Animal Hoarding erkennen, verstehen & handeln

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Animal Hoarding (Tierhortung) bezeichnet ein Krankheitsbild, bei dem Menschen viele Tiere halten, ohne sie angemessen versorgen zu können: das umfasst Ernährung, Hygiene, medizinische Versorgung und ausreichend Raum.

Charakteristisch sind häufig mangelnde Einsicht der Betroffenen, Isolation, eine ständige Vermehrung der Tiere, teils versteckte oder verschleierte Haltung, sowie ein fortschreitender Zustand – sowohl was das Tierwohl als auch die Lebenssituation des Menschen angeht.

Aktuelle Zahlen & Trends aus Deutschland (2024) nach dem Tierschutzbund-Bericht

Diese Zahlen sind aus der „Auswertung 2024 “ des Deutschen Tierschutzbundes. Sie zeigen, wie das Problem in den letzten Jahren gewachsen ist.

Kennzahl Wert
Fälle in 2024 147 Fälle
Betroffene Tiere in 2024 8 911 Tiere – neuer Höchststand seit Beginn der Erhebungen
Tiere insgesamt seit Beginn der Erhebung (ab 2012) ≈ 50 970 Tiere
Anstieg gegenüber 2023 über 2 000 mehr betroffene Tiere; Fälle steigen ebenfalls

Am stärksten von Animal Hoarding betroffen sind weiterhin Katzen. Allein im Jahr 2024 wurden laut Tierschutzbund 1 872 Katzen aus entsprechenden Haltungen gerettet. Danach folgen Hunde mit 1 555 betroffenen Tieren. Besonders ins Gewicht fallen zudem kleine Heimtiere wie Kaninchen, Meerschweinchen oder verschiedene Nagetierarten. Von ihnen mussten 3 749 Tiere beschlagnahmt werden – eine hohe Zahl, die vor allem auf die schnelle, oft unkontrollierte Vermehrung in solchen Beständen zurückgeht.

Geografisch zeigen sich deutliche Schwerpunkte. Die meisten dokumentierten Fälle traten in Nordrhein-Westfalen auf, gefolgt von Bayern. Diese Verteilung entspricht auch den Vorjahren und deutet darauf hin, dass Ballungsräume und dicht besiedelte Regionen besonders gefährdet sind.

Für Tierheime bedeuten diese Entwicklungen eine enorme Belastung. Viele Einrichtungen nehmen die von den Behörden beschlagnahmten Tiere auf, erhalten jedoch nicht immer eine kostendeckende Erstattung der entstehenden Kosten. Nur wenige Heime berichten von einer vollständigen Rückzahlung, was ihre ohnehin angespannte finanzielle Lage zusätzlich verschärft und langfristige Hilfsangebote erschwert.

Ursachen, Typen & psychologische Aspekte

Animal Hoarding ist weit mehr als ein reines Tierschutzproblem. Häufig steckt eine psychische Erkrankung dahinter oder zumindest eine enge Verbindung zu seelischen Belastungen wie Depressionen, Zwangsstörungen oder bestimmten Persönlichkeitsstörungen. Viele Betroffene nehmen die dramatischen Zustände in ihrem eigenen Zuhause nicht mehr wahr oder unterschätzen sie. Das erschwert Hilfe und macht ein frühzeitiges Eingreifen besonders wichtig.

Fachleute unterscheiden verschiedene Ausprägungen dieser Störung, die sich jedoch oft überschneiden. Manche Menschen beginnen aus guten Absichten, etwa weil sie herrenlose Tiere pflegen wollen, geraten aber schleichend in eine Situation, die sie nicht mehr kontrollieren können. Andere sehen sich als Retterinnen oder Retter, die jedes Tier aufnehmen müssen, das ihnen begegnet, und handeln dabei von einem starken emotionalen Impuls getrieben. Es gibt auch Fälle, in denen die Haltung eher den Charakter einer privaten Zucht annimmt. Hier vermehren sich Tiere unkontrolliert, während das Wohl der Tiere und die eigene Überforderung in den Hintergrund rücken. Eine kleinere Gruppe hortet Tiere aus berechnenden Motiven, etwa um Status zu demonstrieren oder finanzielle Vorteile zu ziehen, und nimmt Tierleid dabei bewusst in Kauf.

