Stell dir Folgendes vor: Du bringst deinen Hund zum Tierarzt, weil er lahmt und bist dir ziemlich sicher: Das linke Hinterbein ist verletzt. Doch nach der Untersuchung wird dein Hund am rechten Bein operiert – und du erfährst das erst im Nachhinein. Klingt verstörend? Ist aber genau so passiert! Und das Gericht gab dem Tierarzt recht.
Wenn es um die Gesundheit unserer Hunde geht, wollen wir natürlich mitreden, denn wer kennt unsere Tiere besser als wir? Aber was, wenn der Tierarzt anderer Meinung ist? Was darf er ohne unsere Zustimmung tun, und wo liegen die Grenzen? Hier kommt das Wort “Behandlungsauftrag” ins Spiel. Erfahre hier, welche Rolle er beim Tierarztbesuch spielt – denn als Hundehalter solltest du deine Rechte kennen.
Gerichtsurteil vom OLG Frankfurt: Wann der Tierarzt anders entscheiden darf
Ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. September 2024 (Az. 29 U 33/24) zeigt deutlich, wie wichtig das medizinische Ermessen des Tierarztes ist – auch wenn es nicht dem Wunsch des Halters entspricht.
Im konkreten Fall brachte ein Hundehalter seinen Hund in die Tierklinik, weil er ein Hinken am linken Hinterbein beobachtet hatte. Er beauftragte die Tierärzte ausdrücklich damit, dieses Bein zu untersuchen und zu behandeln. Nach umfassender Diagnostik – darunter Röntgenaufnahmen und Gangbildanalyse – kamen die Fachleute jedoch zu einem anderen Schluss: Nicht das linke, sondern das rechte Hinterbein sei die Ursache für die Lahmheit.
Die Tierärzte führten daraufhin die Operation am rechten Hinterbein durch – was dem Halter überhaupt nicht passte. Er klagte und forderte die Rückerstattung der gesamten Behandlungskosten in Höhe von rund 7.500 Euro.
Das Gericht stellte sich jedoch auf die Seite der behandelnden Tierärzte: Ein Tierarzt ist berechtigt, von einem ursprünglich formulierten Behandlungsauftrag abzuweichen, wenn seine fachliche Einschätzung eine andere Massnahme erfordert – vorausgesetzt, die Entscheidung ist nachvollziehbar und medizinisch gerechtfertigt.
Ein Sachverständiger bestätigte im Verfahren, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit in Wahrheit das operierte rechte Bein die Ursache für die Beschwerden war. Damit sei der Tierarzt seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen – und hafte nicht für vermeintlich „abweichendes“ Handeln.
Hier findest du das vollständige Gerichtsurteil: Tierärztliche Behandlung: Vom Hundebesitzer wahrgenommenes Hinken lässt nicht Schluss auf fehlerhafte Operation des Hundes zu
Der “Behandlungsauftrag” beim Tierarzt – Was dahintersteckt
Wenn du mit deinem Hund zum Tierarzt gehst, gibst du damit einen Behandlungsauftrag – also die Erlaubnis, deinen Hund medizinisch zu versorgen. Noch einfacher erklärt: Du sagst dem Tierarzt, dass er deinen Hund untersuchen und behandeln darf.
Wer erteilt den Behandlungsauftrag?
Immer die Person, die den Hund hält – also du als Hundehalter. Denn nur du kannst für deinen Hund Entscheidungen treffen und dem Tierarzt den Auftrag geben, aktiv zu werden.
Was umfasst dieser Auftrag genau?
Ein Behandlungsauftrag bedeutet nicht nur, dass der Tierarzt deinen Hund „anschaut“. Er umfasst auch die Zustimmung zu Untersuchungen (wie Bluttests, Röntgen oder Ultraschall), Diagnosen und den darauf basierenden Behandlungen – zum Beispiel Medikamente geben, eine Operation durchführen oder eine Therapie starten.
