Fehlgeburten bei Rindern – und Hunde sollen schuld sein? Wenn es um die sogenannte Neosporose geht, sind die Fronten schnell gehärtet: Spaziergänger lassen ihre Hunde auf Wiesen koten, Kühe infizieren sich, und der Schaden ist angerichtet. Doch so einfach ist es nicht.
Die Neosporose ist eine ernstzunehmende Infektionskrankheit, die sowohl Rinder als auch Hunde betreffen kann. Ausgelöst wird sie durch den Parasiten Neospora caninum, der weltweit verbreitet ist – auch in der Schweiz. Während die Erkrankung bei Rindern häufig zu Fehlgeburten führt, kann sie bei Hunden schwere neurologische Symptome verursachen. Doch wie genau verläuft die Ansteckung? Und wer trägt wirklich zur Verbreitung bei? Wir räumen mit hartnäckigen Mythen auf, ordnen wissenschaftlich ein, wie der Erreger übertragen wird, und zeigen auf, welche Rolle Hunde – insbesondere während des Spaziergangs – dabei tatsächlich spielen.
Der Überträger: Neospora caninum
Neospora caninum ist ein einzelliger Parasit (Protozoon), der vor allem Hunde und Rinder betrifft. Er wurde erstmals in den 1980er-Jahren entdeckt und gilt heute als eine der häufigsten Ursachen für Fehlgeburten bei Rindern weltweit. Der Erreger ist eng verwandt mit Toxoplasma gondii, dem Erreger der Toxoplasmose, aber biologisch eigenständig.
Der Lebenszyklus von Neospora caninum umfasst zwei Hauptwirte:
🐶 Endwirte: Hund und andere Caniden
Hunde fungieren als sogenannte Endwirte. Das heisst: In ihrem Darm kann sich der Parasit vermehren, wobei sogenannte Oozysten (Eier) ausgeschieden werden – mit dem Kot. Diese Oozysten sind unter freiem Himmel mehrere Wochen lang infektiös und können von anderen Tieren aufgenommen werden.
Die Infektion beim Hund erfolgt meist durch:
- Aufnahme von infiziertem Muskelgewebe (z. B. von Rind, Schaf, Ziege),
- Verzehr von Nachgeburten oder
- Kontakt mit verendeten Tieren.
🐄 Zwischenwirte: Rinder (und andere Nutztiere)
Rinder nehmen die Oozysten z. B. über verunreinigtes Futter, Wasser oder Weideflächen auf. Im Körper entwickeln sich daraus Gewebezysten. Besonders kritisch ist die transplazentare Übertragung: Eine infizierte Kuh kann das Kalb bereits im Mutterleib anstecken – mit der Folge, dass das Kalb entweder lebenslang Träger bleibt oder das Muttertier im schlimmsten Fall eine Fehlgeburt erleidet.
Diese „vertikale Infektion“ innerhalb der Herde ist der häufigste Weg, wie sich der Erreger langfristig hält – nicht die Neuansteckung durch externe Quellen.
Die Erkrankung Neosporose
Die durch den Parasiten ausgelöste Erkrankung heisst Neosporose.
Beim Hund:
- Meist asymptomatisch (keine Beschwerden), wenn das Immunsystem stabil ist.
- Bei Welpen, die sich vor der Geburt infizieren, kann es zu schweren neurologischen Symptomen kommen:
- Lähmungen
- Zittern
- Muskelsteifheit
- Bewegungsstörungen
- Auch ältere Hunde können im Ausnahmefall erkranken – etwa bei stark geschwächtem Immunsystem.
- Nicht heilbar, aber teils behandelbar.
Beim Rind:
- Häufigste Folge: Abort (Fehlgeburt), besonders zwischen dem 3. und 7. Trächtigkeitsmonat.
- Viele Kälber werden infiziert geboren und bleiben ihr Leben lang Träger.
- Die Krankheit kann sich in der Herde unbemerkt etablieren – selbst bei guter Hygiene.
🐕💩 Hunde beim Spaziergang im Fokus: Was ist dran an den Schuldzuweisungen?
Immer wieder kursieren Behauptungen, dass die Hunde von Spaziergängern für die Verbreitung von Neospora caninum verantwortlich seien – insbesondere wenn Fehlgeburten in Rinderbetrieben auftreten. Doch was ist an dieser oft emotional geäusserten Kritik wirklich dran?
Die Faktenlage:
- Hunde beim Spaziergang haben in der Regel keinen direkten Zugang zu Nachgeburten, toten Tieren oder infiziertem Fleisch – genau diese Materialien sind jedoch entscheidend für eine Ansteckung. In Einzelfällen kann ein frei laufender Hund damit in Kontakt kommen, etwa auf abgelegenen Weiden oder im Wald. Das ist jedoch extrem selten und nicht typisch für den normalen Spaziergang.
- Infizierte Hunde mit aktiver Oozystenausscheidung sind sehr selten.
- Die grösste Infektionsquelle auf landwirtschaftlichen Betrieben ist meistens der eigene Hofhund, der Zugang zu potenziell infektiösem Material hat.
- In den meisten Fällen erfolgt die Verbreitung des Parasiten innerhalb der Herde, nicht durch externe Wirte bzw. Einflüsse.
Wissenschaftliche Quellen bestätigen: „In Österreich konnten in umfangreichen Studien keine Hinweise gefunden werden, dass Spazierhunde oder Wildtiere eine epidemiologisch relevante Rolle spielen.“
– Quelle: Vetmeduni Wien, Forschungsprojekt zur Verbreitung von Neospora caninum
Fazit: Verantwortung ja – Schuld nein
Hundehalter tragen selbstverständlich Verantwortung für das Verhalten ihrer Tiere – auch beim Spaziergang. Dazu gehört es, den Hund nicht auf Futterwiesen koten zu lassen. Aber:
- 📌 Die Behauptung, dass Spazierhunde für Neosporose bei Rindern verantwortlich seien, entbehrt wissenschaftlicher Grundlage.
- 📌 Die weitaus grösseren Risiken gehen von betriebseigenen Hunden oder einem langjährigen intrauterinen Infektionszyklus in der Herde aus.
💡 Was du tun kannst
- Lass deinen Hund nicht auf Wiesen machen, die zur Futtergewinnung dienen – das ist ein Gebot der Rücksichtnahme.
- Vermeide es, dass dein Hund mit Nachgeburten oder toten Tieren in Kontakt kommt.
- Wenn du auf einem Bauernhof arbeitest oder lebst: Hofhunde sollten keinen Zugang zu Schlachtabfällen oder Nachgeburten haben.
- Bei unklaren Symptomen deines Hundes (z. B. Lähmungen bei Welpen): Tierärztlich abklären lassen – Neosporose ist selten, aber ernst.