  1. Überforderter Pfleger / überforderte Pflegeperson – begonnen in guten Absichten, geraten immer mehr in eine Situation, die sie nicht mehr beherrschen.
  2. Retter-Typ – „sie müssen Tiere retten“, Streuner sammeln etc., oft mit starker Emotionalität.
  3. Züchter-Typ – Vermehrung, oft ohne Rücksicht auf Tierwohl, oft versucht, Nutzen zu ziehen oder die Anzahl wachsen zu lassen.
  4. Ausbeuter-Typ – seltener, oft bewusster Umgang, eher Profitorientierung; oder Tiere als Statussymbol.

Fast immer kommen weitere Belastungen hinzu: soziale Isolation, ungelöste persönliche Krisen, traumatische Erlebnisse oder wirtschaftliche Schwierigkeiten. Diese Faktoren verstärken die Dynamik und machen es den Betroffenen schwer, von sich aus Hilfe anzunehmen oder ihre Tierhaltung realistisch einzuschätzen.

Rechtliche Situation & Akteure

In Deutschland schafft das Tierschutzgesetz die rechtliche Grundlage, um bei gravierenden Missständen einzugreifen. Wenn Tiere vernachlässigt oder schlecht versorgt werden, können die Behörden Anordnungen erlassen, Tierhalteverbote aussprechen oder die Tiere beschlagnahmen. Für die Umsetzung sind vor allem die Veterinärämter und die örtlichen Tierheime entscheidend. Sie übernehmen nicht nur die beschlagnahmten Tiere, sondern organisieren auch deren medizinische Versorgung und Unterbringung. Oft ist jedoch zusätzlich sozialpädagogische und psychologische Unterstützung notwendig, um die betroffenen Menschen zu erreichen und einer Wiederholung vorzubeugen.

Der Deutsche Tierschutzbund und weitere Fachorganisationen fordern seit Längerem strukturelle Verbesserungen, um diese Arbeit wirksamer abzusichern. Dazu gehört vor allem eine kostendeckende Finanzierung der Tierheime und der zuständigen Behörden, die derzeit häufig auf den hohen Ausgaben für Pflege und medizinische Versorgung sitzen bleiben. Auch ein zentrales Register für auffällige Tierhalterinnen und Tierhalter wird diskutiert, um wiederholte Verstöße und erneutes Hoarding schneller zu erkennen. Ebenso wird eine bundesweite Heimtierschutzverordnung gefordert, die klare Mindeststandards für Haltung, Artenvielfalt und Sachkunde festschreibt. Schließlich plädieren Fachleute dafür, Animal Hoarding als eigenständiges Krankheitsbild anzuerkennen. Das würde den Zugang zu therapeutischer Hilfe erleichtern und den Betroffenen ermöglichen, rechtzeitig und gezielt unterstützt zu werden.

Praktische Folgen & Tierwohlprobleme

Wenn Animal Hoarding entsteht, sind die Folgen für die betroffenen Tiere gravierend. Viele leiden unter Unterernährung oder Dehydrierung, weil Futter und frisches Wasser nicht ausreichen. Krankheiten bleiben oft unbehandelt, Verletzungen heilen nicht, und Parasiten wie Flöhe oder Milben breiten sich ungehindert aus. Die hygienischen Bedingungen verschlechtern sich zunehmend: Kot und Urin sammeln sich, Käfige und Zwinger sind verschmutzt und stinken, was wiederum Infektionen begünstigt. Tierärztliche Kontrollen oder Impfungen finden meist gar nicht mehr statt. All das führt nicht nur zu körperlichen Schäden, sondern auch zu massiven Verhaltensstörungen – die Tiere werden scheu, ängstlich oder aggressiv und ziehen sich aus Stress und Überforderung oft völlig zurück. Nicht selten werden auch tote oder trächtige Tiere gefunden, was das Ausmass der Vernachlässigung deutlich macht.

