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Ist er vom Duft einer „hitzigen“ Hündin abgelenkt, so können Spaziergänger sogar an uns vorbei gehen, und er reagiert nicht im Geringsten. Ich denke, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Selbst sein Blick wirkt etwas weniger unsicher ja vielleicht sogar leicht offener, ist dies doch sehr wichtig für ein kommunikatives Verhalten. Doch was die Lernfähigkeit und Konzentration anbetrifft, so vermisse ich diese noch immer. Was dies bedeutet, darauf fand noch niemand eine Antwort, und ich durchlöcherte mit meinen Fragen alle, die ich kannte, Hundeführer wie Tierärzte.
Wenn ich Faust bei einer unklaren Situation ins „Platz“ kommandiere, so befolgt auch Jypsy jeden gesprochenen Befehl. Dies ist für sie oftmals nicht ganz nachvollziehbar, aber sie gehorcht, wenn der Wunsch mit Nachdruck ausgesprochen wurde, immer bereitwillig. Ich denke, dass sie weiß, dass es meist nicht sie betrifft, aber sie macht mit und ist deshalb eine riesige Hilfe. Ihr oftmals fragender Blick spricht aber Bände.
Nach unserem traditionellen Spaziergang waren wir erneut am Waldrand angelangt. Kein Mensch weit und breit. Ich dachte mir, ja wenn er sich nicht auf dem Spaziergang durch den Wald sich nicht versäubern konnte, so lasse ich ihn einfach hier nochmals frei, vielleicht gelingt es ihm so besser, sein „Geschäft“ am Rande des angrenzenden Waldes zu erledigen. Gedacht – getan, und ich spazierte diesem entlang. Fosty lief ungefähr dreißig Meter frei vor uns. Jypsy war an der Leine. Plötzlich hörte ich Schritte, schaute mich um und es tauchte ein Jogger-Ehepaar kurz hinter uns auf. Ich schaute nach Fosty und mir blieb im Schreck nicht viel anderes übrig, als „Platz“ zu rufen. Fosty war relativ weit weg, doch er weiter vorne und Jypsy neben mir, klappten zusammen und lagen regungslos da. Den Joggern sagte ich beinahe „Entschuldigend … ja wissen Sie, der Kleine ist noch etwas unsicher.“ Sie lachten mir freundlich zu … und waren vorbei. Fosty lag immer noch da, ich ging ruhig zu ihm und wiederholte: „Brav Platz“ und er blieb! Ich war so glücklich, begab mich zu ihm und streichelte den lieben Kerl. Was hat er doch schon gelernt in diesen bald zwei Monaten. Ich war berührt und streichelte mit meinen Händen stolz seinen schönen Kopf. Nun, erneut an der Leine, versäuberte er sich doch noch. Mit einem guten Gefühl des Respekts gegenüber ihm und seinem Verhalten fuhren wir zurück nach Hause.
Über all die Zeit veränderte sich sein Verhalten aber viel zu wenig. Vielleicht bin ich zu ungeduldig, auch bin ich nach wie vor sehr verunsichert über seine seelische und nervliche Verfassung. Ich glaube, ich habe bislang lediglich nur ein „gewisses“, noch unstabiles Vertrauensverhältnis geschaffen. Ich stelle fest, dass seine Seele möglicherweise so stark verletzt ist, dass er nicht einfach darüber hinwegkommt. Es ist schon so: „ZEIGE MIR DEINEN HUND, UND ICH SAGE DIR WER DU BIST!