Das Wachstum ist für Welpen und Junghunde eine sensible Phase. In den ersten Lebensmonaten entscheidet sich, ob sich Knochen, Gelenke und Muskulatur gesund entwickeln. Läuft in dieser Zeit etwas schief, können sogenannte Wachstumsstörungen entstehen – mit Folgen, die den Hund ein Leben lang begleiten können. Dieser Ratgeber erklärt die wichtigsten Hintergründe, zeigt typische Krankheitsbilder und gibt praktische Tipps zur Vorbeugung und Behandlung.
Wie wachsen Knochen eigentlich?
Die Röhrenknochen der Vorder- und Hinterläufe wachsen über sogenannte Wachstumsfugen. Dort wird Knorpel in Knochen umgewandelt. Solange die Wachstumsfugen offen sind (meist bis 12 Monate, bei großen Rassen auch länger), sind die Knochen besonders anfällig für Störungen. Wird eine Fuge verletzt oder wächst ungleichmäßig, kommt es schnell zu Fehlstellungen.
Häufige Wachstumsstörungen beim Hund
Short-Ulna und Radius Curvus
Bleibt die Elle (Ulna) im Wachstum zurück, während die Speiche (Radius) weiterwächst, spricht man vom Short-Ulna-Syndrom. Der Radius wird dadurch verbogen – das nennt man Radius Curvus. Typisch sind krumme Vorderläufe, nach außen gedrehte Pfoten und Schmerzen bei Belastung. Ohne Behandlung drohen frühzeitige Arthrosen.
Carpus Valgus
Beim Carpus Valgus knickt das Vorderfußwurzelgelenk nach außen ab. Ursache können Wachstumsstörungen, Überlastung oder falsche Ernährung sein. Leichte Formen wachsen sich manchmal aus, schwerere brauchen tierärztliche Behandlung.
Osteochondrosis (OCD)
Osteochondrosis ist eine Störung der Knorpelbildung, bei der Knorpelstücke nicht richtig verknöchern. Sie treten oft in Schulter, Ellenbogen oder Knie auf und können schmerzhafte Lahmheiten verursachen. Besonders große, schnell wachsende Rassen sind betroffen.
Hypertrophe Osteodystrophie (HOD)
Diese Erkrankung zeigt sich bei schnell wachsenden großen Rassen im Alter von zwei bis acht Monaten. Betroffene Welpen haben Fieber, schmerzhafte Schwellungen an den Beinen und laufen ungern. In vielen Fällen heilt die Krankheit folgenlos ab, schwere Verläufe können aber lebensbedrohlich sein.
Panosteitiden („Wachstumsschmerzen“)
Manche junge Hunde leiden unter wechselnden, stechenden Knochenschmerzen, die scheinbar grundlos auftreten und wieder verschwinden. Diese „Wachstumsschmerzen“ sind unangenehm, verschwinden aber meist nach dem ersten Lebensjahr von allein.
Weitere Störungen
- Retinierte Knorpelkerne (RCC): unvollständig verknöcherte Zonen in den Röhrenknochen, die Fehlstellungen begünstigen können.
- Endokrine Störungen: z. B. Zwergwuchs bei Schäferhunden oder angeborene Schilddrüsenunterfunktion.
- Ernährungsbedingte Probleme: Mineralstoffmängel oder -überschüsse führen zu Rachitis oder Knochenentkalkung.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Entstehung von Wachstumsstörungen ist meist multifaktoriell. Häufig spielen mehrere Einflüsse zusammen:
- Genetik: Bestimmte Rassen und Linien sind besonders gefährdet.
- Ernährung: Zu viel Energie oder Kalzium im Futter beschleunigen das Wachstum und belasten die Knochen.
- Übergewicht: Jedes Kilo zu viel drückt auf Gelenke und Knochen.
- Überlastung: Treppensteigen, Sprünge oder zu lange Spaziergänge sind im Welpenalter Gift.
- Kastration: Zu frühe Kastration kann bei einigen Rassen das Risiko für Gelenkerkrankungen erhöhen.
Symptome – wann sollte man zum Tierarzt?
- Krumme oder ungleich lange Vorderläufe
- Humpeln oder Lahmheit nach Belastung
- Schwellungen an den Gelenken
- Wachstumsstillstand oder auffällige Körperproportionen
- Fieber und Abgeschlagenheit (bei HOD)
Wichtig: Zeigt ein Junghund länger als 24–48 Stunden Schmerzen oder Lahmheit, ist ein tierärztlicher Check zwingend nötig!
Diagnosemöglichkeiten
- Klinische Untersuchung: Gangbild und Stellung der Gliedmaßen werden beurteilt.
- Röntgen: zeigt Knochenwachstum, Fehlstellungen und Auffälligkeiten der Wachstumsfugen.
- CT/MRT: bei komplizierten Fällen für exakte OP-Planung.
- Blutuntersuchungen: bei Verdacht auf hormonelle oder ernährungsbedingte Ursachen.