Doch nicht nur die Tiere geraten in Not. Auch die Menschen, die in solchen Verhältnissen leben, stehen unter enormem Druck. Der ständige Geruch von Ammoniak, Schimmel und verunreinigter Luft schadet der Gesundheit. Psychische Belastungen, Schuldgefühle und Überforderung nehmen zu, und Konflikte mit Nachbarn oder rechtliche Konsequenzen sind fast unvermeidlich. So betrifft Animal Hoarding immer das gesamte Umfeld – Tiere, Menschen und Nachbarschaft gleichermaßen.

Wie erkennt man Animal Hoarding? (Checkliste)

Der Deutsche Tierschutzbund liefert eine Anleitung, wann man den Verdacht haben kann. Ich habe das erweitert:

Hinweis Beobachtung
Anzahl Tiere Sehr viele Tiere, oft deutlich mehr als in vergleichbaren Haushaltssituationen (z. B. mehr Katzen, mehr Heimtiere als üblich)
Platzverhältnisse Tiere leben auf engem Raum – Wohnung/Haus ist überfüllt, oft mehrere Tiere pro Käfig, Zwinger oder Platz ungeeignet.
Hygiene & Sauberkeit Kot/Urin, Geruchsbelästigung, schmutzige Käfige/Zwinger/Abortbereiche; auch Wohnräume sind stark verschmutzt.
Pflege & Gesundheit der Tiere Verfilztes/unsauber gehaltenes Fell, Parasiten, Erkrankungen, Verletzungen bleiben unbehandelt, Tiere sind unterernährt oder dehydriert.
Vermehrung & Zucht Tiere sind nicht kastriert, unkontrollierte Vermehrung; manchmal Inzucht.
Einsicht / Verhalten der Halter*innen Betroffene leugnen oder bagatellisieren Probleme; wissen oft nicht, wie schlecht es ist; verweigern Einsicht, Zugang, Unterstützung; isolieren sich.
Tote Tiere / extreme Zustände Tiere tot oder stark geschwächt, Nachwuchs übersehen, Tiere in extremer Vernachlässigung gefunden.

Was tun, wenn man einen Fall erkennt: Handlungsempfehlungen

Wenn Du selbst erkennst oder vermutest, dass jemand Animal Hoarding betreibt – ob in Deinem Umfeld oder beruflich:

  1. Gespräch bietenWenn möglich und sicher: versuche, mit der betroffenen Person in einem empathischen Ton ins Gespräch zu gehen. Oft hilft Unterstützung oder Beratung („Ich sehe, es geht Deinen Tieren nicht gut, kann ich mithelfen?“).
  2. Information & Hilfe anbieten
    • Tierärztliche Hilfe, Patenprogramme, soziale Beratung, psychologische Unterstützung
    • Tierschutzorganisationen einschalten, die Erfahrung haben mit Rettungsaktionen und Pflege von entsprechenden Tieren
  3. Behördlich handeln
    • Wenn der Zustand der Tiere ernst ist oder sich nichts ändert, informiere das Veterinäramt (oder äquivalente Behörden), ggf. Polizei
    • Dokumentiere möglichst Beobachtungen (Bilder, Datum, Zustand der Tiere) – hilfreich für Behörden
  4. Unterstützung für Tierheime & Helfende
    • Spenden oder Ehrenamt können helfen, die zum Teil enorm belasteten Tierheime zu entlasten
    • Öffentliches Bewusstsein schärfen
  5. Therapie & soziale Intervention
    • Für Betroffene: psychologische / psychiatrische Hilfe (wenn zugänglich)
    • Sozialdienste & Behörden sollten als Teil des Unterstützungsnetzwerks eingebunden sein

Selbst-Check: Bin ich gefährdet, Animal Hoarding zu betreiben?

Diese Selbstreflexion kann helfen, frühzeitig zu erkennen, ob das eigene Verhalten riskant wird. Wenn mehrere Punkte zutreffen, kann es sinnvoll sein, professionellen Rat zu suchen.