“ Ich habe mich auf etwas eingelassen, und nun bleibt mir nur, das, was andere durch Unwissen und Nichtkönnen zerstört haben, in einem langwierigen Versuch wieder zu reparieren. Ob diese Fehlprägung je korrigiert werden kann, ist die wahre Herausforderung, die ich lösen will. Doch ich sehe ein, dass mit noch so viel Korrektheit und Verständnis grundsätzliche Schädigungen nicht einfach so „mir nichts, dir nichts“, überdeckt oder geheilt werden können. Bei allen Säugetieren schädigt ein Trauma das Verhalten oft bleibend. So versuche ich in den kommenden Wochen ihn nur mit einer großen Rücksichtnahme zu führen. Für Fosty ist dies sicher wie Balsam für seine Seele, und ich meinerseits bin überzeugt, das Richtige zu tun. Selbst zu Hause ist er etwas ruhiger geworden und hastet nicht mehr permanent in der Wohnung herum, sondern legt sich mehrheitlich bereits neben mich, passt auf alles auf, reagiert auf Geräusche außerhalb der Wohnung, und so genieße ich die doppelte Wachsamkeit meiner Hunde. Ich entschloss mich, seine Ausbildung weiter zurückzustellen. Weil selbst sein Blickkontakt noch immer für meine Erwartung zu instabil ist, fühle ich seine Unsicherheit und darf diese nicht über Gehorsam oder irgendwelchen Druck zusätzlich beeinflussen. Stressfreies Spiel, Freundschaft und einfachste Erlebnisse ziehe ich für seine Entwicklung vor. Ich muss lernen zu warten, bis er sich selbst für etwas anbietet, das man weiter ausbauen könnte, doch der Zustand seiner verletzten Seele muss erst noch heilen. Die verschiedenen Schritte, die ich vollzog, um ihm mehr Selbstbewusstsein und Sicherheit zu geben, blieben ohne große Wirkung. Ich kaufte eine zehn Meter lange Schleppleine und machte die Spaziergänge mit Fosty teilweise auf diese Führweise. Auf diese Idee brachte mich ein Vorkommnis, wo beide plötzlich losstürmten, denn sie orteten wenige Meter neben dem Waldweg ein Reh. Die Leine von Jypsy ließ ich los, denn ich wollte nicht in die Büsche fliegen. Die Leine von Fosty riss, und wie ich so da stand, rief ich einfach laut „Platz“ und was geschah? Jypsys Leine verhedderte sich im Gebüsch und bremste sie aus, doch Fosty legte sich gehorsam zwei Meter neben dem Waldweg hin und wartete, bis ich herankam. So erkannte ich, sobald er ohne Leine ist, wurde er noch unsicherer und gehorchte einem strengen Befehlston. Dies konnte ich durch die Schleppleine ausnutzen, und wenn er sich zu weit weggetraute, trat ich einfach nach einem entsprechenden Kommando wie „Warten“ oder „Kehrt“ auf die Leine, und er muss nicht an ihr zurückgezogen werden, sondern dreht oftmals von selbst ab und kam zurück. Nach weiteren zwei Monaten beginnt er nun auch, wie Jypsy hin und wieder an Gräsern zu zupfen, was er bis anhin nie tat. Die Therapie mit Bachblüten soll unterstützend wirken. Mit einer großen Erlebnisbreite versuche ich, ihm damit die Möglichkeit zu geben, sein großes Erfahrungsdefizit aufzufüllen. Dass ich ihn stets in all seinem für mich artgerechten Verhalten bestärke, ist eine Selbstverständlichkeit, braucht er doch unsere Kommunikation und innere Einstellung mehr als ein normal aufgewachsener Hund. Auch wenn Arbeiter ins Haus kommen, so gibt ihm meine Gegenwart Sicherheit, um mit solch neuen Situationen zurechtzukommen. Für ihn bin ich im Augenblick sehr wichtig, denn er braucht Präsenz für seine Ruhe. Es freut mich alles, was ihn zu neuen Erlebnissen führt. Auch ich selbst darf mich nie ängstlich zeigen, damit nie meine Unsicherheit zu der seinen würde. Ich hoffe, so zu einem Team zusammenzuwachsen, das später mit einem entsprechenden gegenseitigen Respekt auch schwierigere Aufgaben zu lösen vermag.
