Eine Situation in die man schneller kommen kann als gedacht. Erstellen wir ein theoretisches Szenario:
- Mischling mit unbekannter Abstammung, vermutlich Herdenschutzanteil
- 4 Monate alt, unsicher, kennt weder Alltag noch Stadt
- Neue Umgebung: Stadtwohnung im 4. Stock, nur Treppe
- Familie mit zwei kleinen Kindern
Ziel: Stressarme Eingewöhnung und vertrauensvoller Start
Der Hund braucht in den ersten Wochen wenig Reize, viel Sicherheit und vor allem: Verlässlichkeit. Eine falsche Eingewöhnung kann langfristige Ängste, Aggressionen oder Überforderung fördern. Der Schlüssel ist: reduzieren – nicht forcieren.
Doch gehen wir das ganze mal in Ruhe durch. Angefangen bei der ersten Nacht, bis zu einem groben vier Woche Plan.
So nimmst Du den Hund das erste Mal mit in die Wohnung
Ruhe vor dem Einstieg
Schon beim Aussteigen aus dem Auto: keine Hektik, kein Begrüssungstrubel. Halte den Hund an einer gut sitzenden Leine mit Brustgeschirr, gib ihm kurz Zeit zum Orientieren – aber nicht zu viel Raum. Du führst ihn, nicht umgekehrt.
Nicht sofort durch die Tür stürmen
Bleib vor der Haustür kurz stehen, gib ihm die Möglichkeit zu schnüffeln und sich zu sammeln. Ein paar ruhige Worte können helfen: „Komm, wir gehen jetzt zusammen rein.“ Sei entschieden. Dein Hund überlegt sich die Situation und wenn Du Pech hast, entscheidet er sich für Angst. Wenn er aber merkt, dass Du klar weisst was Du machst und das Beste für ihn möchtest, läuft er Dir hinterher.
Treppenhaus…
Variante 1: Tragen (empfohlen bei kleinen/mittelgrossen Hunden)
- Nutze ein gut sitzendes Brustgeschirr mit Haltegriff oder ein Tuch zum Stabilisieren.
- Trag den Hund nah am Körper, in aufrechter, stabiler Haltung – wie ein verletztes Tier, nicht wie ein Baby.
- Sprich ruhig mit ihm, vermeide Aufregung.
- Geh die Treppen langsam und gleichmässig, ohne zu stoppen oder zu wackeln.
- Sobald Du oben bist: nicht gleich absetzen – gib ihm einen Moment in Deinen Armen, um die neue Umgebung zu „scannen“.
Wichtig: Beim Tragen immer Sicherheit vor Bequemlichkeit – Hund darf nicht strampeln oder rausspringen können.
Variante 2: Schrittweise Gewöhnung (wenn Tragen nicht möglich ist)
- Nimm Dir Zeit und geh Stufe für Stufe, mit Leine und viel Geduld.
- Führe ihn mit ruhiger Stimme, kein Ziehen, kein Drängen.
- Bei Unsicherheit: kleine Belohnungen auf die Stufen legen (z. B. Leckerli auf jede 2. Stufe).
- Immer wieder kleine Pausen, Blickkontakt, kein Druck.
- Wenn’s nicht weitergeht: lieber eine Pause machen oder 2–3 Stufen zurück – niemals zwingen!
Die ersten Momente sind wichtig!
Der erste Weg in die Wohnung ist kein Training, sondern Vertrauensaufbau. Ruhig, sicher, körperlich stabil – und ohne Erwartungen. Lieber zu viel Hilfe als ein überforderter Start. Treppen kannst Du später langsam und in kleinen Schritten üben – aber nicht am Ankunftstag. Ruhe ist hier wichtig. Die Kinder sollte noch nicht dabei sein.
In der Wohnung: direkt zum Ruheplatz
Führ ihn an der Leine in die Wohnung – ohne dass Kinder, Familienmitglieder oder andere Haustiere auf ihn einstürmen. Bring ihn direkt zu seinem vorbereiteten Rückzugsort (z. B. Matte in einer Ecke).
