Die Sache mit der genetischen Diversität

von Mag. Dr. Anja Geretschläger

Der Hund ist die älteste domestizierte Tierart und hatte bereits im alten Ägypten eine besondere Bedeutung. Das Erscheinen von Sirius, dem Hundsstern, läutete den Beginn der Nilflut ein, die Wohlstand und Leben brachte. Archäologische Funde legen nahe, dass der Hund das erste domestizierte Tier war.

Er half dem Menschen beim Hüten von Herden, beim Bewachen von Häusern, bei der Jagd auf Sicht und Fährte, beim Einfangen wilder Tiere, Schlitten ziehen oder diente ganz einfach als Gefährte. Von allen domestizierten Tieren ist der Hund eine der beliebtesten Arten.

Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Domestizierung durch den Menschen in zwei Phasen erfolgte. Der erste Schritt fand vor über 15.000 Jahren statt. Zu diesem Zeitpunkt stammten die Hunde von einer Population wolfsähnlicher Vorfahren ab. Die zweite Phase begann erst in den letzten paar Jahrhunderten, wo der Mensch mittels Selektion in die Zucht eingriff und es so zur Entstehung spezifischer Hunderassen kam.

Es gibt viele Spekulationen darüber, von welcher Wolfsart der Haushund abstammt. Wissenschaftler aus der Schweiz und China behaupten, dass der Hund vom Asiatischen Grauwolf in Südostasien vor über 33.000 Jahren hervorging. Vor etwa 15.000 Jahren wanderte dann ein Teil der Vorfahren der Hunde von Ostasien in den Nahen Osten, nach Afrika und Europa. Vor etwa 10.000 Jahren dürften sie in Europa angekommen sein.

Untersuchungen von alter DNA dieser Vorfahren zeigten, dass Europa wohl der wichtigste Knotenpunkt der Domestizierung von Hunden war. Andere Wissenschaftler vertreten eine alternative Entstehungsgeschichte und schlugen vor, dass Haushunde ihren Ursprung in Zentralasien haben, während andere der Meinung sind, dass Hunde möglicherweise unabhängig voneinander in Ost- und Westeurasien aus unterschiedlichen Wolfspopulationen domestiziert wurden.

Die geografischen und zeitlichen Ursprünge der Haushunde sind also weiterhin umstritten. Abgesehen vom Ort und der Zeit der Domestizierung des Hundes, ist es ebenfalls von Interesse, wie die Domestizierung erfolgte. Also inwieweit sich Haushunde von Wölfen unterschieden. In einer Studie wurde untersucht, wie sich Hunde und Wölfe in ihrer Fähigkeit unterscheiden, mit Menschen in Beziehung zu treten. Hierbei sollten Hunde eine versteckte Futterbelohnung finden, wobei sie von einem Menschen unterstützt wurden, der auf das Versteck der Belohnung zeigte.

Erwachsene Hunde und Welpen, selbst die die mit wenig menschlicher Interaktion aufgewachsen waren, schnitten deutlich besser ab als Wölfe. Das bedeutet, dass Hunde im Laufe der Domestikation eine Fähigkeit entwickelt haben, Menschen zu lesen, die Wölfen fehlt.

Es gibt verschiedene Faktoren, die im Laufe der Domestikation dazu beigetragen haben, dass es zu einem Verlust der genetischen Diversität gekommen ist und es das heute noch tut. Dies hat zur Folge, dass manche Hunderassen mehr als andere mit den direkten Auswirkungen zu kämpfen haben.

Domestikation

Die Domestikation selbst hat zu genetischen Engpässen geführt, die die Entwicklung des Hundes geprägt haben. Während dieses Prozesses wurden mehrere Flaschenhälse durchlaufen. Der Erste fand vor etwa 15.000 Jahren statt. Die frühe Domestikation war durch die Anpassung an die wechselseitige Beziehung mit dem Menschen, durch unterschiedliche Ernährungsbedingungen und geografische Differenzierung gekennzeichnet. Diese machten ein Zusammenleben zwischen Menschen und Hunden erst möglich.