Meine Kollegen meinten, ich sollte zu Fosty bei einem Fehlverhalten strenger sein. Ihm gegenüber auch meinen Unmut über das falsche Verhalten klar aufzeigen. Ich habe mir dies lange überlegt und immer gedacht, was Fosty früher doch alles erlebt hat, kann er überhaupt Druck so einfach wegstecken? Ihre Thesen lautete: „Führe konsequent, das fördert die Bindung“, denn der Hund braucht einen beherzten, ehrlichen und klaren Führer und kein halbherziges „Wischiwaschi“ Verhalten. „Gerade dermaßen verunsicherte Hunde brauchen diesen Halt“, führten diese weiter aus, „denn sonst verfallen sie erneut in alte Verhaltensmuster.“
Ich war wohl froh um jeden Rat zu jener Zeit, aber ebenso skeptisch, solange ich sah, dass der Hund gar nichts, selbst freundliche Aufforderungen, nicht richtig einordnen konnte. Sie akzeptierten früher andererseits meine Rücksichtnahme zu Jypsy, denn ich kannte diese besser als jeder andere Ausbilder und wäre ich all ihren Anweisungen gefolgt, hätte das gegenseitige Vertrauen gelitten, und ich wäre mit ihr erfolglos geblieben.
Aber eines darf hier gesagt sein, die Bindung in Vollendung gestaltet sich erst, wenn bei Fehlverhalten fair und stets verhältnismäßig korrigiert wird. Nichts ist schwieriger für den Hund als eine unklare Führung, und wer so eine praktiziert, wird sein Leben lang einen Hund haben, der auszuweichen versucht und sich weder ein- noch unterzuordnen lernt. Ich denke, so kann jeder besser verstehen, wieso ein Hund auf einem gewöhnlichen Spaziergang nicht mit „Fuß, Platz oder Steh“ geführt werden soll. Dies sind Kommandos für den Hundeplatz. Es wäre ja zum Totlachen, würden Soldaten im Privatleben eine Achtungsstellung oder einen zackigen militärischen Gruß vor der gesamten Gesellschaft verordnet bekommen. Dieser „Gehorsam“ würde genauso wie beim Hund sich abflachen, die Haltung immer unkorrekter und zu einer halben Sache sich zurückbilden. Hundesport findet auf dem Hundeplatz statt, und nur dort verlangt man ein schnelles „Sitz, Platz, Steh!“ usw. Im Alltag muss der Hund einfach gehorchen und wir gebrauchen anstatt das Kommando „Fuß!“ einfach „Dableiben!“, oder „Da!“, „Lieg!“ oder „Komm!“ In der Menschenmenge ist er eh an der Leine, und dort soll er einfach artig mitgehen, basta. Bestimmte Kommandos, die absolut und bestimmt sind, sollten nur im „Notfall“ gebraucht werden. Aber Faust ist nach meiner Erfahrung noch gar nicht genügend belastbar, um solchen Erwartungen gerecht zu werden.
Eine Erziehung zum Sporthund ist wie das Leben im Sport ganz allgemein. Wer etwas erreichen will, wird sich überwinden und trainieren müssen. Niemand wird mit Samthandschuhen angefasst. Der Mensch täuscht sich gerne selbst. Um bessere Leistungen zu erbringen, nimmt er Leistungsverstärker. Wenn das gute und ausgewogene Ernährung bedeutet, ist dies positiv. Es gibt welche, die konsumieren Drogen, um gut „drauf“ zu sein, um die Leistung zu steigern. Dabei schaden sie sich selbst, aber wehe ein Hund wird etwas härter angefasst, da schreit das Bundesamt für Veterinärwesen laut auf. In welcher Welt leben wir? Bringt ein misshandelter Hund eine nachhaltige Leistung? Ich glaube kaum. Manchmal fehlt der heutigen Gesellschaft das natürliche Verständnis. Hunde können durch ihr Verhalten sehr gut aufzeigen, mit wie viel Feingefühl sie ausgebildet wurden und zeigen dies über die gesamte Arbeit. Aber hin und wieder eine maßvolle strenge Konsequenz schadet bei psychisch gesunden Hunden mit Sicherheit nicht. Der Beweis einer guten Ausbildung ist die Nachhaltigkeit, die Ausgeglichenheit und das freudige Auftreten im Wettkampf. Trotz allem war für mich Fairness dem Hund gegenüber äußerst wichtig und meine Strenge angemessen. Selbst die Belohnung hat die gemeinsame Freude an der Arbeit zementiert. Doch mit Faust bereits heute schon streng und konsequent zu sein, wäre meines Erachtens verfrüht.