Dort: einfach hinsetzen, mit ihm sein, ruhig bleiben. Kein Spiel, kein Futter, kein „Besucherstress“.
Jetzt: einfach da sein
Lass ihn schnuppern, wenn er möchte. Wenn nicht: auch gut. Gib ihm Sicherheit durch Deine Nähe, nicht durch Aktion.
Wichtig:
➡️ Der erste Eindruck prägt.
➡️ Keine Reize, keine Erwartungen.
➡️ Der Hund soll nicht funktionieren, sondern sich sicher fühlen.
Die ersten Nächte mit einem Tierschutzhund
Wo schläft der Hund in der ersten Nacht?
Am besten im selben Raum wie Du – aber mit etwas Abstand.
Warum?
Der Hund ist plötzlich ohne seine gewohnte Umgebung, ohne Bezugsperson, vielleicht ohne Wurfgeschwister. Alleine schlafen in einem fremden Zimmer kann starke Verlustangst auslösen – was zu Dauerbellen, Jaulen, Unruhe oder Stresspinkeln führen kann.
Empfehlung:
- Schlafplatz neben dem Bett oder im selben Raum, z. B. in einer Box mit offener Tür, einem Bettchen oder auf einer Matte
- Kein Zwang zum Kuscheln – aber Nähe und Beruhigung durch Deine Anwesenheit
- Wenn der Hund aufsteht oder unruhig wird: leise ansprechen („Alles gut“), nicht sofort streicheln, aber Präsenz zeigen
- Nach 1–2 Wochen kannst Du den Schlafplatz langsam weiter weg verlagern – wenn der Hund sicherer geworden ist
Wenn er in der Nacht pinkeln muss – was tun?
Rechne damit, dass er muss – und plane aktiv vor.
Ein 4 Monate alter Hund – gerade aus dem Tierschutz – ist oft noch nicht stubenrein oder kann seine Blase nur kurz halten.
So gehst Du vor:
- Vor dem Schlafengehen unbedingt nochmal raus – auch wenn der Hund müde wirkt
- Richte Dich darauf ein, dass er mind. 1x pro Nacht raus muss (zwischen 2–4 Uhr)
- Halte Leine, Schuhe, Jacke, Licht griffbereit, damit es schnell und ruhig geht
- Kein Spiel, kein Aufregung – nur raus, lösen lassen, zurück ins Bett
Wenn Du in den 4. Stock musst:
👉 Alternativ in den ersten Nächten eine geeignete Notlösung schaffen (z. B. Welpentoilette mit Rasenmatte auf dem Balkon – nicht ideal, aber besser als Stress im Treppenhaus). Wie macht man das?
Um einen jungen Hund an eine Welpentoilette mit Rasenmatte zu gewöhnen, braucht es Geduld und konsequente Wiederholung. Stelle die Matte an einen ruhigen, gut erreichbaren Ort – idealerweise dort, wo Du nachts schnell hinkommst. Führe den Hund nach dem Schlafen, Fressen oder Spielen gezielt zur Matte und warte ruhig ab. Sobald er sich löst, lobe ihn leise und freundlich, aber nicht überschwänglich. Passiert ein Missgeschick daneben, reinige gründlich ohne Strafe – und beim nächsten Mal etwas früher anbieten. Anfangs kann es helfen, ein bereits benutztes Stück Rasen liegenzulassen: Der eigene Geruch signalisiert dem Hund, dass dies ein geeigneter Ort zum Lösen ist.
Fütterung – wie oft, wie viel, was beachten?
Ein Hund mit Tierschutzhintergrund hat oft:
- unsicheres Fressverhalten (zu gierig, zu zögerlich, unruhig)
- Magen-Darm-Probleme (Durchfall, Futterumstellung)
- Angst, dass ihm jemand das Futter wegnimmt
Empfehlung:
- 3 feste, kleine Mahlzeiten am Tag (z. B. morgens, mittags, abends) – für junge Hunde ideal
- Immer am selben Ort, zur selben Zeit, in Ruhe füttern
- Nicht stören beim Fressen – keine Kinder in der Nähe
- Napf nach 15 Minuten wieder wegnehmen, wenn er nicht frisst – kein Druck, keine Panik
Futterumstellung?