Viel dramatischer aber waren die Flaschenhälse der jüngeren Zeit, insbesondere jene der letzten beiden Jahrhunderte, die durch eine zielgerichtete Zucht verursacht wurden. Das Bestreben Hunderassen zu schaffen, das Aufkommen von Hundeausstellungen und die Etablierung und Einhaltung von Rassestandards haben zudem zu diesen genetischen Engpässen beigetragen.

Wettbewerbe bringen den Besitzern Prestige, ein gewisses Einkommen aus Welpenverkäufen und Deckgebühren, aber vor allem tragen sie zum Streben nach der idealen Rasseform bei. Tatsächlich stammt die Idee von einheitlichen und standardisierten Hunderassen aus der viktorianischen Ära, und die heutigen Zuchtpraktiken spiegeln noch weitgehend dieses Denken wider.

Etablierung von Rassen

Die Etablierung von Rassen führt definitionsgemäß dazu, dass der Genfluss aus anderen Hundepopulationen in die Rassen gestoppt wird. Das heißt, es ist eine gewisse Anzahl von Hunden in einer Population gegeben, die in der Zucht eingesetzt werden kann, was einer genetischen Isolierung gleicht, da kein fremdes genetisches Material diesem Pool zugeführt wird. Was an genetischem Material in einer Rasse vorhanden ist, kann genutzt werden. Sofern es sich nicht um Hybridrassen oder geplante Einkreuzungen handelt, ist es also nicht gewünscht, Hunde unterschiedlicher Rassezugehörigkeit zu kreuzen. Durch zusätzliche Selektion aufgrund gezielter Zuchtentscheidungen, wird genetisches Material ausgeschlossen, aber kein neues genetisches Material zugeführt.

Zudem können unterschiedliche Züchterpräferenzen und das Streben nach Rasseidealen zu einer weiteren genetischen Isolation führen. Bei Jagdhunden beispielsweise hat die Selektion auf Felltypen oder lokale Untertypen oft zu einer Aufspaltung von Rassen geführt. Bei vielen der heutigen Rassen gibt es Unterteilungen, die von den Zuchtzielen und der geografischen Lage abhängen. Führen diese Unterteilungen zu einer Unterscheidung von Subpopulationen, könnten sie den Verlust der genetischen Vielfalt innerhalb der Rasse noch verstärken.

Ein weiterer Effekt, der sich auf die genetische Diversität auswirken kann, ist eine extreme Standardisierung von Rassen, die zu übertriebenen morphologischen oder funktionellen Merkmalen führt. Um diese erreichen zu können werden oft Zuchtpraktiken eingesetzt, die die effektive Populationsgröße stark verringern und in einem hohen Maß die Inzucht innerhalb der Rasse fördern. Die effektive Zuchtpopulation ist ein wesentlicher Faktor in der Hundezucht und aus populationsgenetischer Sicht besonders interessant. Tiere, die zur effektiven Zuchtpopulation gezählt werden, also jene die aktiv in der Zucht eingesetzt werden, sind diejenigen die die genetische Information an die nächste Generation weitergeben. Sie sind somit für das Ausmaß der genetischen Varianz der nächsten Generationen verantwortlich. Die Größe dieser, ist in erster Linie von der Zahl der verfügbaren Rüden abhängig. Es braucht eine bestimmte Anzahl von Tieren, um das langfristige Überleben einer Rasse zu sichern, weshalb eine möglichst große effektive Zuchtpopulation bei gleichmäßigem Einsatz verfügbarer Rüden erstrebenswert ist.

An dieser Stelle sei aber auch noch mal darauf hingewiesen, dass eine Standardisierung von Rassen an sich kein Problem darstellt, da es auch sehr viele gesunde Rassen gibt. Die Erhaltung solch gesunder Rassen erfordert allerdings eine positive Selektion auf gesunde Merkmale.