Kurz gesagt: Wenn du dem Tierarzt den Behandlungsauftrag gibst, sagst du ihm, dass er tun darf, was medizinisch notwendig ist, um deinem Hund zu helfen – natürlich immer im Rahmen der Absprache.
Aber genau hier kann es kompliziert werden, wenn sich im Verlauf der Behandlung herausstellt, dass eine andere Massnahme nötig ist als die besprochene. Genau deshalb ist es wichtig, den Behandlungsauftrag und seine Grenzen zu kennen.
Wann und in welchem Umfang dürfen Tierärzte “eigenmächtig” entscheiden?
Der Behandlungsauftrag ist mehr als nur ein „grünes Licht“ für den Tierarzt, deinen Hund anzuschauen. Er regelt, welche Untersuchungen und Behandlungen der Tierarzt durchführen darf – und das im Idealfall immer in vorheriger Absprache mit dir.
Darf der Tierarzt einfach so Röntgen, Ultraschall oder andere teure Diagnostik machen?
Nein, nicht ohne Weiteres. Solche Untersuchungen sind oft aufwendig und kostenintensiv. Deshalb gilt: Der Tierarzt sollte dich vorab informieren und um deine Zustimmung bitten, bevor er solche Diagnostik durchführt. Das gehört zur sogenannten Aufklärungspflicht. Du sollst verstehen, warum eine Untersuchung sinnvoll ist, welche Risiken sie birgt und welche Kosten ungefähr auf dich zukommen.
Wenn du mit der Untersuchung einverstanden bist, erteilst du damit auch den “erweiterten” Behandlungsauftrag – also die Erlaubnis für diese speziellen Schritte.
Wann darf der Tierarzt von deinem Auftrag abweichen?
Manchmal kommt es vor, dass sich der Tierarzt während der Behandlung plötzlich für eine andere Massnahme entscheidet, die du so nicht explizit beauftragt hast. Zum Beispiel:
- Du hast die Behandlung eines bestimmten Beins beauftragt, der Tierarzt erkennt aber, dass die Ursache eigentlich woanders liegt und behandelt diese Stelle.
- Während einer Operation findet der Tierarzt eine andere, dringendere Ursache, die sofort behandelt werden muss.
Grundsätzlich gilt | Was heisst das für dich? |
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• Der Tierarzt darf abweichen, wenn er fachlich überzeugt ist, dass die alternative Massnahme dringend nötig und im besten Interesse des Hundes ist. | • Frag im Gespräch genau nach, welche Untersuchungen und Behandlungen geplant sind und wie sie ablaufen. |
• Er muss die Entscheidung gut begründen und möglichst schnell mit dir kommunizieren. | • Besteht Unsicherheit, ob eine Diagnose oder Behandlung wirklich nötig ist, kannst du um eine Erklärung oder auch eine Zweitmeinung bitten. |
• Das Urteil des OLG Frankfurt bestätigt, dass solche Abweichungen zulässig sind, solange sie medizinisch gerechtfertigt sind und nicht „einfach so“ ohne Grund passieren. | • Wenn der Tierarzt während der Behandlung abweicht, hast du das Recht, eine Erklärung zu verlangen und die Behandlung zu hinterfragen. |
Wer haftet bei falscher Behandlung?
Wenn bei der Behandlung deines Hundes etwas schiefgeht, stellt sich oft die Frage: Wer trägt die Verantwortung? Gerade bei komplizierten Fällen ist das nicht immer ganz einfach zu klären.
Hierzu ist es wichtig zu verstehen, worin der Unterschied zwischen einer “abweichenden Behandlung” und einem echten “Behandlungsfehler” liegt:
Eine Abweichung vom Behandlungsauftrag durch den Tierarzt – also wenn er eine andere medizinische Massnahme ergreift als ursprünglich besprochen – ist nicht automatisch ein Fehler. Wie schon beschrieben, darf der Tierarzt abweichen, wenn es medizinisch sinnvoll und im besten Interesse deines Hundes ist.