👉 Wenn der Hund aus Rumänien kommt und Trockenfutter bekommt, erstmal nicht wechseln – Magen-Darm-Stress vermeiden. Neue Sorten nur langsam untermischen.
Leckerli?
👉 Ja, aber sparsam – besser etwas vom Tagesfutter verwenden. Verträglichkeit beachten. Vor allem in der Anfangszeit braucht es keine besonderen Leckerli. Die Belohnungen können gut aus dem normalen Trockenfutter bestehen.
Was brauche ich für den Anfang?
Hier eine Checkliste für einen gelungenen Start:
Schlafplatz
- Matte oder weiches Kissen mit Rand. Der Rand gibt vielen Hunden etwas Sicherheit.
- ggf. geschützte Box als Rückzugsort (Türe offen lassen). Viele Hunde, vor allem aus dem Tierschutz, lieben es auch, wenn die Box zugedeckt ist und sie so eine Höhle der Sicherheit haben.
Futter & Zubehör
- gutes Nass- oder Trockenfutter (am besten das, was er bisher kannte)
- Wassernapf und Fressnapf (rutschfest)
- Leckerli, Kauartikel (z. B. Rinderhaut, getrockneter Fisch – möglichst naturbelassen). Jedoch gerade in der Anfangszeit nicht zu viel abwechseln. Der Magen des Hundes muss sich auch erst anpassen.
Ausrüstung
- sicheres Brustgeschirr + Sicherheitsleine mit zwei Befestigungspunkten. Hier lohnt es sich wirklich eine gute Beratung in einem Fachgeschäft zu bekommen und ein paar Euro mehr aus zu geben.
- stabile, lange Leine (3–5 m, keine Flexileine!)
- Kotbeutel, Handtücher, ggf. Enzymreiniger für Unfälle
- ggf. Transportbox, falls Auto oder Tierarztbesuch ansteht
Fürs Management
- Kindersicherer Raum oder mobile Absperrgitter
- Babyfon (zur Überwachung in der Nacht, falls Hund in einem anderen Raum schläft)
- Ratgeberbuch oder Ansprechpartner:in mit Herdenschutzhund-Erfahrung
- Ruhe – Geduld – und realistische Erwartungen
Tipp für mehr Sicherheit in den ersten Tagen
Mach Dir einen Tagesplan mit festen Zeiten für:
- Füttern
- Rausgehen
- Ruhezeit
- Orientierung (z. B. gemeinsames Sitzen, langsame Streichelversuche)
- Kinderfreie Ruhephasen
Das hilft nicht nur dem Hund – sondern auch Dir selbst, den Überblick zu behalten.
Wochenplan für die ersten 4 Wochen
Woche 1: Ankommen lassen
Ziel: Orientierung, Rückzug, Sicherheit
✅ Rückzugsort schaffen (geschützte Ecke mit Sichtschutz, nicht mitten im Durchgang)
✅ Kein Besuch – nur die Kernfamilie
✅ Kinder auf Abstand – nur beobachten, nicht berühren
✅ Nur eine Bezugsperson kümmert sich aktiv (füttern, rausgehen, ansprechen)
✅ Keine Spaziergänge – nur kurze Gänge vor die Haustür, ggf. tragen
✅ Fester Tagesrhythmus: füttern, lösen, ruhen
✅ Keine Erwartungen – nur beobachten und für Sicherheit sorgen
Wichtig:
In dieser Phase nicht erziehen, sondern Vertrauen aufbauen. Auch bei Problemen (Bellen, Stress, Rückzug): nicht korrigieren – einfach da sein. Nicht hibellig oder zu überglücklich auf den Hund eingehen. Er kennt das nicht. Aus seiner Sicht wurde er aus seiner vertrauten Umgebung gerissen. Der Mensch dagegen ist der Meinung, er bietet dem Hund ein glückliches Zuhause. Das versteht der Hund jedoch alles noch nicht.