Popular Sires

In sehr vielen Rassen gibt es keine Decklimitierung für Rüden. Sie können beliebig oft zum Einsatz gebracht werden, und dementsprechend für eine große Anzahl an Nachkommen sorgen. Rüden, die übermäßig häufig in der Zucht eingesetzt werden, werden als „Popular Sires“ bezeichnet. Sehr häufig sind es aber nicht nur diese Rüden, die ihre Gene hochfrequentiert weitergeben, sondern auch deren männliche Nachkommen. Aus praktischer Sicht bedeutet das, dass der übermäßige Zuchteinsatz von wenigen Rüden in Nachfolgegenerationen zu einer Reduktion der genetischen Varianz und zu einem Anstieg der Inzuchtniveaus führt. Ist man als Züchter nun darauf bedacht, eine möglichst hohe genetische Diversität in seiner Zucht zu erreichen, kann das aufgrund solcher Popular Sires zu großen Herausforderungen führen, da solche Rüden in den meisten Stammbäumen immer wieder zu finden sind. Besonders problematisch gestaltet sich das Ganze dann, wenn diese Rüden Träger von rezessiven Defektgenen sind und zu einer Verbreitung von Erkrankungen beitragen. Grundsätzlich sollte die Häufigkeit des Deckeinsatzes von Rüden unter Berücksichtigung der jeweilige Rassegegebenheiten gut geplant sein. Wichtig zu erwähnen ist hier nochmal, dass züchterische Entscheidungen, die heute getroffen werden, maßgeblich die Population aber auch die Zuchtentscheidungen von morgen beeinflussen.

Inzucht &  Gesundheitliche Probleme

All die genannten Faktoren haben über die Jahre hinweg zu einem hohen Grad an Inzucht innerhalb von Rassen beigetragen. Umso wichtiger ist es, eine Möglichkeit zu haben, Inzucht messbar zu machen. Nur so ist eine realistische Einschätzung des genetischen Status quo einer Rasse möglich. Eine gängige Methode den Inzuchtlevel zu schätzen, erfolgt üblicherweise anhand von Stammbäumen, die für die Bestimmung von Inzuchtkoeffizienten einzelner Individuen oder Rassen herangezogen werden. Die Berechnung dieser Werte ist aber stark davon abhängig, wie viele Generationen in den Stammbäumen verfügbar sind, und schlussendlich bei den Berechnungen berücksichtigt werden. Aus wissenschaftlichen Arbeiten ist bekannt, dass der Inzuchtkoeffizienten aufgrund von Stammbaumberechnungen um das 5-10-fache unterschätzt werden kann. Dank neuster Methoden, auf die ich an späterer Stelle noch zu sprechen komme, können Inzuchtkoeffizienten mittlerweile weitaus akkurater ermittelt werden.

Diese Form der Berechnung beruht auf genetischen Informationen eines jeden Hundes und hat sich als eine praktikablere und vor allem genauere Möglichkeit erwiesen. Diese Bestimmungen haben gezeigt, dass Hunderassen einen Inzuchtgrad aufweisen, der bei anderen Arten als extrem hoch eingestuft wird und Auswirkungen von Inzuchtdepressionen zu erwarten sind.

Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, dass ein hohes Maß an Inzucht Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Sie kann negative Effekte auf die Wurfgröße und die Überlebensrate von Neugeborenen haben, die allgemeine Fitness von Tieren beeinträchtigen und die Resistenz gegen Krankheiten, sowie die Lebenserwartung vermindern. Die Domestizierung und Etablierung von Rassen haben unbeabsichtigt die Zahl von schädlichen genetischen Varianten innerhalb der Rassen erhöht, wobei es solche mit einer höheren und einer geringeren Prädisposition für Erkrankungen gibt. Die Website Online Mendelian Inheritance in Animals (OMIA, Jänner 2022, omia.org) katalogisiert derzeit 829 Erkrankungen und Merkmale bei Hunden. Bei 318 von ihnen handelt es sich um Mutationen die bekannt sind und genetisch getestet werden können, während andere Defekte aus genetischer Sicht nur schwer fassbar und sehr wahrscheinlich mehrere Gene beteiligt sind. Zu solchen komplexen Erkrankungen zählen auch Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Caniner Diabetes mellitus oder die autoimmune Form der Schilddrüsenunterfunktion, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Modernes Zuchtmanagement