Ein Behandlungsfehler liegt erst vor, wenn der Tierarzt gegen die allgemein anerkannten Regeln der Tiermedizin verstösst, also zum Beispiel:
- Eine falsche Diagnose stellt, die vermeidbar gewesen wäre
- Eine Behandlung durchführt, die unnötig oder sogar schädlich ist
- Oder gar nicht bzw. nicht ausreichend aufklärt und damit die Behandlung ohne dein Einverständnis beginnt
Die Rolle von Gutachten und Sachverständigen
Die Grenze zwischen erlaubter Abweichung und Behandlungsfehler kann manchmal sehr schmal sein – hier hilft dann nur noch eine rechtliche Einschätzung. Bei Streitigkeiten kommt es deshalb oft zu einem gutachterlichen Verfahren. Ein unabhängiger Sachverständiger prüft, ob die Behandlung dem medizinischen Standard entsprochen hat oder ob ein Fehler vorliegt.
Solche Gutachten sind für Gericht und Beteiligte eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Sie bewerten fachlich, ob der Tierarzt richtig gehandelt hat oder ob die Behandlung mangelhaft war.
Die Beweispflicht
Im Falle eines vermuteten Behandlungsfehlers stellt sich schnell die Frage: Wer muss eigentlich beweisen, dass ein Fehler passiert ist?
Leider trägt grundsätzlich der Tierhalter die Beweispflicht.
Das bedeutet konkret: Du musst als Hundehalter nachweisen, dass
- Ein Fehler bei der Behandlung passiert ist – also dass der Tierarzt nicht nach den anerkannten medizinischen Standards gehandelt hat,
- Und dass dieser Fehler deinem Hund tatsächlich Schaden verursacht hat.
Das ist oft eine grosse Hürde, denn medizinische Zusammenhänge sind komplex und nicht unbedingt leicht verständlich. Und nur, weil du mit dem Ergebnis unzufrieden bist, reicht das rechtlich nicht aus.
In bestimmten Fällen geht aber die Beweispflicht teilweise auf den Tierarzt über, und zwar wenn
- die Behandlung unzureichend dokumentiert ist,
- der Tierarzt wichtige Informationen nicht weitergibt,
- oder wenn offensichtliche Fehler vorliegen, die ohne Fachwissen kaum zu beurteilen sind.
Fazit: Was du als Hundehalter mitnehmen solltest
Der Behandlungsauftrag ist die Grundlage für jede tierärztliche Versorgung – doch auch wenn du als Halter klar festlegst, was gemacht werden soll, kann der Tierarzt unter bestimmten Umständen eigenständig abweichen, wenn er es für medizinisch notwendig hält.
Bei einem möglichen Behandlungsfehler liegt die Beweispflicht überwiegend bei dir als Hundehalter. Du musst also nachweisen, dass der Tierarzt tatsächlich einen Fehler gemacht hat und dieser deinem Hund Schaden zugefügt hat. Das ist allerdings in den meisten Fällen ein schwieriger und komplexer Prozess, der fachliche Gutachten und juristischen Rat erfordert.
Unsere Einschätzung: Dass die Beweispflicht überwiegend beim Tierhalter liegt, finden wir ehrlich gesagt problematisch. Gerade für Laien ist es kaum möglich, medizinische Fehler selbst zu erkennen oder gar zu belegen. Das macht es für betroffene Hundehalter sehr schwierig, zu ihrem Recht zu kommen – vor allem, wenn es um das Wohl des geliebten Vierbeiners geht. Eine bessere Transparenz und Aufklärung seitens der Tierärzte sowie mehr Unterstützung bei Streitfällen wären hier wirklich wichtig.
Darum: Bleib im Dialog mit deinem Tierarzt, stelle alle Fragen, die dir auf der Seele brennen, lass dir Behandlungspläne genau erklären und scheue dich nicht, im Zweifel auch mal eine Zweitmeinung einzuholen.