Bei der Fährtenarbeit reagiert Fosty äußerst sensibel auf jegliche stimmliche Einwirkung. Aber er wird es lernen und mit der Zeit viel Freude daran haben, ist doch gerade diese Disziplin von einem schönen Erlebnis gekrönt. Dem Fressen, das Lob und das Spiel am Ende ist für einen jeden ein lohnendes Ziel. Leider hat der Vorgänger in dieser Sparte mit Sicherheit gesündigt. So braucht es von mir doppelt gute Nerven und Geduld als bei einem Welpen, der unverdorben alles gierig zu lernen bereit ist. Jegliches Problem bestätigt Fosty mit einem beschwichtigenden sich hinlegen. So ermuntere ich ihn immer wieder mit beruhigenden Worten und Streicheleinheiten zum Weitermachen. Aber auf das Ende freut auch er sich schon offensichtlich und ist danach gelöst, freudig, und wenn ich dann noch zusätzlich den Ball werfe, so bringt er ihn mit einem ergreifenden und stolzem Gehabe mir zurück. Dies ist dann mein Lohn.
Hin und wieder glaube ich, Ansätze zu erkennen, die Anlass zur Hoffnung geben. Einmal versucht er, „Spitzgras“ zu fressen, das er noch nicht richtig kennt, oder er kostet einfach mal einer Übersprunghandlung gleich einen Pferdeapfel, oder er zeigt plötzlich nach dem Versäubern ein kräftiges Scharren, als hätte er eine Großtat vollbracht. Dies sind schon neuere Anzeichen der Verbesserung seines natürlichen Verhaltens, um kurz danach leider wieder in seine unerklärliche Eigenheit zurückzukehren, sich in sich selbst zurückziehen zu wollen. Auch erkenne ich stärkeres Vertrauen, wenn er in der Phase hoher Erregung durch Radfahrer oder Reiter von mir gerufen wird. Hin und wieder kommt er dann schon ganz zu mir. Früher lief er wohl in meine Richtung, aber ein bis zwei Meter vor mir drehte er sogleich wieder ab, und ich musste zu ihm gehen, wollte ich ihn fassen und ganz bei mir behalten. Auch schaut er mich bereits etwas länger und genauer an als zuvor, und es gibt noch einige wenige zusätzliche Anzeichen einer beginnenden Vertrautheit.
Das Leben mit beiden Hunden ist spannend, Jypsy mit ihrer Abgeklärtheit und der gut zweijährige Rüde, der voller Überraschungen steckt und trotz oder vielleicht gerade durch seine Naivität für menschliches Denken eine unbewusste und auch leicht tragisch-komische Schau abzieht, sodass man ihn in seiner Ganzheit einfach lieb gewinnen muss. Ein solcher Hund ist eine Bereicherung, und nichts wünschen wir ihm mehr, als die Selbstfindung zum normalen canis familiaris (Familienhund). Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich ein leicht behindertes Kind, mit welchem man sich stärker verbunden fühlt, weil es uns mehr braucht.
Ich habe in der Zwischenzeit auch mit weiteren Fachleuten Erfahrungen ausgetauscht wie Hundesportlern, Menschen, die mit Tieren kommunizieren und Spezialisten für Bachblütentherapie. Zusätzlich habe ich mich auch bei HealthBalance AG in Uzwil gemeldet. Nichts scheint mir unnütz, wenn es meinem Tier helfen kann. Allerdings glauben alle an eine nur sehr langsame Verbesserung seiner Psyche, denn sein momentanes Verhalten scheint irgendwie nicht ergründbar. Es ist höchst interessant, seine Entwicklung zu beobachten. Selbst einen Calminizer (Beruhiger) dieses Gerät wurde ursprünglich für Pferde entwickelt, damit diese weniger nervös reagieren, habe ich ihm um seinen Hals gelegt (ein kleines rechteckiges Kästchen) und hoffe, dass sich Resultate zeigen. Ich verstehe, dass dies alles viel Geduld braucht, aber irgendwann werde ich mit der einen oder anderen Therapieform aufhören müssen. Ewig wird er nicht krank sein, auch wenn gewisse Todsünden aus der Welpen- und Junghundezeit, wie schon gesagt, meist lange erkennbar bleiben. Gerade deshalb wäre es von großem Nutzen, er hätte eine Schule für Welpen durchlaufen können. Dort hätte man mögliche Störungen vielleicht frühzeitig aufdecken können.