Doch welche Möglichkeiten haben Züchter oder Clubs um die genetische Varianz ihrer Zucht/Rasse einerseits zu ermitteln und andererseits langfristig zu erhalten? Wie bereits kurz erwähnt stehen uns mittlerweile sehr genaue Verfahren zur Verfügung, die es uns ermöglichen Rassen bzw. einzelne Individuen aus Sicht der genetischen Diversität zu analysieren. Hierfür werden unzählige genetische Daten von jedem Hund gesammelt und ausgewertet. Vordergründig dabei ist, einen Überblick über die genetischen Gegebenheiten einer Rasse zu bekommen, auch in Hinblick auf den Anteil heterozygoter Gene oder den Grad der Inzucht. Diese Informationen können für ein vorausschauendes Zuchtmanagement, mit dem Ziel die genetischen Ressourcen einer Rasse optimal zu nutzen und langfristig zu erhalten, genutzt werden. Sie liefern aber auch dem Züchter wichtige Informationen über einzelne Hunde. Welche Möglichkeiten hier zur Verfügung stehen, soll nachfolgend beschrieben werden. Beispiele von Rassen, die angeführt werden, stammen aus Typisierungen und Analysen im eigenen Labor.

Heterozygotie

Der Begriff Heterozygotie bedeutet Mischerbigkeit in Bezug auf bestimmte genetische Merkmale. Wird die Heterozygotie von Hunden untersucht, so wird festgestellt, ob ein Hund Gene in der gleichen oder in unterschiedlicher Ausstattung von den Eltern geerbt hat. Es gibt einen wesentlichen Punkt, den es in diesem Zusammenhang zu beachten gilt. Um eine möglichst genaue Aussage über den Grad an Heterozygotie machen zu können, braucht es eine bestimmte Anzahl an Bereichen im Erbgut die untersucht werden. Es ist naheliegend, dass 200 solcher Bereiche, auch genetische Marker genannt, eine weitaus schlechtere Aussage zulassen als 200.000. Dies erklärt auch, warum DNA-Profile, die aus 21 Markern bestehen, für solche Analysen gänzlich unbrauchbar sind. Nicht nur, dass das eine viel zu geringe Anzahl darstellt, diese Marker sind grundsätzlich ungeeignet. Sie wurden unter dem Gesichtspunkt einer möglichst hohen Diversität in Rassen ausgewählt, um für Abstammungsprüfungen überhaupt brauchbar zu sein.

Was die Interpretation von Heterozygotiewerten angeht, so gilt die Faustregel, je höher der Heterozygotiewert eines Hundes ist, umso unterschiedlicher sind die getesteten genetischen Marker. Hat also ein Hund einen Heterozygotiewert von 0.35 so sind 35 % der untersuchten Bereiche unterschiedlich (heterozygot). Je nach Rasse und Individuum können diese Werte höher oder niedriger sein. Untersuchungen und Vergleiche die wir mit Heterozygotiewerten und genomischen Inzuchtkoeffizienten von Hunden durchgeführt haben, zeigten einen direkten

Zusammenhang. Das heißt, je niedriger der Heterozygotiewert umso höher ist der Inzuchtgrad und umgekehrt. In Abbildung 1 sind Beispiele von Heterozygotiewerten von 4 Rassen dargestellt. Die rote Kurve stellt den Heterozygotielevel der Rassen Boxer, Leonberger, Rhodesian Ridgeback und Pudel zusammengefasst dar, während die blaue Kurve den Heterozygotielevel bezogen auf die jeweilige Rasse repräsentiert. Je weiter links die Kurve angesiedelt ist, umso niedriger ist der Wert, also umso geringer ist die Heterozygotie. Die Rasse Boxer zeigt hier den niedrigsten Wert, gefolgt vom Leonberger und dem Rhodesian Ridgeback, der mit dem Pudel vergleichbar ist. Dieser Wert sollte in Bezug auf Zuchtentscheidungen aber nicht isoliert betrachtet werden. Das heißt, nur weil zwei Hunde besonders hohe Werte aufweisen, was auf eine hohe Heterozygotie schließen lässt, müssen sie nicht zwingend ein optimales Zuchtpaar darstellen. Die Frage, die sich stellt ist, wie sehen die Marker der beiden Hunde im Vergleich aus. Bringen beide Hunde die gleichen heterozygoten Marker mit oder unterscheiden sich diese voneinander. Dies muss separat beantwortet werden und ist essenziell, wenn eine hohe Heterozygotie in den Nachkommen erreicht werden soll.