Behandlung
Konservativ
Bei leichten Fällen reichen Schonung, Physiotherapie und Ernährungsanpassung. Auch Schmerzmittel können zeitweise nötig sein.
Chirurgisch
Bei fortschreitenden oder schweren Fehlstellungen hilft oft nur eine Operation. Je nach Ursache kommen Wachstumslenkungen, Korrekturosteotomien oder aufwändige 3D-geplante Eingriffe zum Einsatz. Moderne Techniken mit patientenspezifischen Schablonen erhöhen dabei die Erfolgsquote.
Prognose
- Früh erkannt und behandelt: sehr gute Chancen auf ein beschwerdefreies Leben.
- Unbehandelt: dauerhafte Fehlstellungen, chronische Schmerzen und frühzeitige Arthrose.
Vorbeugung – was Züchter:innen und Halter:innen tun können
- Richtige Fütterung: Welpenfutter für große Rassen, keine zusätzlichen Kalziumpräparate ohne tierärztliche Empfehlung.
- Gewichtskontrolle: Welpen sollen schlank bleiben, sichtbare Rippen sind normal.
- Bewegung dosieren: Viel freie Bewegung, aber keine Treppen oder Zerrspiele über lange Zeit.
- Frühzeitige Kontrollen: Welpen regelmäßig vom Tierarzt auf Stellung und Gangbild untersuchen lassen.
- Zuchtplanung: Hunde mit bekannten Wachstumsstörungen nicht in der Zucht einsetzen.
FAQ: Wachstumsstörungen beim Hund
Woran erkenne ich, dass mein Hund eine Wachstumsstörung hat?
Typische Anzeichen sind krumme Vorderläufe, Lahmheit nach Bewegung, Schwellungen an Gelenken, Bewegungsunlust oder wechselnde Schmerzen. Bei solchen Symptomen sollte ein Tierarzt aufgesucht werden.
Welche Rassen sind besonders gefährdet?
Vor allem große und schnell wachsende Rassen wie Deutsche Dogge, Bernhardiner, Schäferhund, Labrador und Retriever. Aber auch bestimmte kleine, chondrodystrophe Rassen (z. B. Dackel, Basset Hound) können typische Fehlstellungen entwickeln.
Kann falsche Ernährung Wachstumsstörungen verursachen?
Ja. Ein Übermaß an Energie oder Kalzium kann das Knochenwachstum stören und Erkrankungen wie OCD oder HOD begünstigen. Welpenfutter sollte daher immer speziell auf Größe und Rasse abgestimmt sein.
Was sind die häufigsten Wachstumsstörungen?
Zu den häufigsten gehören Short-Ulna/Radius Curvus, Carpus Valgus, Osteochondrosis (OCD), Hypertrophe Osteodystrophie (HOD) und Panosteitiden („Wachstumsschmerzen“).
Können sich Wachstumsstörungen von allein auswachsen?
Leichte Fehlstellungen können sich stabilisieren oder zurückbilden. Schwere Störungen hingegen verschlimmern sich meist ohne Behandlung und führen zu bleibenden Schäden.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Je nach Schweregrad: konservative Maßnahmen wie Schonung, Physiotherapie und Ernährungsanpassung oder chirurgische Eingriffe wie Wachstumslenkung und Korrekturosteotomien.
Ab wann sollte man zum Tierarzt gehen?
Immer, wenn ein Welpe oder Junghund länger als 24–48 Stunden lahmt, sichtbare Fehlstellungen entwickelt oder Schmerzen zeigt. Je früher die Abklärung, desto besser die Prognose.
Hat das Gewicht meines Hundes Einfluss auf das Risiko?
Ja. Übergewicht im Wachstum ist ein wichtiger Risikofaktor für Gelenkerkrankungen und verstärkt Fehlstellungen. Junghunde sollten immer schlank gehalten werden.
Spielt der Zeitpunkt der Kastration eine Rolle?
Bei einigen Rassen erhöht eine sehr frühe Kastration das Risiko für Gelenkerkrankungen. Der Zeitpunkt sollte daher individuell mit dem Tierarzt abgestimmt werden.
Was können Züchter:innen tun, um vorzubeugen?
Wichtige Maßnahmen sind: Fütterung mit ausgewogenem Welpenfutter, Vermeidung von Übergewicht, keine Überlastung im Wachstum, regelmäßige tierärztliche Kontrollen und der Ausschluss betroffener Tiere von der Zucht.
Fazit
Wachstumsstörungen beim Hund sind kein Randthema, sondern ein häufiges Problem – vor allem bei großwüchsigen Rassen. Je früher Auffälligkeiten erkannt und behandelt werden, desto besser sind die Heilungschancen. Für Züchter:innen bedeutet das: Ernährung, Belastung und Aufzucht sorgfältig steuern, Risiken kennen und Welpenkäufern Wissen mitgeben. Für Halter:innen gilt: genau hinschauen, schlank füttern, Belastung vermeiden – und bei ersten Anzeichen sofort den Tierarzt aufsuchen.