Woche 2: Sanfte Orientierung & feste Rituale
Ziel: Erste Umwelteindrücke in kleinen Dosen
✅ Täglich gleiche Gassiroute – ruhig, reizarm, kurz (10–15 Minuten)
✅ Immer gleiche Abläufe: „Jetzt geht’s raus“, „Jetzt gibt’s Futter“, „Jetzt ist Ruhe“
✅ Kinder dürfen sich vorsichtig nähern – unter Aufsicht, nie drängend
✅ Erste Berührungen nur, wenn der Hund sie von sich aus zulässt
✅ Treppe: nur wenn unbedingt nötig, langsam heranführen (sonst tragen)
✅ Erste positive Verknüpfungen (z. B. Leberwurst an der Leine, ruhige Stimme)
✅ Noch keine Hundekontakte, keine Hundewiese
Wichtig:
Keine Konfrontation mit der Stadt. Kein Training. Keine Erwartung, dass der Hund etwas „können“ muss. Sicherheit geht vor.
Woche 3: Beziehung festigen – klare Struktur
Ziel: Vertrauen ausbauen, erste Grenzen setzen
✅ Begriffe einführen: z. B. „Nein“, „Ruhig“, „Warten“ – ruhig und ohne Druck
✅ Kleine neue Reize in kontrollierter Umgebung (z. B. Fahrstuhlgeräusch, Auto auf Distanz)
✅ Treppe ggf. mit Leckerlis langsam üben, aber nicht erzwingen
✅ Kind-Hund-Kontakt fördern durch ruhige Nähe (z. B. gemeinsames Kuscheln im Raum, nicht direkt)
✅ Nachbarschaft erklären, dass der Hund Zeit braucht
✅ Klare Ruhezonen etablieren: dort wird nicht gestört – weder durch Kinder noch Besuch
Woche 4: Alltagssicherheit entwickeln
Ziel: Erste Routinen im Alltag stabilisieren
✅ Gassigehen auf gewohnten Routen, evtl. leicht ausdehnen
✅ Erste Begegnungen mit fremden Menschen auf Distanz – kein Zwang zum Kontakt
✅ Rituale für Lösen, Füttern, Rausgehen, Ruhe konsequent einhalten
✅ Erste Übungen mit Geschirr, Leine, ggf. Clicker oder Markerwort etablieren
✅ Besuch? Nur wenn der Hund vorher Rückzug nehmen kann und nicht gestört wird
✅ Kinder dürfen unter Anleitung einfache Aufgaben übernehmen (z. B. Leckerli in Napf legen, aber nicht „abrichten“)
Tipps für den Umgang mit Kindern
- Kinder nie unbeaufsichtigt mit dem Hund lassen – auch nicht bei „lieben“ Momenten
- Nicht schimpfen, wenn der Hund knurrt – das ist Kommunikation
- Erkläre kindgerecht: „Der Hund braucht Zeit, um uns zu verstehen“
- Feste Regeln einführen:❌ kein Umarmen
❌ nicht am Napf stören
❌ nicht aufwecken oder hinterherlaufen
✅ Hund in Ruhe lassen, wenn er sich zurückzieht
Was Du auf keinen Fall tun solltest:
- Den Hund „sozialisieren“, indem Du ihn mit in die Stadt, ins Café oder auf den Spielplatz nimmst
- Ihn auf fremde Menschen oder Hunde „loslassen“, um ihn an sie zu gewöhnen
- Laut schimpfen, hektisch reagieren oder ihn isolieren
- Ihn durch die Wohnung jagen, wenn er etwas „Falsches“ macht
- Den Kindern die Verantwortung übertragen („Du musst ihn jetzt füttern, er gehört Dir auch“)
Fazit
Ein Hund mit unbekannter Herkunft und möglichem Herdenschutzhintergrund ist kein Anfängerhund – auch wenn er süss aussieht oder jung ist. Aber: Mit Geduld, Struktur, Ruhe und einer klaren Haltung kann aus dieser Konstellation eine tragfähige, respektvolle und stabile Mensch-Hund-Beziehung entstehen.
Der Fokus in den ersten Wochen liegt nicht auf Erziehung, sondern auf Verbindung, Vertrauen und Verlässlichkeit. Was ihr jetzt gut macht, erspart euch später viele Probleme.