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Abbildung 1: Der Heterozygotielevel für die Rassen Boxer, Leonberger, Rhodesian Ridgeback und Großpudel (blaue Kurve) wird im Vergleich zu allen Rassen dargestellt. Je weiter links sich die blaue Kurve der jeweiligen Rasse befindet umso geringer ist der Heterozygotielevel und je weiter rechts dieser liegt, umso höher ist dieser Wert. Den niedrigsten Heterozygotielevel zeigt die Rasse Boxer, gefolgt vom Leonberger und den Rassen Rhodesian Ridgeback und Großpudel.

Inzuchtkoeffizient

Der Inzuchtkoeffizient (IK) ist die derzeit bekannteste Möglichkeit genetische Diversität in Zahlen auszudrücken. Der Inzuchtkoeffizient trifft aus genetischer Sicht eine mathematische Vorhersage darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass 2 Allele an einem Genort von einem gemeinsamen Vorfahren stammen. Je näher eine Blutsver- wandtschaft von zwei Hunden ist umso höher ist der Wert des Inzuchtkoeffizienten und die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Hunde eine hohe genetische Übereinstimmung besitzen. Je mehr Generationen zwischen dem letzten gemeinsamen Vorfahren zweier Hunde zurückliegen, umso geringer ist die Übereinstimmung oder Identität. Für die Ermittlung von Inzuchtkoeffizienten werden häufig Stammbäume herangezogen. Ein wesentlicher Nachteil dieser Methode besteht darin, dass Stammbäume oft unvollständig sind. In den Berechnungen kann nur eine limitierte Zahl an Generationen berücksichtigt werden. Des Weiteren muss sichergestellt sein, dass die Abstammungen in den Stammbäumen verlässlich sind, was nur dann der Fall ist, wenn Abstammungsprüfungen mittels DNA-Profile erfolgt sind. Eine wesentlich akkuratere und vor allem von Stammbäumen unabhängige Möglichkeit der IK Berechnung, stellt der genomische Inzuchtkoeffizient dar. Die Ermittlung von diesem erfolgt wie auch die Bewertung der Heterozygotie basierend auf genetischen Daten. Der Vorteil ist, dass dieser IK die tatsächliche genetische Situation und den Grad der Inzucht repräsentiert. Genomische IK-Werte können für einzelne Individuen ermittelt werden, aber auch im Durchschnitt für die gesamte Rasse. Ein besonders spannender Aspekt ist, dass IK-Werte in Geschwistern deutlich voneinander abweichen können, was an der individuellen Kombination der mütterlichen und väterlichen Gene bei jedem Welpen liegt. Das heißt, innerhalb eines Wurfes können Welpen mit deutlich niedrigeren IKs geboren werden, verglichen zu Geschwistern. In der Tabelle 1 sind Beispiele für genomische IK-Werte einzelner Rassen dargestellt, die basierend auf eigenen Typisierungsergebnissen ermittelt wurden. Hierbei wurden Durchschnittswerte aus allen getesteten Hunden unter Berücksichtigung von 6 Generationen ermittelt. Auch bei den genomischen IKs gilt das Gleiche wie bei den Heterozygotiewerten. Wenn zwei Hunde besonders niedrige genomische IK-Werte aufweisen, deutet dies nicht automatisch auf eine optimale Paarung hin. Das Gleiche gilt auch bei hohen Inzuchtkoeffizienten. Die individuelle Verpaarung sollte unbedingt mittels entsprechender Abgleiche noch mal im Detail überprüft werden.

