Die Vorstellung eines Rudelführers ist in der modernen Hundeerziehung und -Haltung umstritten. Früher wurde angenommen, dass Hunde einen starken Anführer brauchen, der autoritär und dominant ist, um ihnen Gehorsam beizubringen. Wie steht es aktuell um diese Theorie?
Woher kommt die Rudelführer-Theorie?
In den 1970er Jahren führte David Mech, Verhaltensforscher und Experte für Wölfe, eine Studie durch, die als “The Wolf: Ecology and Behavior of an Endangered Species” bekannt wurde. Diese Studie basierte auf Beobachtungen von Wölfen im Isle-Royale-Nationalpark in Michigan, USA, und stützte sich auf die Annahme einer linearen Dominanzhierarchie mit einem dominanten “Alpha”-Wolf an der Spitze des Rudels.
Später, insbesondere ab den 1990er Jahren, änderte Mech jedoch seine Meinung und zog seine früheren Schlussfolgerungen zurück. In Veröffentlichungen und Interviews stellte er klar, dass Wölfe in freier Wildbahn eher in Familienverbänden leben und dass die Beziehungen zwischen den Mitgliedern auf Zusammenarbeit und elterlicher Fürsorge beruhen, anstatt auf Dominanz und Unterwerfung.
Mechs Forschung hat dazu beigetragen, das Verständnis über Wölfe zu vertiefen und die überholte Vorstellung eines strengen Rudelführers zu hinterfragen. Seine Arbeit hat demnach einen grossen Einfluss auf die moderne Wolfsethologie und die Herangehensweise an das Training und die Haltung von Hunden.
Wieso hat man das auf die Hundehaltung übertragen?
Derartige Studien und Beobachtungen wurden oft auf Hunde übertragen, da Hunde als domestizierte Nachkommen der Wölfe gelten. Man nimmt an, dass Hunde ähnliche soziale Strukturen haben und einen dominanten Anführer benötigen, um ihnen Gehorsam beizubringen.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen haben hingegen gezeigt, dass die Beziehung von Hunden und Wölfen komplexer ist und dass die Domestizierung den Verhaltensunterschied zwischen ihnen vergrössert hat.
Muss ich für meinen Hund also ein Rudelführer sein oder nicht?
Sehen wir den Rudelführer als denjenigen, der die Verantwortung für das Wohlbefinden und die Sicherheit des Rudels trägt. Ein Rudelführer ist kein Diktator, sondern vielmehr ein souveräner Anführer, der seine Position auf natürliche Weise einnimmt. Ein guter Rudelführer ist in der Lage, die Bedürfnisse jedes einzelnen Hundes zu erkennen und zu erfüllen. Er sorgt dafür, dass es genug Futter und Wasser gibt, dass alle Hunde genug Auslauf und Bewegung bekommen und dass jeder Hund genug Aufmerksamkeit und Liebe erhält.
Als Hundehalter möchtest du sicherlich der beste Freund und erste Bezugsperson für deinen Hund sein. Doch wie schaffst du das? Ein paar Tipps können dabei helfen. Zum einen solltest du immer konsequent sein und klare Regeln aufstellen, die du entsprechend durchsetzt. Dein Hund benötigt klare Strukturen, um sich sicher und geborgen zu fühlen. Zum anderen solltest du viel Zeit mit deinem Hund verbringen, um eine enge Bindung aufzubauen. Spiele, Spaziergänge und gemeinsame Trainingseinheiten stärken das Vertrauen zwischen euch beiden. Zudem ist es wichtig, auf die Bedürfnisse deines Hundes einzugehen und ihm genügend Auslauf, Beschäftigung und Ruhephasen zu ermöglichen.
Ein guter und liebevoller Rudelführer zu sein bedeutet also, dass du die Bedürfnisse deines Hundes verstehst und ihm eine angemessene Ausbildung und Erziehung ermöglichst.Wenn du deinem Hund das Gefühl gibst, dass er zu deinem Rudel gehört und du ihn liebst und respektierst, wird er dir automatisch folgen und dir vertrauen.