Meine Jypsy ist in meinen Bemühungen genauso wichtig wie meine persönliche Einstellung zu Faust. Er braucht Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit. So ist es auch zu früh, kleine Erlebnisse der Verbesserung all den verschiedenen Maßnahmen wie Bachblüten oder Calminizer zuzuschreiben. Doch heute früh überraschte er mich, als ich am Ausgangsort zum Morgenspaziergang mich bereit machte und meine Hunde für einen Augenblick freiließ, weil ich noch am Auto beschäftigt war. Als ein Morgenspaziergänger sich vom Waldweg herkommend uns näherte, erkannte ich dies nicht und sah ihn erst, als er praktisch bereits bei uns war. Fosty rannte angeblich auf diesen Herrn zu, und als ich aufblickte, waren beide bereits auf meiner Höhe. Ich sah bei Faust keine Aggressivität, allerdings benahm er sich aufdringlich und wollte aber, wie mir schien, nur gestreichelt werden. Ich erwartete jeden Moment eine falsche Reaktion vom Spaziergänger, doch wie ich den Hund zu mir rief, kam er sogleich. Es schien, als wäre Faust sogar ein wenig erleichtert. Den Spaziergänger erkannten wir, wir haben uns schon einige Male gesehen, doch hielt ich meine Hunde beim Spazieren immer an der Leine. Angstfrei und vertrauensvoll begrüßte dieser Spaziergänger vor allem Fosty, als wäre dies das natürlichste der Welt. So war es richtig. Viele Menschen empfinden in ähnlichen Situationen nur Angst, und dies ist es, was Hunde ebenso verunsichert. Somit hat dieser Mann die Unsicherheit von Fosty nicht mit Unsicherheit und ängstlicher Vorsicht beantwortet, sondern dieser Situation keine Beachtung geschenkt. Dies wäre ein Rezept, sich gegenüber Fosty zu verhalten. Hunde lernen das Vertrauen zu den Menschen vom Hundeführer und verlieren viel an Aggression gegen Dritte, wenn sie mit Respekt, Anstand, Konsequenz, Verständnis und mit viel Zuneigung geführt und behandelt werden. Somit, behaupte ich, gibt es keine gefährliche Hunde, sondern nur verständnislose, launige und respektlose Hundehalter, die gewaltorientiert und rücksichtslos mit ihren Tieren umgehen und kein faires Verhalten gegenüber ihrem Hund praktizieren. Denn dies ist die giftige Mischung, und leider verkannt von vielen. Der Hundeführer trägt die alleinige und volle Verantwortung für seinen Hund und sollte jederzeit für jeglichen Schaden verantwortlich gemacht werden und nicht die Hunde.
Mit der Zeit ist sein Verhalten nun bereits besser vorhersehbar. Aber die Umstände gleichen sich nie, und so muss ich einfach meinem Gefühl entsprechend allen Situationen Rechnung tragen und bin überzeugt, dass Faust sich heute sicherer fühlt als vor vielen Monaten. Ich denke, seine Hektik ist leicht rückläufig und auch sein Verhalten zu mir und Jypsy hat sich verändert. Er scheint herzlicher, freudiger und auch offener geworden zu sein. Ich fühle mich damit bestätigt, keine allzu konsequente Haltung auszuüben, lieber zweimal zu rufen, als gleich strafend zu reagieren, denn zu Beginn war das angstvolle „Platz“ seine primäre Reaktion, die ihn vor weiterem Ungemach scheinbar schützte. So lernt er nun allmählich das Zuhören und anschließendes, entsprechendes Handeln. Dies braucht man später bei der Ausbildung, denn ein Hund, der das Zuhören verweigert, ist blockiert und nicht lernfähig.