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Eine kürzlich erschienene Studie befasst sich ebenfalls mit den genomischen Inzuchtkoeffizienten von insgesamt 227 verschiedenen Rassen und setzte die daraus ermittelten Daten in Korrelation mit der „Krankheitsanfälligkeit“ der jeweiligen Rasse. Im Allgemeinen konnte bei den untersuchten Rassen ein erschreckend hohes Maß an Inzucht festgestellt werden. Zudem konnte gezeigt werden, dass der Inzuchtgrad und die Hundegröße einen Einfluss auf die Krankheitsanfälligkeit haben. Das heißt, je größer die Rasse und je stärker ingezüchtet diese ist, desto höher ist die durchschnittliche Morbidität. Einen zusätzlichen Einfluss auf die Morbidität hat der Effekt der Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit) einer Rasse.

Zuchtwahl

Entscheidungen über Verpaarungen sollten nicht basierend auf einzelnen, isolierten Werten getroffen werden. Wie bereits erwähnt eignet sich weder der Heterozygotiewert, noch der Inzuchtkoeffizient dafür, eine Beurteilung über die Qualität von Verpaarungen abzugeben. Genetisches Material wird zur Hälfte von beiden Elternteilen an die Nachkommen weitergegeben. Es kommt also auf die Kombination dieser beiden an. Anhand der genetischen Marker, die auch für die Ermittlung der Heterozygotie und den IK herangezogen werden, lassen sich Mating Scores ermitteln. Im praktischen Zuchteinsatz würde das bedeuten, dass die genetische Information einer Hündin mit einem einzelnen oder mehreren interessanten Rüden verglichen wird und so ermittelt werden kann, welcher Rüde sich am besten zur Hündin ergänzt. Diese Selektion erfolgt unter dem Gesichtspunkt der genetischen Diversität. Unabhängig davon muss geklärt sein, ob der oder die entsprechenden Zuchtpartner die zuchtrelevanten Auflagen erfüllen. Eine Zucht ausschließlich auf Basis der Genetik sollte nicht das Ziel sein. Vielmehr ist dies ein ergänzendes Tool, das neben züchterischem Wissen und Gespür, die Zucht unterstützen soll. Häufig besteht hier auch die Angst, dass sich möglicherweise ein Rüde als nicht so tauglich erweisen könnte wie erhofft. Diese Angst ist allerdings unbegründet. Es mag Verpaarungen geben, bei denen einzelne Rüden besser abschneiden und bei anderen weniger. Am Ende hat jeder seine Qualitäten mit der passenden Hündin. Ziel ist es mit der Unterstützung von genetischen Analysen optimale Verpaarungen zu ermitteln, um so eine hohe genetische Diversität in den Nachkommen zu erreichen und die Gefahr von inzuchtbedingten Problemen auf lange Sicht zu reduzieren.

Aktuell werden diese Möglichkeiten bereits von Österreichischen Zuchtclubs genutzt, um das genetische Potenzial ihrer Rasse zu ermitteln und langfristig zu erhalten.

Das Thema der genetischen Diversität hat mittlerweile auch die Züchterkreise erreicht. Wie wichtig es ist, dieser im Rahmen des Zuchtgeschehens die entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken, liegt auf der Hand. Wie bereits eingangs erwähnt, stehen viele gesundheitliche Probleme in verschiedensten Rassen in einem direkten Zusammen mit der fortschreitenden Abnahme an genetischer Varianz. Einfache und mittlerweile kostengünstige Verfahren bieten uns die Möglichkeit, den genetischen Status von Rassen und einzelnen Hunden zu erheben. Diese Daten können in weiterer Folge für ein zukunftsorientiertes und langfristiges Zuchtmanagement genutzt werden. Für die Umsetzung solcher Maßnahmen stehen wir Ihnen als Genetiker, Molekularbiologen und Bioinformatiker mit voller Unterstützung zur Verfügung. Ab Ende Frühling 2022 werden wir erstmals im europäischen Raum Züchtern und Clubs neue Dienstleistungen anbieten können, die Ihnen die Möglichkeit geben, das volle Potenzial der genetischen Testung und Diversität auszuschöpfen.

Mag. Dr. Anja Geretschläger

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Referenzen:

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Yang Q et al. Genetic Diversity and Signatures of Selection in 15 Chinese Indigenous Dog Breeds Revealed by GenomeWide SNPs. Front Genet. 2019 Nov 15;10:1174. doi: 10.3389/fgene.2019.01174. PMID: 31803243; PMCID: PMC6872681.

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