Selbst-Checkliste

Beantworte ehrlich („Ja“ / „Manchmal“ / „Nein“) die folgenden Fragen:

Frage Bedeutung / Risiko
1. Wie viele Tiere habe ich? Fühlst Du, dass es mehr sind, als Du regelmäßig versorgst? Wenn Tiere ständig unbehandelt bleiben, ist die Anzahl wichtigen Bedürfnissen überlegen.
2. Hygiene & Reinigung: Kann ich regelmäßig alle Tiere gepflegt halten (Käfige, Zwinger, Katzenklos, Gehege etc.)? Riecht es in der Umgebung oft stark nach Urin/Kot oder sind Flächen verschmutzt? Vernachlässigte Hygiene ist eines der ersten sichtbaren Anzeichen.
3. Gesundheit & Pflege der Tiere: Werden notwendige Behandlungen wahrgenommen? Gibt es Tiere mit schlechtem Fell, Parasiten, Wunden? Wenn Du aus Zeitmangel, Geldmangel oder Überforderung medizinische Pflege verschiebst, steigt das Risiko.
4. Vermehrung: Sind Tiere unkastriert, leben Männchen und Weibchen unkontrolliert zusammen? Entsteht Nachwuchs, der schwer zu versorgen ist? Unkontrollierte Vermehrung kann Zustand schnell eskalieren lassen.
5. Platz & Wohnraum: Haben Tiere genug Raum, wachsen nicht über einander? Lebst Du in einer Umgebung, in der Tiere sich zurückziehen oder gestresst sind? Enge, zu viele Tiere können Tierwohl stark beeinträchtigen.
6. Emotionale/psychische Situation: Fühlst Du Schuld oder Sorge, aber unternimmst wenig dagegen? Verleugnest Du Probleme? Hast Du Angst vor Rückschlägen? Bist Du oft überlastet? Einsicht ist ein großer Faktor – ohne Einsicht steigt die Gefahr.
7. Soziales Umfeld: Leben Nachbarn mit in der Nähe, erlebt jemand die Situation als belastend? Hast Du Unterstützung, kannst Du Hilfe annehmen? Isolation und fehlende Unterstützung verschlechtern die Situation.
8. Finanzen & Ressourcen: Kannst Du dauerhaft Futter, Tierarztkosten, Pflegebedarf tragen? Wenn regelmäßig Kostenprobleme auftreten, ist das Alarmsignal.

Wenn mehr als 3 dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, wäre es sinnvoll, mit vertrauenswürdigen Personen (z. B. Tierärzt*in, Tierschutzverein, Sozialdienst) über die Situation zu sprechen – schon bevor es zu einem akuten Problem wird.

Prävention & politische Maßnahmen

Damit Animal Hoarding nicht zur Krise für Tiere, Helfende & Gemeinden wird:

  • Einführung klarer Rechtsvorschriften (Heimtierschutzverordnungen) bei Haltung und Verkauf von Tieren, verpflichtende Sachkunde, Regelung der Höchstzahl bei Privat­haltung.
  • Zentrales Register für Tierhalter, die bereits wegen erheblicher Mängel aufgefallen sind.
  • Finanzielle und institutionelle Unterstützung für Tierheime, Veterinärämter, damit diese Fälle personell und materiell bewältigen können.
  • Aufbau niedrigschwelliger Beratungs- und Therapieangebote, speziell für Personen mit isolierten Lebensumständen oder psychischer Belastung. Schulung von Sozialdiensten, Sozialarbeitern, Psychologen, Veterinärämtern.
  • Aufklärung & Öffentlichkeitsarbeit: Sensibilisierung von Nachbarn, Tierärzt*innen, Behörden, Öffentlichkeit, für Früherkennung und adäquates Eingreifen.

Schlussgedanken

Animal Hoarding ist ein komplexes Phänomen, das Tiere, Menschen und Gesellschaft betrifft. Es reicht nicht aus, nur das Tierwohl zu betrachten – man muss auch psychische, soziale und rechtliche Aspekte mitdenken. Die neueren Zahlen aus Deutschland zeigen, dass das Problem nicht abnimmt, sondern weiter wächst. Frühzeitige Erkennung und Intervention können viel Leid verhindern – sowohl auf Seiten der Tiere als auch bei den betroffenen Menschen.

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